Glück muss man haben

Wenn das alte Jahr in ein neues kippt, wird ja gern orakelt.
Ich mach‘ das auch, Bleigießen und so (es ist ein Eichelhäher. Jetzt muss ich nur noch rauskriegen, was das bedeutet. Bestimmt was Gutes.).

Für die, die kein Orakelmaterial auf Küchenschublade haben, stelle ich diesen Glücks-
keks zur Verfügung, den mir ein geschäftstüchtiger China-Bringdienstbetreiber vor einigen Tagen brachte:
glueckskeks_w
Viel Glück damit!

Wie ich gestern nicht überfahren wurde und hinterher ein mieses Gefühl hatte

Gestern hat es hier ordentlich geregnet und der Wind hat den Regen immer mal in die Waagerechte gepustet. Wenn man zuhause am Fenster sitzt, ist das gemütlich. Wenn man mit vollem, schwerem Rucksack vom Einkaufen nach Hause radelt, ist das anstren-
gend. Als ich zum Lindener Markt komme, und in die Posthornstraße rechts abbiegen will (so richtig mit Hand raushalten und so), kommt mir dort ein Wagen quer, er will in die Einfahrt der Post, und zwar mit Karacho!

Alles geht ganz schnell, ich blicke noch ins Fahrergesicht, sehe Schockschreck, – genauso gucke ich bestimmt auch gerade. Ich sehe mein Vorderrad an seiner Stoß-
stange, fühle schon einen Aufprall, sehe mich schon auf der Haube oder drunter liegen. Doch er hat gute Bremsen und trifft sie auch.
Mein Herz schlägt wieder.

Ich stehe genau quer vor seinem Auto, zwischen uns sind nur noch wenige Zentimeter. Meine flache Hand schnellt hoch auf mein Brustbein, ich sacke etwas ein: die interna-
tionale Geste für „großer Schreck und noch mal davongekommen“. Ich schreie ihn an: „Mann!“, steige wieder auf und fahre weiter. Nun merke ich auch, wie meine Knie verreisen und der Kopf wieder loslegt: Das war aber echt knappski! Weihnachten im Gipsbett und so…

Ich will nur weg, flüchten, nach Hause. Ich brauch’ jetzt ’nen Kakao. ‚Nen starken.

Neben mir taucht das Auto wieder auf, der Fahrer hat die Scheibe runtergekurbelt und entschuldigt sich heftig, er habe mich nicht gesehen, ich sei im toten Winkel gewesen, er sei untröstlich, und ob er was für mich tun könne. Ich rufe: „Ja!!! Nicht wieder machen!“ und strample weiter. Er wolle heute Abend für mich beten, sagt er. Meinetwegen. Ein mittelalter Mann, ein Bürger. Fast tut er mir leid, er windet sich in Schuld. Ich will nach Hause. Also lächle ich ihn an und rufe: „Ist ja zum Glück nix passiert, da können wir beide doch froh sein! Ich bin in Ordnung, es war ja nur ein Riesenschreck!“ Dabei prasselt der kalte Regen auf meine Brille und ich lasse mich nicht aufhalten.
Hause. Kakao. Lass’ mich.

Er fährt an mir vorbei. Doch 100 Meter vor mir hält er an, öffnet die Tür, kommt mir mit ausgestrecktem Arm entgegen. Er will mir die Hand geben, also halte ich auch an, obwohl ich gar nicht will. Er faselt was von: “…wenigstens ein kleines Schmerzensgeld, auf den Schreck, – es tut mir so leid!“, und drückt mir die behandschuhte Hand. Ich sage noch mal: „Neinnein, …ist ja gut. Ist ja alles gut gegangen, nix passiert…“ Dann steigt er wieder ins Auto, und ich beeile mich auch, wieder loszuradeln.

5erEr hat mir einen zerknitterten 5-Euro-Schein in die Hand gedrückt! Und ich habe ihn genommen, ohne zu denken.

