Gestern war ich mit Freund M. auf einer Vernissage eines gemeinsamen Freundes. Ich hatte mich darauf schon gefreut, denn ich hatte seine früheren Bilder länger nicht gesehen und kannte die neuen noch nicht. Ich vermutete schon vorher, dass dort wahrscheinlich ein ganz spezielles Publikum auftauchen würde. Doch das Publikum war noch spezieller. Es waren richtig viele Alt-Toscanisten um die 60 da, die sich prompt nach der Rede auf den Shiraz und die Wurst- und Käsehäppchen stürzten. Sicherlich waren das die Stamm-
gäste der Galerie. Man trug entweder Leinen- oder bunt gemusterte Freizeithemden mit Sacco drüber. Untenrum Bundfalten, aus Stoff oder Jeans. Alles so Möchtegern-Karasek-
typen, irgendwie, jedenfalls die Männer. Karasek konnte ich übrigens noch nie leiden. Die Frauen passten auch richtig gut dazu, und sie bewachten den Wein fast noch schärfer als die Männer. Dabei war man überall damit beschäftigt, entweder jovial oder unterschwellig zynisch zu sein und Visitenkarten zu tauschen.
Das Erstaunliche für mich war dabei, dass ich tatsächlich auch einige Leute dort traf, die ich von Irgendwoher kannte. Einen ehemaligen Mitmusiker z.B., aber darüber habe ich mich gefreut. Wir laufen uns nämlich immer mal alle paar Jahre über’n Weg und erzählen uns dann im Schnelldurchlauf, was wir in der Zwischenzeit so gemacht haben und was wir jetzt so machen. Er möchte nämlich auch bald in dieser Galerie ausstellen. Dann haben wir Visitenkarten getauscht.
Außerdem habe ich einen Exfreund meiner Mutter erkannt (denn er sieht noch genauso aus wie vor dreißig Jahren), aber er mich nicht (ich seh’ nicht mehr so aus wie vor dreißig Jahren), einen ehemaligen Geschäftspartner (mit dem hätte ich eigentlich gleich einen hübschen Streit anfangen können, aber da wär’ vorher mehr von dem Shiraz nötig gewe-
sen) und ein paar Gesichter, die mir bekannt vorkamen, wahrscheinlich von ähnlichen Veranstaltungen.
Zum Glück war ich aber mit M. da, und es tauchte bald noch ein guter alter Freund von ihm auf, der immer genau so redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, was ich ganz erfrischend finde und mich selbst nur selten traue. M. traf auch noch einen früheren Pro-
fessor aus seiner Studierzeit wieder, der dann sehr sympathisch mit uns in der Gegend herumstand. Wir sprachen ein bisschen über die mit den Jahren zunehmende Unmög-
lichkeit, über Zäune zu springen. Bevor er und M. Visitenkarten tauschten.
Irgendwann hatte der liebe Künstler auch mal kurz Zeit, sich ein bisschen zu uns zu stel-
len und da konnte ich auch von Nahem sehen, was mir von Weitem schon aufgefallen war: Er war ganz zufrieden. Sicherlich lag das auch daran, dass an einigen Bildern schon rote Punkte klebten, und ich dachte die ganze Zeit: „Das gönn’ ich dem!“ Hoffentlich kommen da in den nächsten Wochen noch ein paar dazu.
In 14 Tagen gibt es in der Galerie noch ein „Künstlergespräch“, da muss er sich den Fra-
gen eines interessierten Publikums stellen. Ich hab’ zufällig mal erlebt, wie sowas vor sich gehen kann, und zwar anlässlich einer Ausstellung von Peter Basseler. Da waren lauter ehemalige Grundschullehrerinnen aufgetaucht, original mit Pottfrisuren und Häkelwesten. Sie verstanden seine Schaukästen irgendwie nicht, wollten andauernd Erklärungen von ihm und kamen ihm mit merkwürdigen Szenen aus der Literatur und so. Ich litt mit dem Künstler und gab gestern meiner Hoffnung Ausdruck, dass sowas dem guten C. dann nicht auch passiert. Schnell waren wir uns einig, dass es eventuell hilft, wenn er dann die Gesprächsrichtung ein bisschen vorgibt. Auf die Schnelle fielen uns ein: „Kurt Beck“ und „Die Spargelernte in Mecklenburg-Vorpommern“.