Verreisung ist ein dolles Ding.
Besonders, wenn man am Tag zuvor irgendwas ganz Verkehrtes gegessen hat und die Verreisung mit’m Zug vornimmt, der mal eben vier Stunden durch die Pampa gökelt, Um-
steigen nicht mal inbegriffen. Eigentlich ist damit schon fast alles erzählt. Es ist nicht schön, im Zug zu sitzen und alle fünf Meter zu denken: Ich will nicht in das schlimme Kabuff da müssen! Mir schräg gegenüber sitzt ein junger Mann, der immer besorgter herüberschaut. Ich versuche, beruhigend zurück zu schauen. Hinter mir sitzt Einer mit lautem Rasierwasser, davon wird mir auch nicht besser.
Beim Umsteigen stelle ich fest, dass auf diesem Bahnhof Gleis 11 und Gleis 16 an einem Bahnsteig liegen. Gut, dass ich nicht Harry Potter lese, sonst würde ich glauben, ich müsste gegen die Pfeiler rennen. Ich bin aber nur beim Aussteigen aus Gleis 11 sofort ohne zu gucken die Treppe runter gehechtet, um dann in der Halle zu sehen, dass ich direkt wieder hoch muss, wenn ich von Gleis 16 weiterfahren will. Auch gut, dass ich nicht von Gleis 13 weiter fahren muss! Das liegt dann vielleicht neben Gleis 7, oder sogar in einem anderen Bahnhof. Womöglich in einer anderen Stadt.
Während ich also auf dem richtigen Bahnsteig warte und versuche, beruhigend auf meinen Magen einzudenken, stelzt ein Mann um mich herum. Er ist groß und trainiert. Außerdem ist er sich sicher, dass er ungeheuer attraktiv ist und wartet nun auf den Moment, in dem ich das auch merke. Ich lächle ihn auch strahlend an, aber das liegt nur daran, dass er einen großen Brötchenkrümel neben dem Mund kleben hat. Ich könnte fragen: „Was war denn drauf?“ und mir dann Verwirrung angucken. Aber ich will jetzt sowieso nicht ans Essen denken. Nachher sagt er: „Wurstsalat!“ oder so was.
Als ich es mir im Anschlusszug so gemütlich wie möglich gemacht habe, befinde ich mich schräg einer Vierer-Sitzgruppe gegenüber. Dort zieht ein völlig übermüdet wirkender junger Dynamo-Dresden-Fan ein, hängt sich in den Sitz, wohl um zu schlafen. Alles still. Ich krame meine Zeitung raus und beginne zu lesen, als der Kontrolleur kommt. Der Dresden-Fan lümmelt sich herum und quetscht sich ein „wissema… die faahkadde hamodda …wie?“ raus. Jetzt merke ich: Der Typ ist total besoffen und heiser und braucht eine Generalüberholung!
Kaum ist wieder Ruhe im Waggon eingekehrt, halten wir und es steigen vier junge Türken zu. Ein Mädchen, drei Jungs. Das Mädchen setzt sich mit zwei der Jungs zu dem armen Fußballfan, der dafür seine Beine wieder umbauen muss, der dritte Junge hockt sich gegenüber hin. Sofort ist richtig Ramenter in der Bude. Das Mädchen sendet auf einer unglaublichen Frequenz, die Flimmerhärchen in meinen Ohren knistern nur so. Sie hat jede Menge Neuigkeiten zu erzählen, zu allem eine Meinung. Die Jungs antworten ruhiger, aber auch alle gleichzeitig. Ich verstehe nur jeden zweiten Satz, der Rest ist wahrschein-
lich türkisch. Ich bewundere das immer wieder, wie man zwei Sprachen gleichzeitig sprechen kann. Dazu hat jeder von ihnen mindestens zwei Handys, die auch alle piepen und fiepen, in Mörderlautstärke. An Zeitunglesen ist kaum mehr zu denken. Der Dresden-
Fan fällt in Duldungsstarre. Ich versuche das Kreuzworträtsel.
„Da! Alles voll mit Arbeit, ey!“ schreit das Mädchen. Hat sie sich bekleckert? Mit Arbeit? „Das ist alles voller Arbeit!“ Ich schiele rüber. Ach so, sie zeigt Handyfotos ihrer Kollegen herum. Wir erfahren jetzt genau, wer was wann zu wem gesagt hat, und ob das eine Unverschämtheit war oder so. Außerdem will sie immerzu wissen, „was geht!?!“ Die anderen wissen es aber jetzt auch nicht so genau.
Nach einer Stunde steigen sie wieder aus, der Dresden-Fan erhebt sich ebenfalls und sieht jetzt noch viel schlimmer aus als vorhin. Hoffentlich schafft er’s bis nach Hause!
Und ich? Bin vergnügt, denn ich bin auch bald am Ziel und habe inzwischen tatsächlich völlig vergessen, dass mir schlecht ist.
Oh je… wenn ich bedenke, dass auch ich dank Studium Bahnkunde werden muss, und wenn ich das hier dann so lese… dann wird mir ganz anders.
Obwohl… gibt Blogstoff. 😀
Also ich mag das Zugfahren an sich gerne (wenn mir nicht gerade übel ist), und ich kann über die Bahn auch gar nicht richtig meckern. Und wenn man dann auch noch was geboten kriegt: Wunderbar! 😉
Ich liebe deinen Umgang mit der deutschen Sprache. Das wollt‘ ich nur mal kurz loswerden.
Ach, vielen Dank, lieber Willi. *erröt*
Dein Lob macht mir das nassgraue Wetter richtiggehend sonnig…