Mottoparty.

In letzter Zeit habe ich eigentlich ziemlich viel nachzudenken, habe aber kaum mal die Ruhe dazu, so dass ich eher das Gefühl habe, dass „es“ mich nachdenkt. Hat man ja manchmal so.

Das geht dann vermutlich irgendwie unterirdisch. Wahrscheinlich gibt’s unter dem Stra- ßenpflaster extra so Kanäle, wo das Nachdenken dann stattfindet, während es versucht, mit dem Nachzudenkenden Schritt zu halten. Und wenn dann alles fertig überlegt und durchdacht ist, geht irgendwo hinter mir ein Kläppchen auf und das Nachgedachte rennt ein Stückchen hinter mir her, bis es mich von hinten so geschickt anspringt, dass ich nicht den Eindruck habe: „Huch, es hat mich was angesprungen!“, sondern es wären plötzliche Erkenntnisse und Geistesblitze, die mich durchzucken.

Aber vielleicht ist alles auch ganz anders; – wer weiß das schon.

Wozu ich allerdings höchstselbst gekommen bin, ist, mal darüber nachzudenken, ob ich eigentlich ein Lebensmotto habe. Und überraschenderweise habe ich sogar drei!
(Gelogen. Eigentlich ist das überhaupt kein bisschen überraschend, denn die Drei ist schon immer meine Zahl gewesen.)

Das erste ist schon sehr alt:
„Solvitur ambulando“ – Es wird im Gehen gelöst.

Jeder der weiß, wie sich Gedanken beginnen, im Gehen aufzutüdeln und wieder ordentlich aufzuwickeln, weiß, was ich meine. Das Gehen ist irgendso’n altes nomadisches Ding im Menschen, das Denkprozesse anstösst und durch den Rhythmus ordnet. Dafür braucht’s nicht mal Jakobswege oder so. Ein langer Spaziergang, einmal die Woche, tut’s auch. Das ist mir in letzter Zeit ein bisschen abhanden gekommen, aber verloren gehen wird mir das glücklicherweise nie. Geschrieben hab‘ ich auch schon ab und an mal was dazu.

Das zweite habe ich mal irgendwo aufgeschnappt. Vielleicht von Konfuzius oder einfach aus einem Glückskeks:
„Wenn im Zweifel, tue es nicht.“

Das schöne an diesem Motto ist, dass man ziemlich schnell weiß, ob man wirklich im Zweifel ist. Es hängt nämlich von der Fragestellung ab, die man sich dann zu Hilfe nimmt. Schließlich kann man ja zweifeln, ob man etwas tut oder ob man lieber etwas lässt… Wenn ich tatsächlich nicht weiß, wie ich die Frage stellen soll, weiß ich zumindest, dass ich sie vertagen muss.

Das dritte Motto lautet, und darauf bin ich eventuell sogar selbst gekommen:
„Frauen halten die Welt zusammen!“

Das erlebe ich immer wieder, und in letzter Zeit besonders. Frauen melden sich, schrei- ben mal eben, rufen an, kommen vorbei, haben Kuchen und/oder hilfreichen Likör dabei, hören zu, sehen mehr, verstehen deshalb, umarmen, erfassen die Situation, wissen, was zu tun ist, krempeln mal eben die Ärmel hoch und packen an. Sie kümmern sich, nicht nur in Notzeiten. Weil sie wissen, wie es geht. Und weil sie wissen, wie sehr es hilft. Und wichtig: Ratschläge, die man gebrauchen kann, kommen von Frauen meistens auch erst dann, wenn man sie auch gebrauchen kann. Auch außerhalb von kritischen Phasen sind es doch eher die Frauen, die das Rad am Laufen und das Feuerchen warm halten. Natür- lich gibt’s auch Männer, die „soziale Kompetenz“ gut können, ich kenne sogar welche persönlich, aber ehrlich gesagt, gibt’s mir noch zuwenige davon. Ich hoffe aber.

Jedenfalls finde ich, mit diesen drei Mottos, Motti, Weisheiten kommt man ziemlich gut von einer Woche in die nächste. Eins davon passt immer, um sich wieder ein Stückchen zu bewegen. Das wollte ich nur eben sagen, bevor ich auch schon wieder weiter muss…

Das muss auch erstmal einer nachmachen: Doppelrespekt für’s Gegangenwerden.