Der Schein wandert in die Tasche. Mir kommt ein komi-
sches Gefühl. Einen hässlichen verknitterten 5er für’s Nichtüberfahrenwerden? Was für eine Art Ablasshandel hat hier gerade stattgefunden? Jetzt fühle ich mich ganz merkwürdig. Ich bin beschämt. Eigentlich sollte er sich schämen! Das mit dem Fast-Anfahren nehme ich ihm nicht übel. Das hätte mir auch passieren können, und er hat gut reagiert.

Bis er die Idee mit dem Freikauf hatte. Er wollte sich unbedingt entschuldigen, im Wortsinn. Doch das ist gründlich daneben gegangen.

Den 5er kriegt jedenfalls der erste Punk in die Hand gedrückt, der mich morgen in der Innenstadt anschnorrt…

Tanzwurst

Für meine japanische Freundin M. ist es bestimmt völlig normal, mit Kühlschrankinhalten zu turnen. Mir hingegen ist es neu. Diese putzigen Vertreter von Wurstspezialitäten helfen nämlich beim Abbau soeben aufgenommener überzähliger Wurstkalorien. Das ist doch eigentlich sehr nett.

Turnen & Singen mit Wurst

Pilates habe ich sowieso schon zu lange gemacht…

Tutschkastn

Freundin T. war mal so sehr erkältet, dass sie das Wort „Tuschkasten“ nicht mehr ordent-
lich aussprechen konnte und stattdessen eben „Tutschkastn“ sagte. Seither testet sie mithilfe dieses Wortes den Härtegrad ihrer Erkältung.

Tropfenfänger

Ich kann zwar noch „Tuschkasten“ sagen, aber nur mit Mühe, denn mein Kopf steckt in einer Art Pappkarton, in dem es komisch braust. Die Glieder wollen auch nicht so, alles ist einen Tick zu hell und am liebsten möchte ich mir sowas hier unter die Nase binden.

Mach’ ich aber nicht. Wie sähe das denn aus! Stattdessen tu’ ich so, als sei das ganz normal, dass ich alle 5 Minuten niese und mein Taschentuchstapel wohl ein Loch hat.

So ein Tropfenfänger ist eines dieser lustigen kleinen Teile, denen man heute kaum noch begegnet, die einen aber un-
mittelbar in der Zeit zurückschießen können, in die Küche von Oma zum Beispiel. Diesen hier habe ich im vorigen Jahr im Set mit fünf weiteren bei einer Haushaltsauflösung bekommen. Noch original verpackt. Sofort hatte ich den Inhalt der Küchenschublade meiner Oma vor Augen und den Geruch ihres Kellers in der Nase. Dort in den Regalen standen lange Reihen von Einmachgläsern mit Kirschen, Mirabellen, Bohnen und Möhrchen. Außerdem lagerten dort Äpfel und Kartoffeln, und es hingen auch immer ein paar Mettwürste da. Dabei stand eine Bierkiste. Ich bin damals total gerne in diesen Keller gegangen, um eine Flasche Bier oder ein paar Kartoffeln raufzuholen.

Ich mochte nämlich diesen speziellen Kellergeruch, den ich heute noch ganz selten mal irgendwo überraschend aufschnappe.
O.k., heute nun nicht. Heute riech’ ich ja leider überhaupt nichts.

GiraffeEin anderes Plastikding, dessen Sinn sich mir allerdings nie so ganz erschlossen hat, ist diese kleine Giraffe, die man wohl in Gläser tut, um bunte Drinks giraffiger zu machen. Ich trinke ja sowas nie, deswegen weiß ich nicht, wozu das gut ist. Die gute A. aus Berlin brachte mich neulich drauf. Sie weiß es nämlich auch nicht, vermutet aber, das Tier solle eventuell so eine Art Quirl darstellen.

