Das Jahr der fallenden Bäume

Wenn’s im Kopf saust und braust und alle Gedanken und Fragen gleichzeitig dran kommen wollen, gehe ich Spazieren. Der Rhythmus der Schritte bringt Ordnung ins Hirn und Ruhe in den Rest. Die Runde, die ich am liebsten gehe, führt mich an einer alten Weide vorbei. Ich meine, es wäre eine Knackweide.

 Weide1

Sie stand an einer großen Wiese, die von zwei Bächen umspült wird. Die alten Äste hingen tief und waren ideal, um darauf zu sitzen und über die Wiese zu schauen. Auf der Wiese kann man in der Dämmerung oft Kaninchen sehen und Graugänse, tagsüber sogar Falken, wenn man viel Glück hat.

Oft habe ich hier gesessen, wenn mich etwas sehr beschäftigte. Irgendwann mal entdeckte ich, dass jemand ein Herz in den Stamm geritzt hatte. Eins mit Initialen: D+K. Ich schwöre, dass ich das nicht war. Es haben ja noch andere Leute Vornamen, die so beginnen, aber merkwürdig fand ich es doch. So konnte ich ungefähr zwei Jahre beobachten, wie das Herz langsam nachdunkelte. Irgendwann war es nur noch für den zu sehen, der wusste, wo er gucken muss. Und Irgendwann guckte ich nicht mehr.

Vor ein paar Wochen habe ich hier noch mit V. auf der Wiese gepicknickt und der Weide ging es gut. Sie stand gebückt, wie alte Damen das manchmal eben tun. Und ausgerechnet heute, wo mir so viel durch den Kopf geht, finde ich sie so vor.

 Weide2

(Scheint das Jahr der fallenden Bäume zu sein. Das muss neulich passiert sein, als es gestürmt hat und ich so Sorge hatte um die Pappel vor meinem Fenster. Ihre „Schwester“ war ja von Kyrill umgeworfen worden. Nun also auch noch „meine“ Weide.)

Ich klettere vorsichtig auf ihren Stamm und nehme dort noch mal Platz. Ich werde aber gar nicht richtig traurig, weil mir plötzlich klar wird, dass hier das Zeichen ist, das ich heute brauchte. Dass die Weide ausgerechnet jetzt gefallen ist und ich sie heute so finde, hat zwar eigentlich niemand so geplant, aber symbolhaft finde ich es doch.
Die meisten schweren Dinge fallen oder vergehen irgendwann und machen Platz für Neues.
Eine Weile sitze ich noch da und werde immer zuversichtlicher, dann klettere ich langsam wieder herunter und springe das letzte Stück ins Gras. Dabei schürfe ich mir ein bisschen die Haut am Unterarm auf. Ist Recht, das wird mich in den kommenden Tagen erinnern.
Langsam gehe ich von der Wiese. Nur nichts überstürzen jetzt.

„Heinrich, der Wagen bricht.“
„Nein, Herr, der Wagen nicht,..“

(„Froschkönig“, Gebrüder Grimm.)


9 thoughts on “Das Jahr der fallenden Bäume

  1. Oben ein Foto wie ein Gemälde. Einfach schön. Schade um den Baum. Daran muss man sich auch gewöhnen, dass Bäume keimen, heranwachsen, strotzend dastehen und dann doch irgendwann vergehen. Bei großen Bäumen bekommen wir nie die ganze Entwicklung mit. Nur immer den Ausschnitt, in dem zufällig grad wir auf der Erde herumtanzen.

    Das ist ein sehr persönlicher Eintrag, liebe Theobromina. Ich finde, man darf manche Ereignisse als Zeichen deuten. Denn der Mensch muss sich Bilder machen. Sie geben ihm eine Richtschnur.
    In Lebensphasen, in denen man seiner ganz sicher ist, kann man es halten wir der alte Chinese in einem Roman: „Die Welt ist voller Zeichen – man muss sie alle ignorieren.“ Wer so aufs Leben schaut, denn kanns zwar Fällen wie einen Baum, doch er sieht den Ereignissen gelassen entgegen.

    Schönen Sonntagabend!

    • Der war wirklich schön, nicht? Zum Glück hatte ich das Foto mal auf einem früheren Spaziergang gemacht.

      Ich glaube, man sieht ohnehin nur da Zeichen, wo man sie sehen will. Und daran erkennt man ganz gut, dass die Antwort eigentlich schon vorher da war. Es muss nur ein Ereignis her, um sie hervor zu locken.

      Dir aber auch ’nen schönen Abend!

  2. Im rechten Drittel des Foto, sehe ich ein Gesicht?
    Vermutlich ein Mann. Meine Frau sieht ein Araber, ich sehe ein Mann mit Brillen und meine Tochter sieht ein Mann, der mir ähnlich ist? Ich habe das Bild vergrössert und verkleiner, farbig und schwarzweiss angesehen. Das Gesicht ist nicht immer zu sehen.

    Weider

    poc

    • Ich hab‘ jetzt eine ganze Weile draufgeschaut, aber bisher kein Gesicht entdeckt… Deine pdf kann ich leider nicht sehen, da heißt es immer, ich solle mich einloggen. Dabei bin ich doch eingeloggt!

      • Vielen Dank, dass Du dich mit „meinem“ Gespenst befasst hast.
        Es muss wie ein Vexierbild sein, wenn man etwas sieht, sieht man es immer wieder und wenn…

        Das PDF habe ich nocmals erfasst, es sollte jetzt zugänglich sein, schau bitte, denn es könnte weiterhelfen.

        poc

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