Heute also wieder Arbeit. Nützt ja nix. Muss ja. Und sonst so.

Als ich ankomme, guckt mich die doofe Kollegin mit großen Plüschiaugen an und meint, ich solle gegen zehn mal zum Chef reinschauen. „Zum Alten?“, frage ich. – „Mhm.“, mehr kriegt sie nicht raus. – „Och, ich weiß schon, was der will… Dann geh‘ ich mal gleich, nech?“, sage ich, und denke aber: …bevor ich mir dieses Leidensbild hier noch länger angucken muss.

Ist doch wahr.

Drüben bietet man mir Tee an, aber ich verzichte wegen Magenmalesche und gucke mög- lichst aufgeweckt, aber nicht, zu.

Erstmal höfliches Geplauder: „Wieder gesund?“ – „Fast. Arbeitsfähig.“

Der Alte legt los: Jaaaa, man hätte sich ja schon vor einer Weile beraten, wie es denn mit unserer Abteilung… …Krise… …jetzt mal ehrlich… …Sparenmüssen… …brummbrumm… …etwas verkalkuliert… …schließlich sei es ja kein Gastrokonzept… …herumherum… …schrummschrumm… …er als Arbeitgeber… …nicht persönlich nehmen… …vom Wirt- schaftlichen her gesehen… …früher… …leiderleider…- kein neuer Vertrag im Februar.

Da werde ich wieder wach und versichere, dass ich, da ich ja pfiffig sei, mir das alles auch schon zusammengereimt hätte, es vom Kaufmännischen her sogar verstehen kön- ne, es selbstverständlich nicht persönlich nähme, da ich wüsste, dass man mit mir vollauf zufrieden sei. Und ich würd‘ schon was finden, weil ich ja schließlich ’ne patente Person sei.

Der Alte unübersehbar überrascht, aber angetan. Ich sei ihm durchaus auch als pfiffig aufgefallen, sogar eigentlich zu pfiffig für diese Position. (Abwinken meinerseits: „Hat mich aber nicht weiter gestört.“) Er sei mit mir, im Gegensatz zu meinen Vorgängerinnen, wirklich sehr zufrieden, da gäb’s kein Vertun. (Einwurf meinerseits: „Dann freu‘ ich mich schon auf ein schönes Arbeitszeugnis!“) Dann noch’n büschen Geplänkel, wirklich sehr schade, aber so sei es nun mal, da kann man nichts… er führe solche Gespräche übri- gens höchst ungern, denn man wisse ja nie, ob das Gegenüber nicht plötzlich weinend rauslaufe und so. Ich: „Och, ich bin ja froh, dass das nu‘ alles raus ist, sonst hätte ich hier bald mal angefragt. Ich hab‘ lieber, wenn man offen sagt, was Ambach ist und die Leber rausrückt“ (oder so ähnlich).

Also tatsächlich Erleichterung und irgendwie Augenhöhe auf beiden Seiten des Tisches und dann noch viel Glück und, na, zwei Monate sind’s ja noch und dennwollwamalwieder.

Ich gut gelaunt wieder rüber in „unser“ Gebäude. Und der Kollegin Augen…, man glaubt’s beinahe nicht, sind fast noch plüschiger geworden. (Kann man denn Belladonnatropfen noch immer frei in Apotheken kriegen?)

Ich sollte nun also mal kräftig was vorleiden, wollte aber nicht, weil tatsächlich eher gute Laune. Angeblich wisse sie die ganze Sache auch erst seit Montag. (Klar, deswegen soll ich ihr seit zwei Wochen schon dauernd zeigen, wie sie mit dem Computer auch mal allein klar kommt. Dafür hat sie sich im letzten Dreivierteljahr ansonsten ungefähr 3’n’halb Minuten lang interessiert.) Ewig lang nervt sie mich, sie werde mich sooo vermissen! („Mhm.“) Was sie denn alleine dann hier…! („Mhm.“) Es sei doch so eine irre gute Zeit gewesen! („Mhm.“) Es täte ihr so wahnsinnig leid! („Jup.“)

Nach zwei Stunden hatte ich es endlich geschafft, sie auf’s Wetter und auf eine Fernseh- sendung mit Ina Müller umzuschwenken. (Die ich allerdings gar nicht gesehen habe. Aber sie schon. Also, die Kollegin. Frau Müller sicher später auch noch mal.) Das war aber fast ebenso unangenehm wie das Kündigungsgeschwafel, weil die Kollegin eine mittelbe- rühmte Sängerin, die wohl da mit aufgetreten ist, fortwährend als „Yvonne Knatterfeld“ titulierte und sowas kann ich nicht leiden, wenn jemand über 10 ist. Zum Glück klingelte auch noch ab und zu das Telefon.

