SCD.

(Erstveröffentlichung: 14. September 2007)

Nee, nicht CSD. Das ist ja was ganz anderes und auch erst im Juni…

SCD kann man immer haben. Wann man will. Ich selbst habe mich noch vor zwei Tagen dabei erwischt, wie ich vor meinem Schrank stand und zu ihm sagte: „Ich hab’ irgendwie garnix anzuziehn!“ Peinlich. Allerdings liegt das daran, dass mir erstens die Mode der letzten paar Jahre oft nicht recht behagt, ich zweitens neulich ganz viel weggeschmis- sen habe und drittens meine Piepen zusammenhalte, wenn’s geht. Aber der Ausspruch rächte sich prompt. Ich hatte nämlich noch am selbigen Tag ein tolles „Magazin“ im Briefkasten: Es heißt „For me“ und ist ein Kundenmagazin von Protector & Gähnbel. Darin zu lesen auf Seite 15 unter folgender Überschrift:

Hilfe

Also, ich als Frau habe natürlich schon von der Anlage her immerzu die dollsten Gefüh- le. Das ist ja bei uns so eingebaut. Ab Werk, quasi. Deswegen müssen wir ja z.B. auch immerzu heulen und können auch keine Bierkisten tragen. (Also, wenn ich mal welche tragen soll, kommen mir jedenfalls immer die Tränen, das hat noch jedes Mal gewirkt.)

Aber es gibt nun wohl ein „Gefühl, das jede Frau kennt.“ Also wahrscheinlich bedeutet das, dass jede Frau dieses Gefühl schon mal hatte (ein viel benutztes, also), und nicht, dass es ein Gefühl gibt, dass so ein dickes Adressbuch hat, dass es alle Frauen kennt. Ist ja auch egal jetzt.

Die Wissenschaft hat es nun aber erforscht, das Gefühl. Es heißt SCD. Und jetzt fest- halten! Denn das bedeutet: Seasonal Clothes Disorder bzw. echt „Jahreszeitlich bedingte Kleidungsstörung“. Ich musste mehrfach lesen, aber das stand da wirklich!

Und damit Ihr mir’s glaubt:
SCD

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verdammt, ich muss sofort Vanilletee kaufen, denn ich habe eine Kleidungsstörung!!! Hoffentlich finde ich einen guten Therapeuten! Vielleicht auch eine Selbsthilfegruppe, denn nicht nur mir geht es so schlecht… Auch diese Frau hier ist total verzweifelt und klagt den Baumwollgöttern ihr Leid.

das_hilft

 

Dabei müsste sie bloß mal nach unten gucken, da steht ja die Lösung. Grob zusammen gefasst, besteht sie aus folgenden Tipps:

1) Accessoires an die gestörte Kleidung pinnen, z.B. Ansteckblüten aus Wildleder (aha).

2) Im Internet einzwei schicke Gürtel ersteigern (soso).

3) Topmoderne Ketten und Ohrringe anbringen (hm, hm).

(Meiner Meinung nach ist das ja eigentlich nur ein Tipp, aber da kommt ja noch was: )

4) Klamottentausch-Party mit Freundinnen machen.

Na, die kennen meine Freundinnen nicht! Die haben doch ganz unterschiedliche Figu- ren, die guten. Bei einer Hose von Freundin T. wären mir die Beine viel zu kurz, bei einem Kleidchen von Freundin M. kriegte ich schomma den Reißverschluss gar nicht zu und Freundin S. wird bestimmt ihre Cowboystiefel nicht rausrücken und stattdessen nach Prosecco und Schnittchen verlangen. Die Freundinnen hätten natürlich ähnliche Probleme mit meiner Garderobe, und großartig was zu bieten hätte ich auch nicht, denn das, was ich kürzlich nicht weggeschmissen habe, will ich ja schließlich behalten. Das gibt doch bloß Gezeter. Muss ich mich wohl mit meiner Störung abfinden.

Vielleicht gibt’s ja bald ein lustiges Medikament dagegen. In Größe 38, bitte.

Blinzel.

(Erstveröffentlichung: 15. September 2007)

UnsichtbarstrasseHier geht’s zur Unsichtbarstraße.

Die Straße kann man nicht sehen, es stehen unsichtbare Häuser links und rechts am unsichtbaren Straßenrand und man sieht auch nicht, dass auf den unsichtbaren Klingelschildern unsichtbare Namen stehen. Macht nix, denn die Leute, die da wohnen, sieht man auch nicht. Das ist viel-
leicht auch besser so, denn sie sehen sich, und was sie tun, selber nicht und knöpfen deshalb ständig ihre unsichtbaren Strickjacken schief zu und merken auch nicht, wenn sie Krümel am Mund haben.

