Diesmal sind nur sehr junge und sehr alte Menschen im Zug, nur Teenager und Senioren, eigentlich. Das bedeutet, die Geräuschkulisse besteht aus Großgetöne, welche Helden-
taten man kürzlich erst begangen hat oder bald in Angriff zu nehmen gedenkt, und was Nadine wo wann zu wem gesagt hat, und dass das ja wohl die Höhe sei! Das Ganze wird untermalt von leisem Gehüstel und Bonbonpapiergeraschel in Popelinejackentaschen.
Mir gegenüber sitzt eine ältere Dame in einem teuren Hosenanzug und schmollt ihren Mann an. Sie glaubt, ich sitze auf ihrem Platz, was aber nicht stimmt, denn ich habe extra hier am Tisch reserviert, damit ich mein Notebook auspacken kann und mich unter-
wegs nicht langweilen muss. „Komm, dann setzen wir uns eben hier drüben hin!“ hat sie vorhin zu ihrem Mann gesagt, „Wir hatten ja extra mit Tisch, aber jetzt sitzt die Dame da… Dann bleiben wir eben hier drüben!“
Dabei sind ja noch drei Plätze um mich herum frei, zwei davon sind wahrscheinlich ihre, aber sie wollen lieber „alleine“ sein. Meine freundliche Auskunft, dass ich hier durchaus sitzen darf, weil ich ebenfalls reserviert habe (und nur die Zahlen besser lesen kann als sie), beantwortet Madame mit: „Na, das war vermutlich so eine Expressreservierung oder so was…“
Keine Ahnung, was das sein soll, aber ganz offenbar ist es was Dritt- oder Viertklassiges. „Express“ könnte aber hinkommen, denn ich habe die Reservierung vor einer geschlage-
nen Woche vorgenommen und das dürfte in etwa das sein, was man bei der Bahn unter „Express“ versteht. Ihrem Mann ist das alles übrigens herzlich schnurz, er hat bestimmt sein Hörgerät ausgeschaltet und liest in Ruhe seine Zeitung, dieweil Madame aus dem Fenster schmollt. Also vermutlich alles wie sonst auch zuhause.
Nun liest sie uns aber vor, dass es ja mit den Tomaten „ganz schlimm“ sei. „Wir“ liefern nämlich angeblich unsere Tomaten nach Ghana und bringen damit die ghanaische Toma-
tenindustrie total durcheinander. Und außerdem müssen die Italiener inzwischen „von den Chinesen geklontes Tomatenmark“ essen!
Jaja, immer diese verrückten chinesischen Wissenschaftler! Jetzt klonen sie schon armes Tomatenmark! Ob nun Dose oder Tube stand leider nicht dabei. „Aber!“, holt sie aus, und verfügt energisch: „Wir essen trotzdem weiter Tomaten!“
Und damit hat sie’s der Welt und mir aber richtig gezeigt.