Keine Ahnung, vielleicht sind Giraffen ja auch dafür be-
kannt, dass sie in freier Wildbahn gerne mal was im Vorbeigehen verquirlen. Ich kann mich ja nicht überall auskennen… A. und ich sprachen dann auch noch über diese kleinen Plastikäffchen, die früher ebenfalls an so Gläser und Eisbecher drangemacht wurden, und die man heute auch nicht mehr sieht. Leider habe ich dazu kein Bild gefunden, weil ich nicht recht wusste, wie ich die Dinger gooogeln soll…

Eigentlich sprachen wir aber über ein CD-Cover, von dem ihr Leben oder so abhängt, und das ich ihr gestalten soll.

Und deswegen muss ich jetzt auch mal weiter…

Wenn Metallsachen frech werden

Also, im Dunkeln gegen eine Leiter zu laufen ist nicht halb so lustig, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Ich werde das also wahrscheinlich nicht noch mal machen. Ich hatte gestern Abend eigentlich gedacht: hier drin kann mir ja nüscht passieren. Und hatte das eben vergessen, dass die da noch im Schlafzimmer stand. Aber jeder weiß ja, dass sich die meisten Unfälle im eigenen Haushalt ereignen. Da war ich wohl zu blauäugig.
Das passt jetzt schön zu meinem Schienbein.

Draußen hingegen bin ich mir der Gefahr bewusst. Wir haben hier nämlich schlimme Parasiten in unserer Gegend, die auf den Straßen und Bürgersteigen herummarodieren. Besonders in der Dämmerung muss man aufpassen, dass man nicht rüde von der Seite angefahren und frech um ’nen Euro angehauen wird. Wer sich dann weigert, muss in den Kindersitz und wird den Lindener Berg runtergerollt. Aber glücklicherweise ist Hilfe unter-
wegs. Beherzte Kerle fangen die schlimmen Randalisten ein und verbinden sie zu einer chain gang, die dann ordentlich eingegattert wird.

Einkaufswagenplage 

Johannes und Helmut, die Zwei. Mutige Männer.
Kann man gar nicht oft genug über’n Kopf streicheln, wenn man mal zufällig dran vorbei kommt.

Süßholz für’s Wohlbefinden

Gestern oder Vorgestern ist mir wieder eingefallen, dass Lakritze den Blutdruck erhöht.
Ich weiß, dass das für viele Leute eher eine Hinderungsgrund sein kann, sich dicken Lakritzetüten hinzugeben. Für mich hingegen war der Hinderungsgrund bisher, dass ich Lakritze eigentlich fast überhaupt nicht mag. Allerdings haben neueste wissenschaftliche Tests ergeben, dass mein Blutdruck zu niedrig ist, und deswegen bilde ich mir seit ges-
tern ein, sie zu mögen.

Hier liegen jetzt so Brezeln und so Rauten und so salzige Heringe.
Das ist, was ich gestern auf Anhieb kriegen konnte, ohne ein Lakritzefachgeschäft zu betreten. Das liest sich jetzt ein bisschen so, als wäre ich keck pfeifend an mehreren Spitzenlakritzebesoinbuden vorbeigeschlendert. Dabei weiß ich gar nicht, ob wir so was hier überhaupt haben. Ich bin ja neu in der Süßholzszene.

Normalerweise einmal im Jahr, wenn’s hochkommt, stellt sich bei mir von selbst ein Lakritz-Verlangen ein. Es ist aber wohl eher so ein „mal-zwischendrin-was-Anderes-Ver-
langen“. Das ist schnell gestillt. Und sonst habe ich höchstens mal diese braunschwarzen Schichtdinger aus der Weingummi-Lakritzmischungstüte gefieselt, weil sie entfernt nach Kakao schmecken. Ich glaube aber, die gehen nicht so richtig als Lakritze durch.
Daher werde ich mich jetzt mal der richtigen Lakritze und ihrer Mögung zuwenden.

Aber erst wird gefrühstückt.