Wenn die Frauen sich schminken und frisieren, sähe das total lustig aus, wenn man es denn sehen könn-
te. Neulich hat die kleine Boutique in Nummer 7 mal eine Modenschau veranstaltet. Ist aber keiner hingegan-
gen. Alle waren beim Grillfest. Das endete allerdings in einer Klopperei, weil der Grillmeister die ganzen leckeren Sachen hatte total anbrennen lassen und jeder hinterher meinte, er hätte es besser gekonnt. Ich habe da so meine Zweifel.

Obwohl man ja nix sieht, waschen manche Typen in der Straße am Samstag ihr Auto und mähen den Rasen. Das machen sie nur der Geräusche wegen, damit die Nachbarn auch ja Bescheid wissen. Hier in der Straße wohnt einer, der kann nur mit dem Mund das Fahr-
geräusch eines protzigen dicken Wagens nachmachen, und er glaubt, die Nachbarn den-
ken: Der ist reich! Die Nachbarn wissen aber ganz genau, dass er nur so tut und fragen ihn manchmal, ob sie auf eine Spritztour mitdürfen. Dann erfindet er Ausreden, dass der Wagen gerade zur Jahresinspektion in der Werkstatt ist und windet sich verlegen. Aber das sieht man natürlich auch nicht.

An der Ecke ist ein Laden, der Parfums, laute Hackenschuhe und Glöckchen verkauft. Antipickelstifte und Selbstbräunercremes gibt es dort inzwischen nicht mehr, die sind aus dem Sortiment genommen. Der Ladenbesitzer ist dennoch ein wohlhabender Mann, denn die Unsichtbaren besprühen sich gern mit Stinkezeug und hängen sich die Glöckchen um, damit sie auf der Straße nicht umgerannt werden. Man kann sich also vorstellen, wie das ist, die Unsichtbarstraße langzulaufen: ohren- und nasenbetäubend.

Deswegen gehe ich da auch nie durch und weiß das alles nur, weil ich einen kenne, der mal in ein Mädchen aus der Straße verliebt gewesen sein soll. Das war nicht so einfach, sagt er. Er hat immer wieder an ihr vorbeigeküsst und dauernd gefragt: „Wo bist Du denn?“ Das fand sie gar nicht witzig und fand, er gäbe sich keine richtige Mühe. Irgendwann war sie dann plötzlich weg. Behauptet er. Vielleicht schmollt sie auch nur.

Da hat man dann die Quittung.

(Erstveröffentlichung: 13. Oktober 2007)

Ich hatte ja schon mal erwähnt, dass ich früher eine Zeitlang gekellnert habe…

Und vor ein paar Tagen fiel mir plötzlich und mittenmal wieder diese kackfreche Kollegin ein, die ich damals in dem einen Altstadtlokal hatte. Sie war ca. 1,50 groß, hatte das Temperament eines aufgezogenen Tschingderassabumm-Äffchens und hieß irgendwie Silke oder Sandra oder so.

Aus irgendeinem unerfindlichen Grund genoss sie totale Narrenfreiheit, was den Umgang mit Gästen anging. Der Chef, sonst Choleriker mit starkem Drall zum Alkoholmissbrauch, schmiss nach uns anderen schomma Töpfe oder drohte uns mit dem Messer, wenn wir zur Unzeit was von ihm wollten. Eine Bestellung für den Gast zum Beispiel.

Silke dagegen riss einfach die Klappe auf, nannte ihn „nicht ganz dicht“ oder „wohl schon wieder hacke“, drängte sich an ihm vorbei und holte sich einfach, was sie brauchte. Da lachte der nur. Silke durfte alles. Als wir mal spanische Messegäste hatten, die sich lei- der wie Sau benahmen, unverschämt waren und dann nicht mal das kleinste bisschen Trinkgeld gaben, schrieb sie ihnen nicht „Speisen und Getränke“ auf die Quittung, sondern setzte stattdessen „Klappräder und Gummimäuse“ ein.

