1…, 2…, 3…

Ich habe eine Freundin. Ich weiß gar nicht, wie alt sie ist, aber ich geh‘ sie oft besuchen und habe hier auch schon manchmal von ihr erzählt. Als wir uns vor über 10 Jahren ken- nenlernten sah sie noch ungefähr so aus, eine stolze, alte Dame:

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Ich ging zu ihr, wenn ich ein besonders schweres oder leichtes Herz hatte, oder einfach bloß mal so… Dann lehnte ich mich an sie oder kletterte vorsichtig auf ihren Rücken und blieb gern ein halbes Stündchen. Gelegentlich fragte ich sie sogar um Rat und glaubte, dass sie mir eine Antwort andeutete. Und vor zweieinhalb Jahren dachte ich auch mal, es bedeute etwas Bestimmtes, als ich sie von einem schweren Sommersturm niedergebro- chen fand. (Das obige Foto war nur Tage vorher entstanden, als wollte sie sich noch mal in ihrer ganzen Pracht zeigen.) Ich war erschüttert und wusste, es war auch irgendwie ein Zeichen für mich. Doch ich deutete es damals etwas anders, als ich es heute tue.

Vor ein paar Tagen nun war ich wieder bei ihr, denn mich beschäftigt etwas. Sie sieht, besonders jetzt im Winter, auf den ersten und auch zweiten Blick traurig aus:

Weide_10

Doch ich habe gesehen, dass sie trotz ihres mittendurch gespaltenen Stammes in jedem Frühjahr weiter austreibt und ihre Finger dem Licht und der Wärme entgegenstreckt, und so wird es auch in diesem Jahr sein…

Ich legte mich also neulich in ihre Umarmung und machte meinen Kopf ganz frei.

– Und da war es:

Weiden_3

Es war da, seit Jahren. Aber gesehen habe ich sie jetzt erst, die 3. (Dreien müssen rot sein.)

Haltet mich ruhig für für eine Esoterik-Schwurbeline, aber die 3 tauchte schon in meiner Kindheit immer da auf, wo ich einen Tipp, eine Richtung oder etwas Magie & Mut brauch- te. Sie ist mir viel mehr als eine Lieblingszahl und ich könnte jetzt viel dazu erzählen. Von lustigen, unglaublichen und wunderbaren Begegnungen. Vielleicht ein andermal…

Es gibt jedenfalls ein feines Lied von Wir sind Helden – „Die Zeit heilt alle Wunder, darin:

Zaehl_bis_3

Und darum…

immer_zum_Licht

Transportier‘ mir!

Jedes Jahr das Gleiche: Die Bromine wackelt los, um sich ihr Bäumchen aus dem Bau- markt zu holen. Gern darf es auch ein bisschen krumm und ungleichmäßig gewachsen sein, dann passt es, zumindest, äh…, mental, ganz gut zur Gastgeberin.

Es folgen: professionelle Festschnallung, mitleidige Blicke und eigentlich immer ein paar „fachmännische“ Kommentare, die ich aber alle überhöre; – bis jetzt habe ich nämlich noch jeden Baum (und noch ganz andere Sachen!) prima so nach Hause bekommen. Das können die Nachbarn, die dann gern auf dem Fensterbrett hängen und grienen, auf Nach- frage auch gern bestätigen.

Tannebaumtransport

Und nein, ich habe mich nicht obendrauf gesetzt und bin gefahren!

Alle Zeichen stehen auf Sturm.

Gestern war Freundin T. hier, um mich zu warnen.

Naja, eigentlich war sie hier, um mit mir einzwei Schokoliköre auf die neuesten Entwick- lungen zu trinken, die sie vor Jahren mal von irgendwoher für mich herbeigewünscht hatte. Und mich nebenbei zu warnen. Erstmal kam sie aber in guter alter Tradition ein Viertel- stündchen zu spät und machte sich aber (wie immer) die Mühe, extra deswegen vorher anzurufen. Das war aber auch ganz gut so, denn sonst hätte ich die dünnen Spaghetti womöglich zwanzig Minuten gekocht statt fünf, um sie heiß auf den Tisch zu kriegen, und das hätte denen nicht gut getan.