Später, als die Kollegin schon weg war, kam dann auch noch mal der jüngere Chef rüber, um noch mal nach mir zu sehen. Das fand ich sehr nett, muss ich sagen. Für einen Chef kann ich ihn nämlich gut leiden, weil man mit ihm ganz burschikos reden kann, ohne dass er sich herabgesetzt fühlt. Außerdem hatte ich schon im Sommer mitgekriegt, dass er mich offenbar auch schätzt.

Er war jedenfalls genauso überrascht, dass ich alles so mit Fassung trage. Die Frage, was ich denn sonst machen soll, beantwortete er bloß mit „Naja!“ Und dann erklärte er mir auch noch mal den ganzen Sums von weiter oben, dass er mit mir total zufrieden sei, er hätte auch überlegt, ob man mich nicht woanders und so… Und ich bekäme aber ein tolles Zeugnis! Ich war schon knapp davor, ihn zu trösten, konnte mich aber gerade noch zusammennehmen.

Am schönsten war aber, als er sagte, man sähe im Übrigen in der Geschäftsleitung sehr genau, dass die Kollegin ohne mich sicher ordentlich ins Eiern kommen wird. Computer- mäßig wisse sie ja recht wenig Bescheid, und vom Organisatorischen her ahne man auch reichlich, was ich da in letzter Zeit alles aufgefangen hätte. Er habe lange auch überlegt, ob man mich in eine andere Abteilung (ich pass‘ aber in keine andere Abteilung), oder aber mich lieber behalten und sie… „Gott bewahre!“, rufe ich schnell, „Das hatte ich ja nun schon länger mal gesagt, dass ich das gar nicht so gerne hätte.“ (Deren beknackten Job möchte ich nämlich nicht geschenkt und wenn sie mir bündelweise Euroscheine hin- terher werfen!) Aber falls mal was Passenderes frei würde, könnten sie mich gern anrufen. Er: „Das sowieso!“

Jedenfalls, auch dieses Gespräch endete mit Erleichterung darüber, dass nun alles offen gesagt und keiner sauer ist und man übereinkommt, die letzten zwei Monate noch wie gehabt und anständig rumzukriegen.

Und ich glaube fast, beide Chefs haben hinterher heimlich gedacht: Die Frau G., die hat so Körperteile, die man bei Damen normalerweise eher nicht findet.

Fixunfedsch…

Eben stand ich schon an der Straßenbahnhaltestelle und wollte zur Arbeit, als ich ich gemerkt habe, es geht einfach noch nicht. Mir ging’s zum Freitag hin eigentlich wieder gut, aber dann hat’s mich am Wochenende mittenmal umgerissen. Seit drei Tagen bös- artiges Magenkniepen, Bauchweh und einen Presslufthammer im Kopp. Und essen kann ich natürlich auch nichts, außer mal ein Zwiebäckchen und gestern ein halbes Tellerchen weißen Reis mit nix. Und deswegen seh‘ ich auch so ca. aus wie der Tod auf Latschen. (Sowas pflegte meine Mutter früher gern zu sagen, alternativ zu: …wie’n Schluck Wasser in der Kurve. Was Passenderes fällt mir grad‘ leider nicht ein.)