Als dann im Sommer mal wieder Altstadtfest war, engagierte der Chef eine nette Klofrau, die 50 Pfennig Zoll erheben sollte, wenn Leute unseren Laden nur zum Pinkeln betreten wollten. Das war total sinnig, denn draußen schoben sich bierseligen Massen nur so vorbei, die Bude war auch voll mit richtigen Gästen, und ständig rannten Pinkeltrüppchen durch den Laden. Wenn es die gute Klofrau nicht gegeben hätte, hätte das Kabäuschen schnell ziemlich fies ausgesehen. Und darum sollte sie dann eben auch gut entlohnt werden.

Ein Pinkelgast regte sich aber über dieses „unverschämte Gebaren“ sehr auf und wandte sich blöderweise ausgerechnet an Silke, um sich lautstark über den „gepfefferten Preis“ zu beschweren. Der Chef stand übrigens auch dabei, aber der Gast hatte sich ja nun Silke ausgesucht. Sie ließ ihn einfach erstmal reden und fragte dann ruhig, was er denn jetzt genau von ihr wolle. Überrascht überlegte er kurz und meinte, er wolle eine Quittung! Beifall heischend sah er sich um, ob auch alle zuhörten und wiederholte: „Genau. Eine Quittung über die 50 Pfennig! Dann reiche ich das beim Finanzamt ein! So!“

Silke verzog keine Miene, holte den Block raus, schrieb ihm in aller Seelenruhe eine Quittung und stempelte sie ordentlich ab. Wir warteten unauffällig gespannt, denn wir kannten sie ja nun. „Sooo, bitte. Hier habense ihre Quittung über ihre 50 Pfennig, der Herr!“ Sie faltete das Papierchen noch einmal ordentlich zusammen und lächelte den Verärgerten versöhnlich an. Er steckte das Papier in die Tasche, klopfte da noch mal drauf und meinte: „Na also! Schön! Das kann ich doch bestimmt von der Steuer ab-
setzen…“
Und damit verließ er erhobenen Hauptes das Lokal als Sieger.

Wir guckten natürlich neugierig, da drehte sich Silke zu uns um, grinste und meinte: „Da wird sich der Finanzbeamte aber schön wundern. Ich hab’ dem da gerade für seine 50 Pfennig ’nen schönen Bordellbesuch draufgeschrieben…!“

HA!

(Erstveröffentlichung 24. August 2007)

Vor ein paar Jahren musste ich mal ein paar Monate in einer Firma arbeiten, die ich sehr bald nur noch „Die Kackbude“ nannte. Mir wurde der Arbeitsvertrag geradezu aufgenötigt, obwohl ich sogar extra mit zerknüllter Bluse und gelangweiltem Gesicht zum Vorstel- lungsgespräch erschienen war, bei dem ich dem Chef auch noch ständig ins Wort fiel und ihm widersprach, wo ich konnte. Das schien ihm entweder zu imponieren, oder gar nicht erst aufzufallen. Er wollte mich unbedingt als Marketingtante einstellen, obwohl ich ihm bestimmt fünfmal gesagt hatte, dass ich von Marketing so viel verstehe wie meinetwegen ein Konditor vom Trampolinspringen.

Die Firma, für deren Marketinggeschicke ich nun zuständig war, vertrieb Software für Kon- strukteure und Architekten. Im Grunde waren das alles Vertreter. Man sagt ja, dass das schon irgendwie eine Gruppe für sich ist, mit ganz eigenen Regeln. Nachdem ich heraus fand, dass offensichtlich niemand genau wusste, was eine Marketingfrau eigentlich so zu tun hat, machte ich einfach, was mir so einfiel, oder was man mir hinlegte.

Der Chef hieß B. und begann jeden Ausspruch mit der Einleitung: „Ich sach’ mal, halt, was könn’wir tun, was könn’wir machen, das ist dann halt die Sache, halt…“ Das machte mich ganz irre, und ich musste bald sehr aufpassen, ihm nicht aus Daffke genauso zu antworten.

Alles, was nicht so anfing, wurde gebrüllt. Und wie! Herr B. genoss es sichtlich, eine At- mosphäre von Angst und Schrecken zu verbreiten. Alle Kollegen sahen immer so aus, als wollten sie lieber zum Schutz unter den Tisch kriechen. Nur ich wieder nicht. Ich blieb ganz unbeeindruckt und antwortete jedes Mal in gut gelauntem Plauderton. Einmal mach- te ihn das so rasend, dass er tatsächlich anbot, mir den Hals umdrehen zu wollen. Ich lehnte das aber genauso ruhig ab wie alles andere. „Ach nein danke, Herr B., ich hab’ ja auch zu tun.“ Hinterher wollte er das als „Scherz“ gemeint haben. Deswegen also hatte ich so lachen müssen.