Als T. dann da war, erzählte sie, sie hätte auf Arbeit noch schnell was fertig machen müs- sen, weil sie sich für heute spontan frei genommen hat. Wegen der Sturmkatastrophe, die angeblich auf uns zurast. Davon hatte ich noch gar nicht gehört! „Doch, doch“, meinte sie, „das soll sogar noch schlimmer werden als Kyrill! Da möchte ich lieber nicht auf der Land- straße unterwegs sein.“ Wenn ich sowas höre, kriege ich ja immer gleich Gänsehaut, weil ich Angst um meine Pappel habe. Die steht auf der anderen Straßenseite und rauscht mir von da aus zu. Sie fühlt sich wahrscheinlich etwas allein, seit „Kyrill“ damals mitten in der Nacht ihre Schwester umgefegt hat. Pappeln haben ja so schwächliche Wurzeln…

T. meinte dann noch, es sollen heute wohl gegen Mittag Schnee und Eis über uns herein- brechen, ganz wilde Sachen also, und ich dachte daran, dass ich genau gegen Mittag zu einem unangenehmen Termin müsste. Wenn es nach mir ginge, würde der kommende Sturm mal lieber das entsprechende Gebäude umknicken und meinen Baum stehen las- sen, aber ich fürchte, das ist wohl ein bisschen viel verlangt.

Freundin T. und ich erinnerten uns dann noch an vergangene Wetterkatastrophen. (Mir fällt jetzt noch spontan ein, wie ich ’78 oder ’79 mal tatsächlich eine Woche schulfrei hatte, weil die Schneewehen bis an unseren Balkon ranreichen. Wir wohnten übrigens im Hoch- parterre.) Zum Beispiel gab es auch Ende der Neunziger mal einen ordentlichen plötzli- chen Wintereinbruch. T., die damals noch meine Chefin war, hatte mich morgens noch angerufen, um mir den guten Tipp zu senden, ich solle mir unbedingt dicke Strümpfe über die Schuhe ziehen, damit käme man auf dem Glatteis ganz gut voran. Leider war ich da schon längst unterwegs und brauchte dann irre lang, um hier über die gewölbte Benno- Ohnesorg-Brücke drüberzukommen, weil ich immer wieder zurückrutschte. Zum Glück war ich da nicht die Einzige, deswegen war es eigentlich ganz lustig. Die Filmaufnahmen dazu hätte ich übrigens ganz gern.

Und dann gab’s ja noch dieses Blitzglatteis zu Weihnachten 2002, oder wann das noch mal war. Da hatte ich ausnahmsweise mal meine Mutter am Heiligabend eingeladen. Und sie kam auch tatsächlich aus Celle angefahren, im Schritttempo, und dann war der Ofen aus. Es gab kein Zurück und sie musste hier bleiben, bis die Straßen wieder frei waren.

– Eine Katastrophe!

Pfotenlose Hosen wären mir lieber.

Heute habe ich was gemacht, was ich bestimmt schon ein halbes Jahr nicht mehr gemacht habe. Und ich weiß eigentlich gar nicht richtig, warum ich es so lange nicht mehr gemacht habe, denn als ich’s vorhin machte, merkte ich sofort, wie sehr es mir gefehlt hat.

Ich hab’ meine Runde gedreht.

Will sagen, ich habe einen Spaziergang gemacht. Und zwar genau so einen, wie ich ihn jahrelang gemacht habe, d.h. immer dieselbe Strecke, immer der gleiche Weg. Sicher gibt es Menschen, die die Vorstellung, immer dieselbe Route zu nehmen, fürchterlich langweilig finden. Doch für mich hat dieser Spaziergang etwas Rituelles, auch was Medi-
tatives, Ordnendes.

Eine Gesundheitsfrau hat mir mal gesagt, ich sei wie ein Dampfkochtopf. Ich stünde im-
merzu unter einem inneren Druck, sähe aber von außen ganz unauffällig aus. Damals hab’ ich mich glatt irgendwie ertappt gefühlt. Allerdings haben Dampfkochtöpfe zum Glück ein Ventil, damit einem die Pellkartoffeln nicht einfach so um die Ohren fliegen. Mein Ventil ist „meine Runde“. Die dauert ungefähr eine Stunde, und ich gehe immer ziemlich forsch los und werde dann langsam langsamer.

meine_Runde_1Der Weg ist, wie ja schon gesagt, immer derselbe, und macht für mich sowas wie die Mitte aus. Außen verändert sich die Landschaft mit den Jahreszeiten und dem Wetter, so dass ich nie zweimal dasselbe sehe. Innen sind meine Gedanken, die sich beim Gehen ordnen. Durch die Bewegung werden sie wie durchgesiebt; – alles, was kleiner und nicht so wichtig ist, fällt durch die Maschen; – oben liegen bleibt, was Betrachtung nötig hat.