Weia

Ich glaub’, ich bin jetzt doch erkältet. Anders kann ich mir das nicht erklären. Sonst bin ich nicht so unkonzentriert. Eben klingelte es nämlich. Ich hab’ das erstmal ignoriert und nix Böses gedacht, weil ich meinte, das wäre Post oder Werbung oder so. Sollen doch die anderen auch mal… Dann klingelte es aber Sturm, so dass ich hier fast vom Stuhl fiel! Und plötzlich durchlief es mich heiß und kalt: Der Schornsteinfeger!!! Der wollte ja heute endlich kommen, nachdem es schon seit Wochen Hinundher gegeben hatte, wobei ich mal vergeblich auf ihn wartete, und mal er vor der verschlossenen Tür stand.

Und ich sitz’ hier mit komischen Haaren und im Bademantel!

Der hat nicht schlecht geguckt, als ich dann doch endlich aufmachte, und meckerte erstmal ein bisschen. Ich versuchte, möglichst süß auszusehen in meiner Strubbelichkeit, aber das wirkte wohl nicht so richtig, er blieb trotzdem verstimmt. Immerhin war er mit meiner Therme zufrieden, und im nächsten Jahr wollen wir’s dann gleich vernünftig durchziehen. Und ich geh‘ jetzt mal endlich duschen.

Bringt das eigentlich Unglück, wenn man Schornsteinfeger verärgert?

Wenn Frauen sich Getränke kochen

Aaaahhh, erst mal ein Schlückchen Tee…!
So. Ja. Die Theobromine meldet sich zurück, übrigens. Obwohl, neee, wir sind ja hier nicht in der Bundeswehr. Ich wollte sagen: Da bin ich wieder. Genau. Und in mir streiten sich seit zwei Tagen Leukozyten gegen Schnupfentierchen, wer wohl zuerst da war:

„Ätsch! Du bist erkältet!“
„Bin ich nicht!“
„Doch, wohl!“
„Garnicht!“
„Wohle!“

„Nein!“
„Erster Jasager mit Rechthaben!“
„Von wegen!“

Dabei ist mir gestern noch verordnet worden, ich könne ja gerade gar keine Erkältung bekommen, denn schließlich würden wir ja in diesen Tagen aufbauend an meinem Immunsystem arbeiten (ich bekomme nämlich zurzeit so kleine Spritzen, aber die sind zum Glück gar nicht schlimm). Hoffentlich haben das die Schnupfenviecher auch gehört und halten sich da mal dran.

Ich könnte es so machen wie eine gemeinsame Bekannte von Freundin T. und mir, die sich mal einen Grog gegen Erkältung machen wollte, aber nicht so richtig wusste, wie das geht. Also machte sie sich Rum heiß und trank eine ganze Tasse davon. Und weil es so schön war, gleich noch eine. Danach schlief sie wie eine erkältete Tote. Aber als sie wie-
der wach wurde, war die Erkältung tatsächlich geflüchtet. Na, vielleicht hat sie sie auch bloß nicht mehr gemerkt, das würde mir jedenfalls so gehen, wenn ich zwei Tassen Rum trinken würde. Ich tu’ ja immer nur so, als würde ich so viel zwitschern. In Wirklichkeit vertrage ich nicht viel.

Dann schon lieber Glühwein auf Freundin-T.-Art. Das fiel mir gestern wieder so ein, als ich meinen lieben Besucher zum Zug brachte. Wir sprachen nämlich über Weihnachtsmarkt und Glühweintrinken und so. Und da dachte ich plötzlich wieder daran, wie T. mal in der Werkstatt gegen Feierabend meinte, sie hätte jetzt total Lust auf einen Glühwein, und sie hätte da ja auch noch so was im Schrank. Da ich was zu tun hatte, bekam ich erstmal nicht mit, was sie tat, hörte aber bald die Mikrowelle pingen.