Also geh‘ ich lieber mal gleich zum Arzt, obwohl ich mir am liebsten nur noch die Decke über’n Kopf ziehen möchte. Aber es muss ja sowieso auch Tee und sowas eingekauft werden und vielleicht tut mir die frische Luft ganz gut…

Ach so, und was ich auch noch vermelden wollte: Die Jobaussichten in Braunschweig haben sich jetzt doch erledigt. Zwar schade, denn das wäre eine hübsche Überraschung geworden, aber realistisch gesehen ist es einfach nicht zu machen. Ich bleib‘ aber dran, im Moment habe ich gerade wieder ein paar Bewerbungen unterwegs. Für eine davon drücke ich mir selbst ganz doll die Daumen, denn da hätte ich auch wirklich große Lust drauf. In den nächsten Tagen rufe ich dort mal an und horche, wie die Stimmung ist…

Küchensofagedanken am Morgen (Teil 13) – Sinnlichkeit.

TheobrominenfuesseAlso ehrlich, hier habe ich lange nicht gele- gen… Tja, trauriger Mangel an Gelegenheit.

Aber ich bin gerade mal ein bisschen krank geschrieben und wo könnte man überraschend geschenkte Zeit besser verstreichen lassen als auf einem gemütlichen Sofa. Mit einer schönen Tasse Tee, warm in meiner Hand, die heute mal ganz ohne Eile getrunken werden kann.

Damit bin ich schon direkt beim heutigen Thema, das seit Wochen klammheimlich immer ein Stückchen näher an mich rückt, wie ein schüchterner Verehrer neben einem auf der Parkbank. Heute hat er dann endlich seinen Arm um mich gelegt und ich genieße das.

Die Sinnlichkeit hat mich wieder.

Nein, hier geht’s nicht um Sex… Jedenfalls nicht vordergründig. Wer was über Sex lesen möchte, muss auf der Plattform nicht lange suchen, bis er unter eine gelüpfte Bettdecke schauen darf. Der Brominen Decke bleibt gefälligst ungelüpft.

Es geht ja bloß um Schmecken, Riechen, Hören, Sehen, Fühlen.

Ungefähr seit einem Vierteljahr schleicht er sich wieder an, einer meiner liebsten Lebens- begleiter, der Geschmackssinn, der Hochgenuss beim Essen. (Nicht ganz umsonst zeige ich der Welt schließlich meine Zunge.) Natürlich habe ich auch vorher alles schmecken können, aber ich hab‘ immer wieder Phasen, in denen ich verstärkt zur Geschmacksjäge- rin werde. Dann will ich Neues, Ungewöhnliches, noch unbekannte Kombinationen, mir Gutes tun, mich verwöhnen und mal überraschen. Und dann darf es gerne, muss aber gar nicht unbedingt Schokolade sein. Ein feiner Wein, ein gutes Brot, ein neues Gewürz tun’s auch. Sich etwas genussvoll auf der Zunge zergehen zu lassen, von dem man weiß, dass in dieses Produkt vielleicht viel Sonne, Liebe und Könnerschaft eingegangen ist, ist doch wohl eine friedlichsten Handlungen überhaupt! So, eine kleine, zarte Praline zum Beispiel, an deren entzückender Form, Textur und komponierten Aromen sich ein Confiseur lange gemüht hat, happst man nicht einfach so weg wie Stulle.

Komm‘ mir jetzt bitte keiner mit getrüffelter Stopfgänseleber! Davon ist hier ja gar nicht die Rede. Ebensowenig wie von Austern oder Kaviar. Sowas hat Liebhaber, zugegeben. Vor allem doch aber, weil es teuer ist. Wer isst sowas schon zuhause, wenn keiner guckt? Eben. Natürlich mag ich auch mal einen schönen Champagner trinken, aber ein gut ge- machter Crémant für 8 Euro ist auch was Feines und ich behaupte auch gar nicht erst, dass ich den Unterschied überhaupt schmecken würde.

Aber den Unterschied zwischen einem Brot, das in Folientüte für 59 ct. beim Discounter rumliegt und einem, das ein guter Bäcker ganz in Ruhe und aus wenigen Zutaten bäckt, den schmeckt man sofort! Und den sollte man sich ruhig ab und an gönnen, auch wenn für’s Gönnen eigentlich nichts auf Tasche ist. Das hat auch was mit Selbstwertgefühl zu tun. (Ich weiß, wovon ich rede, denn auch hier gab’s Hartz-IV-Zeiten.)