Ich gehe zunächst ein bisschen an der Ihme entlang, dann komme ich irgend-
wann unter einer Eisenbahnbrücke durch. An dieser Stelle denke ich jedes Mal an diese Szene aus „Cabaret“, in der Sally Bowles und der verklemmte Englischlehrer unter der Brücke stehen und auf den lauten Zug warten, damit sie mal so richtig losschreien können.

– Ich trau’ mich das nie.

Kurz danach gehe ich über eine kleine Holzbrücke, und dort kann ich nicht anders, es ist wie ein Reflex: ich schaue immer, ob ich im Bach darunter vielleicht doch mal das Euro-
stück blinken sehe, das ich vor Jahren mal symbolhaft dort reingeschmissen habe, als ich von dem rechtmäßigen Besitzer dieses Geldstücks furchtbar enttäuscht und verletzt wor-
den war. Dass es nun ein olles Eurostück war, ist vielleicht ein bisschen albern, aber ich hatte eben gerade nichts anderes von ihm zur Hand. Eigentlich hätte ich ihn damals in den Bach schmeißen und mir von dem Geld ein Eis kaufen sollen, aber man ist eben oft erst hinterher klüger. 

Nach der Brücke ist es nicht mehr weit zu einer alten Weide, die ich gern besuche. Sie ist vor einem guten Jahr bei einem Sturm umgestürzt, lebt und grünt aber munter weiter, die zähe alte Dame. Ich bilde mir immer ein, sie kann hören, was in mir so saust und braust, und sagt mir dann: Jetzt beruhige Dich erstmal…

Heute wollte ich mich gern mal wieder ein bisschen an sie lehnen, mal fragen, wie’s so geht, die Sonne genießen und dem allgemeinen Vogelgepiepe in ihren Ästen zuhören, als plötzlich ein kniehoher, bis zum Hals nasser und schlammiger Hund auf mich zugestürzt kommt und in mir wohl seinen lang vermissten Spielkameraden wiederzuerkennen glaubt. Das mittelalte Herrchen in wurstigem Anorak steht schon etwas weiter weg und ruft halb-
herzig nach ihm. Das Vieh springt sofort an mir hoch und kriegt sich vor Begeisterung gar nicht mehr ein. Zum Glück ist er ein durchaus freundlicher Hund, aber mir persönlich jetzt einfach zu ungestüm. Ich versuche es mit: „Aus! Ab zu Herrchen!!“ und „Pfui!“. Sinnlos. Herrchen pfeift derweil durch die Zähne, ruft wieder, rührt sich selbst aber keinen kleinen Zentimeter. Inzwischen hat mir der Hund meine frisch gewaschene Jeans und die Turn-
schuhe ordentlich mit Pfotenabdrücken eingesaut.

Ich rufe dem Hundebesitzer zu, sein Hund höre ja wohl nicht besonders und er solle jetzt gefälligst mal selbst herkommen und mir das Tier vom Leib halten. Der Typ pfeift und ruft lahm ein bisschen weiter, obwohl der Nutzen inzwischen offensichtlich ist, und ist nach wie vor zu faul, sich auf uns zuzubewegen. Er müsste dafür schließlich gute hundert Me-
ter seines Spazierganges zurückspulen und dann erneut laufen. Das ist natürlich schon irgendwie unzumutbar. Es dauert also noch eine ganze Weile, bis der Hund endlich von mir ablässt und seinem Herrn doch noch hinterherwetzt. Ich bin richtig sauer und meine Hose sieht aus, als wär ich damit auf ’nem Festival gewesen. Eine Entschuldigung be-
komme ich natürlich auch nicht. Kurz überlege ich, ob ich den beiden hinterher soll, um mir den ignoranten Kerl mal aus der Nähe anzugucken, aber ich male mir meine Erfolgs-
aussichten auf einen vernünftigen Wortwechsel als gering aus und lasse es eben sein.

meine_Runde_2Gerade bemüh‘ ich mich, den Vorfall innerlich ab-
zuhaken und beobachte ein paar Rotkehlchen und Baumläufer beim Beerenpicken, da sehe ich einen anderen Mann mit Baseballkappe und Bril-
le, der mit seinem Fahrrad am Bach entlangfährt, immer wieder anhält und dann am Ufer suchend herumspäht.