Als ich guckte, hatte sie eine Tasse, aus der ein Faden raus hing. An dem Faden ein Papierchen, das ich als Glühf*x-Papierchen erkannte. Stimmt, da war immer ein Päck-
chen Glühf*x-Beutel im Schrank gewesen. Und Wein kriegte sie ja ständig geschenkt, da musste sie noch eine Pulle gehabt haben. Sie zupfte eine Weile an dem Fädchen herum, guckte immer wieder in die Tasse und meinte, das sähe aber komisch aus. Dann probier-
te sie ein Schlückchen und meinte, das schmecke sich auch komisch an. Da wollte ich’s doch genauer wissen, denn ich ahnte schon was. Ein Blick in die Tasse bestätigte mir, dass sie den Beutel lediglich in heißes Wasser gehängt hatte, in dem Glauben, da sei  „alles irgendwie mit drin!“. Ich möchte übrigens wetten, dass das viele Leute so machen.

Ich hingegen trinke ja sowieso keinen Glühwein, ich kann den Geruch schon nicht ab, weil ich früher immer auf dem Weihnachtsmarkt arbeiten musste, wo man den Geruch und die Auswirkungen täglich, zwar in bunten, aber den immer gleichen Farben, erleben kann. Und wo ich deutlich mitgekriegt habe, dass sich hinter den Buden genau die gleichen Tetrapacks stapeln, die beim Pennie auch im Regal stehen. Wenn ich mir das Zeug zuhause nur ein paar Stunden in einem ganz ollen Topf erwärmte und dann noch eine Zimtstange, ordentlich Zucker und eine kleine Orange reinschmisse, hätte ich dasselbe Ergebnis. Aber ich könnte es aus viiiel hübscheren Tassen trinken, als aus diesen furchtbaren Becherdingern, die sich jedes Jahr an Hässlichkeit überbieten und sogar (wahrscheinlich aus Trashigkeitserwägungen) gesammelt werden. Ich mach das aber wahrscheinlich nicht.

Lieber koche ich mir gleich noch einen Tee, schaffe ich mir etwas frische Luft an und schlafe nachmittags mal ein Stündchen. Noch ist ja auch nix entschieden, – die innere Abstimmung läuft noch.

„Und jetzt konzentrieren sie sich auf meine Stimme…“

Hypnose



O.K., mal überlegen: Gewichtsreduktion? Nö, brauch’ ich nicht.

Rauchfrei in 2 Stunden?
Nö, onnich.

Aber eine schöne Blockade vielleicht? Kann ich mir was aussuchen?
Dann hätte ich bitte gerne eine ordentlich dicke, unauflösbare Streckenblockade beim nächsten Castor…

Oder nehm’ ich lieber Sorgen?
Ein paar Luxussorgen, vielleicht? „Hach menno! Ich krieg’ mein Konto nicht leer, immer liegt da was rum!“ oder „Jetzt bringt der Kerl mir Cappuccino, ich hatte doch Milchcafé bestellt!“ oder „Ich müsste eigentlich was anderes machen, treibe mich aber schon wieder im Blog rum!“ oder…

"Entschuldigung? Gleis 16?"

Verreisung ist ein dolles Ding.
Besonders, wenn man am Tag zuvor irgendwas ganz Verkehrtes gegessen hat und die Verreisung mit’m Zug vornimmt, der mal eben vier Stunden durch die Pampa gökelt, Um-
steigen nicht mal inbegriffen. Eigentlich ist damit schon fast alles erzählt. Es ist nicht schön, im Zug zu sitzen und alle fünf Meter zu denken: Ich will nicht in das schlimme Kabuff da müssen! Mir schräg gegenüber sitzt ein junger Mann, der immer besorgter herüberschaut. Ich versuche, beruhigend zurück zu schauen. Hinter mir sitzt Einer mit lautem Rasierwasser, davon wird mir auch nicht besser.