Aber mal weg vom Essen, ich krieg‘ hier langsam Appetit und habe nix Anständiges mehr im Haus…

Der Geschmackssinn ist mir also wichtig, aber er ist ja nun nicht der Einzige. Ich war wohl schon immer ziemlich sinnlich und das auf allen Ebenen. Das hab‘ ich vermutlich von der Mutter. Gerüche z.B. rufen schnell Gefühle oder Erinnerungen in mir auf, aber das geht ja eigentlich jedem so. Ob es ein leicht feuchter Kellergeruch ist, der mich an das stets gefüllte, dämmrige Vorratslager meiner Oma erinnert oder aktuell der herbe Geruch von Herbstlaub, das feucht auf den Wegen liegt. Der metallische Geruch, den die Stadtluft im Sommer nach einem Regenguss hat, der Gestank nach Schwefel in der Silvesternacht (den ich aber komischerweise mag) oder wenn mein Nachbar eine seiner scheußlichen Zigarillos raucht (was ich eher nicht so…). Und dann wieder: frisches Brot, Gurkensalat, Erdbeeren, Freilandrosen, Kaffee, das Fell einer Katze, die eben in der Sonne gelegen hat, und natürlich: frisch gemähtes Gras. Stars der Geruchshitparade.

Und jetzt das Hören: Die Geräusche im Haus, Kinder streiten sich auf der Straße, ein Auto fährt langsam vorbei. Im Sommer zirpt’s im Gras und wer Glück hat, hört Lerchen über den Feldern. Mein Lieblingsgeräusch? Das kennt ihr: Das Rauschen der Pappel vor meinem Haus. Das zweitliebste? Das lass‘ ich Euch mal raten… Mal abwarten, ob Einer drauf kommt. *g* – Wo war ich? Ach ja: Und Musik! Natürlich…

Und Stille.

In der Stille zu zweit sein und sie teilen. Unvergleichlich. Da ist viel Platz zum Sehen und Fühlen.

Kleiner Schlenker:
Gestern hab‘ ich einen kurzen Bericht über James Turell und sein „Wolfsburg-Projekt“ (Video beachten!) ferngesehen, da ging’s unter anderem um die Fühlbarkeit des Lichts. (Ich weiß von mir, dass ich auch mit verbundenen Augen sagen kann, ob das Licht an oder aus ist. Ist gar nicht so schwer, lohnt sich mal, zu probieren.) Turell hat übrigens schon vor Jahren einige Installationen im Hannöverschen Sprengel-Museum angelegt, die mich immer sehr angesprochen haben. Die Stadt Wolfsburg an sich hingegen fand ich bisher immer eher uninteressant, weil ich da eigentlich bloß an Autos denken muss, aber jetzt will ich dann doch mal hin!

Ich weiß nicht, wieso, aber manchmal frage ich mich, ob ich ohne das Sehen auskommen könnte. Ich hoffe, das ist keine schlimme Vorahnung oder sowas. Jedenfalls denke ich dann: ich habe soviele Bilder in mir, die könnte ich dann doch aufrufen… Trotzdem, wen überrascht’s, hätte ich das eher ungern, denn gerade in der Gegend rumgucken gefällt mir besonders gut.

Das Fühlen und der Tastsinn; – ich glaube, von diesen Beiden kriegen wir oft gar nicht so viel mit, denn die Wahrnehmung nimmt uns viel weg, damit wir nicht plötzlich mal balla balla werden. Dass wir Klamotten tragen, merken wir z.B. über’n Tag kaum, wenn nicht gerade die Hose kneift. Eigentlich müssten die Nerven die ganze Zeit Funken: Kontakt hier, Kontakt da. Machen sie aber nicht, weil sie oft viel lernfähiger sind als ihre Besitzer. Trotzdem lege ich Wert darauf, mich lieber mit angenehmen Materialien zu ummanteln. Am liebsten habe ich ganz, ganz weiche, zarte Baumwolle. Samt ist auch schön. Seide ist mir zu kühl und Wolle darf auf gar keinen Fall kratzen, schon allein, weil mein zarter Schwanenhals so empfindlich ist, dass ich das Kitzeln meiner eigenen Haare daran schon manchmal zu viel finde. Polyester soll übrigens meinetwegen bleiben, wo sie will. Und das sind jetzt nur Materialien, die in der Kleidung stecken können und Berührung ganz neben- bei und unbewusst auslösen.