Und denke so bei mir: Hat der da vielleicht verbo-
tenerweise irgendwelche Angelschnüre liegen? Schließlich ist das ein Naturschutzgebiet hier und da darf nicht jeder alles. Als ich mit ihm auf gleicher Höhe bin, wirkt er merkwürdig verlegen, nestelt sein Handy raus und ich muss mich gar nicht anstrengen, ihn sagen zu hören: „Ich bin’s! Ich bin an der Aue. Die Leichen…“
Der Rest geht in Bäumerauschen unter.

Mir wird ganz anders. Mein Gang wird hölzern. Welche Leichen denn, um Himmelswillen?!

Doch dann fällt zum Glück bald der Groschen. Er meint: „Die laichen…“. Es scheint hier um Fische oder Amphibien zu gehen, und der junge Mann ist vermutlich ein Umweltschützer oder sonstwie Naturbeobachter. Puh! Wie schnell das Karussell im Kopf doch lossausen kann!

Die nächste Viertelstunde gehe ich ruhig und in Gedanken. Aus Satzfetzen bilden sich Ketten, alles sucht sich seinen Platz. Ich lausche auf die Geräusche um mich herum: ei-
ne empörte Ente, ein ferner Zug, das letzte Abschiedsrauschen der Blätter, bevor sie zu Boden fallen und stumm werden.

Als ich mit meiner Runde fast fertig bin, sich in mir manches sortiert hat, fällt mir auf, dass ich immer wieder versuche, mal andere Vögel zu entdecken als Meisen, Grünlinge, Krähen, Elstern und Amseln. Als wären die einen interessanter als die anderen. Dabei sieht man manche Arten eben bloß so oft, dass sie sowas wie „Inventarvögel“ werden. Die stehen wie selbstverständlich und zuverlässig in fast jeder Landschaft herum.

meine_Runde_Inventarkrähe

Während ich das so denke, fliegt eine Elster keckernd über mich weg. Sicher bin ich mir nicht, aber vielleicht hat sie ja gedacht: Noch so’n „Inventarmensch“. Ich möcht’ hier ei-
gentlich auch mal wieder prächtigen ’nen Eskimo sehen…

Rauschende Zeiten

Vor ein paar Tagen ist mir übrigens aufgefallen, dass ich das Blätterrauschen von Pappeln inzwischen mit geschlossenen Augen erkennen kann. Gegenüber meinem Haus wohnt ja eine mächtige Pappel, auf die ich auch jeden Morgen als erstes gucke. Und eben ihr Rau-
schen ist inzwischen längst eines meiner Lieblingsgeräusche geworden.

Neulich, unterwegs auf einer Radtour, hörte ich dann nämlich genau dieses Geräusch fes-
ter, glatter Blätter und wusste mittenmal ohne hinzugucken: Aha, da drüben: Pappeln. Birken rauschen nämlich z.B. ganz anders, – die puscheln mehr…

Das Jahr der fallenden Bäume

Wenn’s im Kopf saust und braust und alle Gedanken und Fragen gleichzeitig dran kommen wollen, gehe ich Spazieren. Der Rhythmus der Schritte bringt Ordnung ins Hirn und Ruhe in den Rest. Die Runde, die ich am liebsten gehe, führt mich an einer alten Weide vorbei. Ich meine, es wäre eine Knackweide.

 Weide1

Sie stand an einer großen Wiese, die von zwei Bächen umspült wird. Die alten Äste hingen tief und waren ideal, um darauf zu sitzen und über die Wiese zu schauen. Auf der Wiese kann man in der Dämmerung oft Kaninchen sehen und Graugänse, tagsüber sogar Falken, wenn man viel Glück hat.

Oft habe ich hier gesessen, wenn mich etwas sehr beschäftigte. Irgendwann mal entdeckte ich, dass jemand ein Herz in den Stamm geritzt hatte. Eins mit Initialen: D+K. Ich schwöre, dass ich das nicht war. Es haben ja noch andere Leute Vornamen, die so beginnen, aber merkwürdig fand ich es doch. So konnte ich ungefähr zwei Jahre beobachten, wie das Herz langsam nachdunkelte. Irgendwann war es nur noch für den zu sehen, der wusste, wo er gucken muss. Und Irgendwann guckte ich nicht mehr.