Beim Umsteigen stelle ich fest, dass auf diesem Bahnhof Gleis 11 und Gleis 16 an einem Bahnsteig liegen. Gut, dass ich nicht Harry Potter lese, sonst würde ich glauben, ich müsste gegen die Pfeiler rennen. Ich bin aber nur beim Aussteigen aus Gleis 11 sofort ohne zu gucken die Treppe runter gehechtet, um dann in der Halle zu sehen, dass ich direkt wieder hoch muss, wenn ich von Gleis 16 weiterfahren will. Auch gut, dass ich nicht von Gleis 13 weiter fahren muss! Das liegt dann vielleicht neben Gleis 7, oder sogar in einem anderen Bahnhof. Womöglich in einer anderen Stadt.

Während ich also auf dem richtigen Bahnsteig warte und versuche, beruhigend auf meinen Magen einzudenken, stelzt ein Mann um mich herum. Er ist groß und trainiert. Außerdem ist er sich sicher, dass er ungeheuer attraktiv ist und wartet nun auf den Moment, in dem ich das auch merke. Ich lächle ihn auch strahlend an, aber das liegt nur daran, dass er einen großen Brötchenkrümel neben dem Mund kleben hat. Ich könnte fragen: „Was war denn drauf?“ und mir dann Verwirrung angucken. Aber ich will jetzt sowieso nicht ans Essen denken. Nachher sagt er: „Wurstsalat!“ oder so was.

Als ich es mir im Anschlusszug so gemütlich wie möglich gemacht habe, befinde ich mich schräg einer Vierer-Sitzgruppe gegenüber. Dort zieht ein völlig übermüdet wirkender junger Dynamo-Dresden-Fan ein, hängt sich in den Sitz, wohl um zu schlafen. Alles still. Ich krame meine Zeitung raus und beginne zu lesen, als der Kontrolleur kommt. Der Dresden-Fan lümmelt sich herum und quetscht sich ein „wissema… die faahkadde hamodda …wie?“ raus. Jetzt merke ich: Der Typ ist total besoffen und heiser und braucht eine Generalüberholung!

Kaum ist wieder Ruhe im Waggon eingekehrt, halten wir und es steigen vier junge Türken zu. Ein Mädchen, drei Jungs. Das Mädchen setzt sich mit zwei der Jungs zu dem armen Fußballfan, der dafür seine Beine wieder umbauen muss, der dritte Junge hockt sich gegenüber hin. Sofort ist richtig Ramenter in der Bude. Das Mädchen sendet auf einer unglaublichen Frequenz, die Flimmerhärchen in meinen Ohren knistern nur so. Sie hat jede Menge Neuigkeiten zu erzählen, zu allem eine Meinung. Die Jungs antworten ruhiger, aber auch alle gleichzeitig. Ich verstehe nur jeden zweiten Satz, der Rest ist wahrschein-
lich türkisch. Ich bewundere das immer wieder, wie man zwei Sprachen gleichzeitig sprechen kann. Dazu hat jeder von ihnen mindestens zwei Handys, die auch alle piepen und fiepen, in Mörderlautstärke. An Zeitunglesen ist kaum mehr zu denken. Der Dresden-
Fan fällt in Duldungsstarre. Ich versuche das Kreuzworträtsel.

„Da! Alles voll mit Arbeit, ey!“ schreit das Mädchen. Hat sie sich bekleckert? Mit Arbeit? „Das ist alles voller Arbeit!“ Ich schiele rüber. Ach so, sie zeigt Handyfotos ihrer Kollegen herum. Wir erfahren jetzt genau, wer was wann zu wem gesagt hat, und ob das eine Unverschämtheit war oder so. Außerdem will sie immerzu wissen, „was geht!?!“ Die anderen wissen es aber jetzt auch nicht so genau.

Nach einer Stunde steigen sie wieder aus, der Dresden-Fan erhebt sich ebenfalls und sieht jetzt noch viel schlimmer aus als vorhin. Hoffentlich schafft er’s bis nach Hause!
Und ich? Bin vergnügt, denn ich bin auch bald am Ziel und habe inzwischen tatsächlich völlig vergessen, dass mir schlecht ist.