Die Kollegin, mit der ich in ein Büro gesetzt wurde, war 22, hatte unterm Bauchnabel so eine Tätowierung, die man wohl normalerweise auf der anderen Seite hat, wo sie dann „Geweih“ heißt. Der Rest von ihr sah wie etwas, dass man erst aus einem rosa Karton pellen muss. Und im Nebenkarton wohnt Ken. Trotzdem verstanden wir uns gut, denn der Rest der Belegschaft war männlich und nicht zum Aushalten.

Ich will sie nicht alle beschreiben, aber in einem Büro saßen z.B. ein Zweitmeterzehn- Mann und ein Terrier von höchstens 1,60 m zusammen, die nebeneinander einfach zum Schießen aussahen. Der Eine bog sich über seinen Schreibtisch wie ein Geier, während der Andere kaum über die Tischkante gucken konnte. Aus der offen stehenden Tür ihres Büros hörte ich immer wieder ein Geräusch wie von einem Nagelknipser, so etwa alle halbe Stunde.

Später fand ich heraus, dass der Geier sich nicht etwa in Zeitlupe die Nägel schnitt, son- dern so ein schickes Knipsfeuerzeug hatte, mit dessen Hilfe er den Terrier mit Zigaretten- rauch einnebelte. Bestimmt, um dessen doofes Gesicht nicht sehen zu müssen. Leider musste er ihn trotzdem weiterhin hören und darum beneidete ich ihn auch nicht gerade. Der Terrier war nämlich nie für irgendwas zuständig oder verantwortlich und sprach in „Wir“-Sätzen, wenn er „Du“ meinte. Zudem kam er aus Sachsen, was man deutlich hören konnte: „Ham wiör dännschö die CäDähs geprannd?“ Und er war ordentlich scharf auf die Barbie-Sekretärin, erklärte ihr ständig die Welt und merkte nicht, dass sie davon völlig unbeeindruckt blieb.

Eines Tages bekamen wir neues Geschäftspapier. Für Hannover und für Hamburg. Damit da keine Verwechslungen aufträten, sollten die Kartons beschriftet werden. Die Beschrif- tung nahm der Chef persönlich vor, mit dickem Filzschreiber. Ein Stapel Kartons wurde mit „H“ beschriftet, ein Stapel mit „HA“. Ich wollte dazu lieber ausnahmsweise nichts sagen. Wir mussten dann jedes Mal überlegen, welche der Kartons nun für welche Stadt waren, bis die „H“-Kartons endlich nach Hamburg gebracht wurden. Übrig blieben dann im Flur der hannöverschen Niederlassung diese Kartons, die sich offensichtlich genauso über die Verhältnisse dort amüsierten wie ich…

lustige_kartons

Wie die Schweine.

(Erstveröffentlichung: 9. Juli 2007)

Schweine sind pfiffige Tiere und machen lustige Sachen. Dass sie feine Nasen haben, weiß ja jeder und außerdem fressen sie gar nicht alles, sondern sehr ausgewählt, wenn man sie lässt, und lassen Angeranztes lieber liegen. Das macht sie mir sympathisch. Bekannt sind Schweinchen aber vor allem für eines: Die Suhle. Das beguckt sich der Mensch, sieht das Vergnügen und denkt: Au ja!

Was daraus entsteht, sieht man hier.
(Und zugleich ist es ein schönes Beispiel für gelungene Bildunterschrift.)

Rund_in_eckig
(Ist schon etwas angeknüdelt, hing jahrelang auf meiner Fitzelwand im Flur.)

Wann immer ich da drauf gucke, frage ich mich, welche Gesprächsthemen da wohl herrschen mögen…

Führerschein – Teil 1

(Erstveröffentlichung: 19. Juli 2007)

Ich wollte ja mal erzählen, wie das nun war mit meinem Führerschein. Freundin T. hat sich das mal gewünscht, weil ich deswegen Ende des letzten Jahres so rumgehühnert hatte. Und weil das ’ne lange Geschichte ist, kommt die ausnahmsweise in vier Teilen.