Vor ein paar Wochen habe ich hier noch mit V. auf der Wiese gepicknickt und der Weide ging es gut. Sie stand gebückt, wie alte Damen das manchmal eben tun. Und ausgerechnet heute, wo mir so viel durch den Kopf geht, finde ich sie so vor.

 Weide2

(Scheint das Jahr der fallenden Bäume zu sein. Das muss neulich passiert sein, als es gestürmt hat und ich so Sorge hatte um die Pappel vor meinem Fenster. Ihre „Schwester“ war ja von Kyrill umgeworfen worden. Nun also auch noch „meine“ Weide.)

Ich klettere vorsichtig auf ihren Stamm und nehme dort noch mal Platz. Ich werde aber gar nicht richtig traurig, weil mir plötzlich klar wird, dass hier das Zeichen ist, das ich heute brauchte. Dass die Weide ausgerechnet jetzt gefallen ist und ich sie heute so finde, hat zwar eigentlich niemand so geplant, aber symbolhaft finde ich es doch.
Die meisten schweren Dinge fallen oder vergehen irgendwann und machen Platz für Neues.
Eine Weile sitze ich noch da und werde immer zuversichtlicher, dann klettere ich langsam wieder herunter und springe das letzte Stück ins Gras. Dabei schürfe ich mir ein bisschen die Haut am Unterarm auf. Ist Recht, das wird mich in den kommenden Tagen erinnern.
Langsam gehe ich von der Wiese. Nur nichts überstürzen jetzt.

„Heinrich, der Wagen bricht.“
„Nein, Herr, der Wagen nicht,..“

(„Froschkönig“, Gebrüder Grimm.)


Schönen Guten Morgen mit Frau Baum

Heute bin ich wieder besserer Dinge.
Als ich aufwachte, tat ich das aus einem sehr merkwürdigen Traum heraus (nee, keine Bange, den erzähle ich hier nicht. Die Träume der anderen sind selten spannend..), den ich mit noch geschlossenen Augen zu Ende zu denken versuchte.

Dann habe ich was sehrsehr Schönes gelesen, dann was sehr Schönes gehört…

Aber am Wichtigsten ist, dass mein Baum noch da ist, wo er gestern war.

Gegenüber meinem Haus wohnt nämlich eine alte Pappel.
Die ist locker 20 m hoch (ich kann vom 3.Stock aus noch an ihr hochschauen) und rauscht ganz wunderbar mit ihren Blättern. Es hausen auch kackfreche Elstern, knarzende Krähen und Misteln drin.

Aber seit „Kyrill“ im Januar da war, ist sie allein.
Ihre Schwester war nämlich unter furchtbarem Getöse zusammen gebrochen. Ich lag schon im Bett und wusste sofort, was passiert war. Mir wurde urplötzlich ganz kalt ums Herz und ich rief immerzu: „Nein! Oh, nein! Nein, verdammt!“
Und geheult habe ich auch, wie sie da so lag, wohl 100 Jahre alt (was die wohl so alles mitgekriegt hat).
Und dann kamen die Aasgeier mit ihren Fotohandys und „Aaaaal-ter!“-Rufen und kletterten drauf rum. Ich stand noch ganz lange am Fenster und konnte es nicht fassen. Am nächsten Morgen schlich ich mich ganz früh rüber und sammelte mir ein paar Zweige ein, die ich dann in eine Vase stellte, wo sie noch einmal austreiben und blühen konnten.
Das Zersägen der Leiche habe ich nur gehört und extra nicht hingeguckt.

Jedenfalls ist der zweite Baum noch da und bog sich gestern in den Sturmböen so gehörig durch, dass ich echt Angst drum hatte.
Ich glaube, wenn der auch noch fiele, würde ich glatt darüber nachdenken, hier weg zu ziehen. Der wunderbare Ausblick, den ich hier habe, ist einer der Gründe, warum ich schon bald 7 Jahre hier bin. So lange, wie sonst noch nirgends…

Jedenfalls. So ein Baum, der da seit so vielen Jahren steht (und heute Morgen eben auch noch), der kann mich ganz gut in den Tag schieben.

Und nachher geht’s dann auch noch mit Freundin T. in die kestnergesellschaft, wo wir uns das dritte Teilstück der „made in germany“-Ausstellung angucken wollen.

Gute Aussichten also.