Da gibt’s aber auch noch die ollen Küsse der ungeliebten Tante, die man jahrzehntelang lieber vergessen möchte. Oder einen frischen Luftzug im Wohnzimmer. Strahlende Ofen- wärme. Haareziepen beim Kämmen. Das Gefühl, barfuß in ’nem Bachbett herumzulaufen. In eine heiße Wanne zu sinken. Sonne auf der Haut zu haben, oder sogar geliebte fremde Haut. Ausgekitzelt werden. Eine glatte Kastanie in der Tasche umfassen.

Wie gesagt, die Sinnlichkeit hat mich wieder, ist hochwillkommen und darf sich oft über volle Aufmerksamkeit und Zuwendung freuen. Und jetzt muss ich mal einkaufen: Gucken, Tasten, Schnuppern…

Und Ihr? Tut Euch was Gutes…

Neueste Erhebungen haben ergeben…

…dass ich vielleicht bald ein Riesenproblem weniger habe.

Und das kommt so:
In meinem Job, der mir ja eigentlich Spaß macht, der mir aber durch die harten und ner- venraubenden Bedingungen immer wieder verleidet wird und mich oft zuviel Kraft gekostet hat, gibt’s bald Veränderung. Und die kommen jetzt direkt von der Geschäftsleitung, die offenbar Pläne hat, die ich noch nicht ganz durchschaue, aber ich rechne mit Allem.

Klarer: Mir wurde Anfang der Woche mitgeteilt, dass bei uns umstrukturiert wird. Veran- staltungen finden ab Jahreswechsel nur noch zu zwei bestimmten Tagen in der Woche statt, einige werden ganz gestrichen. Zu den gestrichenen gehört die am Mittwoch, der somit jetzt bald nicht mehr mein Horrortag ist. Jeden Mittwoch bin ich in diesem Jahr völlig fertig nach Hause gekommen und das steckte mir dann in den Knochen bis zum Wochenende. Auch Führungen werden bald bis auf Weiteres nicht mehr durchgeführt. Das bringt Ruhe rein und leichtere Planung. Allerdings bedeutet das auch, dass ich in Zukunft kaum noch mit Gästen zu tun bekomme, was ich natürlich total schade finde, weil genau das mir (wenn die Gäste nett waren, und das waren sie zum Glück oft) be- sonders viel Spaß gemacht hat.

Im Moment sieht es so aus, als hätte ich dann nur noch mit Vorbereitungen und Büroar- beit zu tun. Entschieden wurde das, weil wir immer wieder geklagt haben, dass die viele Arbeit zu Zweit (oder vielmehr zu Anderthalbt, weil die Kollegin ja keine volle Stelle hat), eigentlich kaum zu schaffen ist. Oder eben nur, wenn wir ständig am Rande der gerade noch so rausleierbaren Kapazität gearbeitet haben. Eigentlich wollte die Kollegin mehr Stunden machen, aber das wurde abgelehnt. Nun wird also das Arbeitsaufkommen angepasst.

Allerdings wurde jetzt so sehr angepasst, dass mir heute blitzartig der Gedanke kam, dass man eventuell nicht vorhat, meinen Vertrag zu erneuern, der ja Ende Januar ausläuft. Dann kann die Kollegin die Chose zur Not nämlich alleine wuppen.

Wie es auch ist, ist es für mich gut.

Wenn mir der Teil, der mir am ehesten Ausgleich für den Stress war, genommen wird, fällt es mir gleich viel leichter, die Segel dort zu streichen. Und wenn sie mir doch einen weiteren Vertrag anbieten, und ich erstmal bleibe, muss ich mich nicht mehr so abschuf- ten. Aber ich bin trotzdem weg, sobald sich eine neue Tür öffnet. Die haben mir da echt das Mark aus den Knochen gezogen, und die Kollegin hat mich mit ihrer falschen Art unheimlich aufgerieben. Solche Leute darf man nicht zu lange um sich haben.

Ich bin ja immer froh, wenn ich weiß, wo ich anpacken kann, damit’s weitergeht. Die nächsten Wochenenden verbringe ich mit Stellenzeigen und leiser Vorfreude, glaube ich.