Vorgeschichte:
Im Sommer war ich beim Väterchen in Berlin zu Besuch für ein paar Tage. Zuerst liefs ganz gut, wir hockten in Biergärten und beim Inder, gingen ins Technische Museum, sa- ßen abends schön vorm Fernseher und alles war nett. Mittenmal kommt er mir mit so ’nem Umschlag an und meint: „Töchterchen! Pass uff. Ick habe mir jedacht, Du musst nu’ mal endlich den Führerschein machen, bevor Du zu alt wirst, wat Neuet zu lernen.“

Ich dachte, ich hab’ Ohrensausen!

Klar hatte ich mal gesagt, dass ich das Mistding irgendwann mal machen will, aber das war doch nur so in die Luft gesprochen gewesen. „Irgendwann“ ist für mich ein Zeitraum, der locker dreißig Jahre umfassen kann. Außerdem wollte ich den 1. selbst bezahlen, und 2. eigentlich erst machen, wenn ich mir mein Traumauto leisten kann: Eine alte Citroen DS. Die Göttin. Darum habe ich natürlich eh’ nie damit gerechnet, dass das noch was wird.

Also gab’s erst mal Diskussion, bis Väterchen fast eingeschnappt war, weil ich den Um- schlag nicht wollte. „Du kannst Dir meinetwejen ooch 2.000 Kugeln Erdbeereis davon koofen. Det is’ mir ejal! Du nimmst det jetzt. Det is noch von deine Omi.“ Also gut. Wenn er mir mit der Omi kommt, werde ich weich. Und Erdbeereis mag ich auch überhaupt nicht.

Zurück in Hannover musste ich erstmal zum Augenarzt, wegen besonderer Umstände in meinem peripheren Guckbereich. Die Praxis liegt am Lindener Markt und als ich da rein kam, fielen mir gleich die überaus patzigen, billig aufgedonnerten Sprechstundenmädels auf. Es gab aber auch ein unauffälliges, liebes Aschenputtel, an die wandte ich mich dann. Die Praxis war total oll, die Einrichtung zusammengehauen aus allen Jahrzehnten. Ich wurde zum Sehtest gerufen. Das Behandlungszimmer fiel fast auseinander, der Arm- stuhl, auf dem ich Platz nehmen sollte, zeigte schamlos seine Polsterfüllung herum. Ich fand das alles immer lustiger und war gespannt auf mehr. Die Buchstaben erkannte ich, die sind ja zum Glück zeitlos („Helvetica?“). Dann kam der Farbtest. Das Büchlein mit den Tafeln fiel ebenfalls fast auseinander, der Leineneinband war mit Tesafilm dick über- zogen. Ich bestand den Test mit Bravour, obwohl ich meine, die Farben wären schon etwas verblasst gewesen…

Dann kam dieser Gesichtsfeld-Test, wo man ein Summerchen drückt, sobald der helle Punkt ins Blickfeld kommt. Das Gerät war selbstverständlich ebenfalls uralt und musste per Hand bedient werden. Die Sprechstundenmadame hantierte herum und ich konnte natürlich genau vorher sagen, von wo das Pünktchen kommen würde, weil ich ja mitkrieg- te, wie sie da werkelte. Also summerte ich, bis ihr die Puste ausging.

Dann bekam ich die berühmten Tropfen ins Auge und musste warten. Ich weiß, dass das alle immer sagen, aber das Gefühl ist wirklich komisch. Wenn ich mir vorstelle, dass die Herrschaften des Barock sich Belladonna nicht zu knapp in die Augen geträufelt haben, damit die Blicke verführerischer wirkten, muss ich feststellen, dass die wohl nicht mehr alle an der Kappe hatten.

Nach einer halben Stunde kam ich zum Doc rein. Und Doc war der Knaller!

Ein altes, rundliches Männlein mit weißen Babylöckchen, das vor sich murmelnd in Pu- schen durch sein vollgerümpeltes Behandlungszimmer eierte. Er wies mich an, Platz zu nehmen und mein Kinn auf einer Art Rahmenkonstruktion aufzustützen.

„Keine Angst.“, versuchte er mich zu beruhigen. „Ich hab’ gar keine Angst.“, antwortete ich munter und guckte ihn verschmitzt an. Der Typ ist ein Kobold, dachte ich, der tut nur so kauzig. Gefällt mir. „Doch!“, sagte er, „sie haben Angst. Alle haben Angst! Aber ich mache das schon seit über 35 Jahren, überall auf der Welt mache ich das. Sogar in China! Auf der ganzen Welt mache ich das!. Nur in Russland nicht.“ „O.K., jetzt habe ich Angst!“, grinste ich. Er nickte.