Happy Phantom

„And if I die today I’ll be the Happy Phantom
And I’ll go chasin‘ the nuns out in the yard
And I’ll run naked through the streets without my mask on
And I will never need umbrellas in the rain
I’ll wake up in strawberry fields every day
And the atrocities of school I can forgive
The Happy Phantom has no right to bitch

Ooh-whoo the time is getting closer
Ooh-whoo time to be a ghost
Ooh-whoo every day we’re getting closer
The sun is getting dim
Will we pay for who we been

So if I die today I’ll be the Happy Phantom
And I’ll go wearin‘ my naughties like a jewel
They’ll be my ticket to the universal opera
There’s Judy Garland taking Buddha by the hand
And then these seven little men get up to dance
they say Confucius does his crossword with a pen
I’m still the angel to a girl who hates to sin

Ooh-whoo the time is getting closer
Ooh-whoo time to be a ghost
Ooh-whoo every day we’re getting closer
The sun is getting dim
Will I pay for who I been

Or will I see you dear and wish I could come back
You found a girl that you could truly love again
Will you still call for me when she falls asleep
Or do we soon forget the things we cannot see

Ooh-whoo the time is getting closer
Ooh-whoo time to be a ghost
Ooh-whoo every day we’re getting closer

The sun is getting dim
Will I pay for who I been

And if I die today
And if I die today
And if I die today
Chasin‘ the nuns out in the yard…“

(Tori Amos rettet mir zum ungefähr 3.279 Mal das Leben…)

Saunier‘ mir!

Freundin T. hat rigoros entschieden, ich bräuchte jetzt „was Warmes, Kuscheliges“, und wo sie Recht hat, hat sie nun mal Recht. Es stellt sich dann aber raus, dass sie bloß mit mir in die Sauna will. Und weil ich am Wochenende direkt mal eben 1 1/2 Kilo abgenom- men habe, finde ich mich auch ausreichend schön dafür. Das finden eventuell auch die anderen Saunierer, denn wenn nicht neugierig geguckt wird, dann erklärt man uns sogar gerne, wo wir was am schönsten machen können, obwohl wir eigentlich gar nicht gefragt haben und nur so gucken.

Wir saunen antizyklisch, Freundin T. und ich. Antizyklismus bringt’s. Das ist nicht etwa ein neuer Wellness-Trend, sondern bedeutet lediglich, dass immer da, wo wir reingehen, die Anderen gerade rauswollen. Das Gute dabei ist natürlich, dass wir auch in der Sauna schwatzen können und uns ohne die Aufgüsse dabei sogar sehen können, weil keine lästigen Dampfschwaden zwischen uns wabern.

Wenn wir fix und fertig sind, gehen wir ins Wasser.
Und dann kommen wir wieder raus und legen uns in den Ruheraum.

Saunageschredder Einer der beiden Ruheräume ist ein riesiges Holzgebäude im Garten, mit luftiger Decke und Kamin. Es heißt sogar „Silentium“ und drinnen herrscht absolute Stille. Bis auf das Herumgekrame der Ruhenden natürlich.

Außerdem ist ein Holzgranulat ausgestreut, das fast soviel Lärm macht wie frisch ge- harkter Kies. Und wenn man die Schlappen auszieht, muss man ganz tapfer sein und sich zusammenreißen, um nicht vor Fuß- schmerzen laut „Kartoffelsalat!!!“ zu rufen.

Der Planer muss ein Witzbold gewesen sein, der bestimmt immer noch zuhause sitzt und sich verschmitzt die kleinen Händchen reibt vor Schadenfreude.

Kaum, dass wir liegen, kommt ein Fräulein vom Personal sehr leise durch die Tür, macht sehr leise die Kamintür auf, legt ausgesprochen leise ein paar Scheite hinein und versucht dann, leise ein Blatt Zeitungspapier zu zerknüllen. Wer Spaß dran hat, kann jetzt ja mal raten, ob es ihr gelungen ist…

Als wir fertig „geruht“ haben, und wieder in den Saunabereich wollen, hält uns ein netter Herr die Tür auf. Prompt kommen noch jede Menge andere Gäste und er kann die Tür nicht loslassen. Verdammte Höflichkeit. Ich sage noch: „Na, da haben sie jetzt aber den Abend lang zu tun, was?“, da hält uns zufälligerweise sein Freund gleich noch die zweite Tür dahinter auf. Wir bedanken uns artig und bekommen daraufhin den Türaufhalter sofort als „Hermann“ angeboten. Ich gucke kurz, brauchbar sieht er ja aus, der Hermann, aber dann fällt mir ein, dass ich ja noch drei Hermänner zuhause habe. Bei denen handelt sich zwar um Teig, aber Kuchen ist mir eventuell zurzeit ohnehin lieber. Der streitet sich nicht mit mir rum, und wenn, bring‘ ich ihn einfach um die Ecke und trinke noch Tee dazu.

Wir lassen Hermann also links liegen und muckeln uns wieder ins Warmheiße, bevor ich mich unter Fiepen komplett in sehr, sehr kaltes Wasser tunke, und wir danach im zweiten Ruheraum landen. Dort überlege ich bald, mal heimlich eine Kamera aufzustellen, die den ganzen Tag nur das ewige Deckenauf- und Zugefalte filmen darf. Jeder, der kommt, findet eine gefaltete Decke vor und hinterlässt eine ebensolche. Ein Kommen und Gehen und Wedeln und Ausschütteln und Falten ist hier an der Tagesordnung, dass die Luft nur so zirkuliert! Später stellen wir sogar fest, dass es wohl sogar den Beruf des Deckenfalters geben muss, denn da läuft einer vom Personal herum, der tut nichts anderes, als Decken zu falten. Ich stelle mir dann vor, wie ich irgendwo einen netten Herrn kennenlerne, und dann frage ich ihn, was er denn so beruflich tut. Und dann sagt der: „Ich bin Plaidfolding Manager in einem großen Wellness-Unternehmen!“

Weil T.’s Magen inzwischen so laut grumbelt, dass wir gegen die Ruheverordnung versto- ßen, kehren wir im Bistro ein. Ich bin entsetzt, dass sie dort gar nicht mehr dieses irre leckere Roastbeef mit Bratkartoffeln auf der Karte haben, auf das ich mich schon den ganzen Tag gefreut habe. Als ich mich dann endlich für die Entenkeule in Orangensauce entscheide, gibt’s die auch nicht mehr. T. bemüht sich, während des Essens nicht einzu- schlafen und ich versuche, die Beinchen adrett übereinanderzuschlagen. Es geht leider nicht, weil der Tisch zu niedrig ist. Wahrscheinlich hat den ebenfalls das Männlein entworfen, das auch das Granulat auf den Gewissen hat.

Als wir kurz darauf noch mal ruhen wollen, sind T.s Füße vom Essen so schwer gewor- den, dass sie ihre Liege fast nur mit tatkräftiger Hilfe nach hinten gekippt bekommt. Zum Glück ist Hermann grad‘ außer Sichtweite. Ein paar Reihen hinter uns hält sich jemand auf, den wir zwar auch nicht sehen können, aber: Ey du! Du, mit der rascheligen Plastik- tüte, in der du minutenlang herumgesucht hast, nur unterbrochen vom hektischen Auf- und Zuziehen des Reißverschlusses deiner Sporttasche, bis du dann unter lautem Schlapfen und Türenklappen den Raum verlassen hast: sag‘ uns ruhig nächstes Mal Bescheid, wenn du in die Sauna gehst! Ich bring‘ dann meine Bohrmaschine, den Staub- sauger und meine anstrengende Kollegin mit, dann wollen wir doch mal sehen! – Keine Ahnung, wie T. bei dem Lärm schlafen kann… Ich liege wach, gucke den hellen Nebel- schwaden draußen zu, die vom Solebecken aufsteigen und versuche, was Schönes zu denken.

Als T. wieder wach wird, saunieren wir noch mal, tauchen uns in noch kälteres Wasser (mindestens – 10 °C, wahrscheinlich Flüssigstickstoff), ruhen noch mal (eine Frau, die vor uns schläft, seufzt auf eine Weise, der man anmerkt, dass sie sich im Traum ausgespro- chen wohl fühlt. Ich würde ja jetzt gern behaupten, dass ich das war, aber das wäre leider gelogen.), dann reibt sich T. aus Versehen noch statt mit Körperlotion mit Duschgel ein, und dann gehen wir.

Und sind uns wieder mal einig: sowas machen wir jetzt öfter.