Ich bekam einen Glaskegel direkt auf den Augapfel gesetzt und er schaute sich meinen Augenhintergrund an. Durch die Linsenbrechung konnte ich sogar irgendwie mitgucken und sah ein schönes Muster aus Äderchen. Irre, sich ins eigene Auge gucken zu können. Nebenbei wurde geplaudert.

„Und? Kann ich den Führerschein denn machen, Herr Dokter? Krieg’ ich ihre Freigabe?“

„Das können sie. Aber mit dem Pilotenschein wird’s leider nichts.“

„Och. Schade.“

„Und Rettungswagen fahren wird auch nichts.“

„Und Feuerwehrautos?“

„Tut mir leid. Gar keine professionelle Personenbeförderung. Privat können sie aber machen, was sie wollen!“

„Prima. Dann muss ich den Löschzug donnich abbestellen. Fein, der ist nämlich schon angezahlt.“

Inzwischen guckte er schon mit dem Kegeldings in das andere Auge.

„Wenn sie den Führerschein dann haben und so ein Jahr Praxis, dann leihen sie sich mal einen Porsche aus! Das ist ein Auto!“

„Ich komm’ dann, und leih’ mir ihren…“

Er lächelte mild, wir waren auf einer Ebene.

Nun versuchte er, das Glasding von meinem Auge zu nehmen, aber das hatte sich fest angeschmiegt bzw. fest gesaugt. Er musste etwas nachhelfen, dann war das Ding raus. Zum Glück, sonst hätte ich wie der Terminator nach Hause gemusst, bis das Ding von alleine abfällt. Und das mir! Ich habe so empfindliche Augen, dass ich leider keine Linsen tragen kann, weil ich’s nicht fertig bringe, mir was ins Auge zu pitschen. Auf dem Weg nach Hause schien die allerschönste Septembersonne. Ich drückte mich an den Wänden entlang, weil das Licht mir direkt ins Hirn wollte. Eigentlich eine ganz schöne Vorstellung, aber erst hinterher…

Teil 2
Teil 3
Teil 4

Wenn ich mal groß bin.

(Erstveröffentlichung: 25. Juli 2007)

Heute musste ich im Treppenhaus lachen. Wahrscheinlich denken die Nachbarn jetzt, ich würde langsam gaga, weil ich plötzlich in irres Lachen ausbreche. Hab’ aber nur meine neue Rentenhochrechnung bekommen. Mal sehen, wie ich das noch hinkriegen kann, was ich mir unter meinem „Lebensabend“ vorstelle. Eigentlich möchte ich so eine von diesen durchgeknallten Alten werden, die ohne Schuhe im Superladen stehen und mit den Kartoffeln reden. Zuhause werde ich mir die Kartoffeln wohl sowieso nicht leisten können. Das würde ja gerade noch passen.

Allerdings stelle ich mir außerdem eigentlich vor, mit anderen Alten meiner Generation eine lustige, hedonistische Villa-WG zu gründen, in der den ganzen Tag getrunken, ge- kokst und gepokert wird. Also alles, was ich mir jetzt nicht recht erlaube. Dazu wird’s Pflegepersonal geben, das hauptsächlich nach Knackigkeit und Nervenstärke ausgesucht wird und in der Küche steht die allerbeste Köchin der Welt und macht mir immerzu die tollsten Bratkartoffeln. Das ist es nämlich, was ich den Kartoffeln vorher erzähle: Was für ein unglaubliches Glück sie haben werden, auf diese wunderbarste Weise ums Eck ge- bracht zu werden. Und beruhigend streicheln werde ich sie bestimmt auch mal.

Einige meiner Freunde haben sich übrigens schon auf WG-Zimmer beworben.
Dann muss ich mich jetzt aber wirklich mal ranhalten mit den Rentenbeiträgen, damit’s auch was werden kann…

Küchensofagedanken am Morgen (Teil 3) – Service

(Erstveröffentlichung: 29. Juli 2007)

Theobrominenfuesse Gestern hatte ich mal so gar keine Lust. Ich rede mich auf’s Wetter raus, das mal hü ist, und mal hott. Und wenn das Wetter schon so unentschlossen daher kommt… Ach, und heute könnte ich auch bestimmt den ganzen Tag hier liegen. Gerade mache ich mir Gedanken über Kellnerinnen. Über solche, denen man anmerkt, dass sie nie eine Aus-
bildung zur Restaurantfachfrau gesehen haben. Solche, die vielleicht während des Studiums oder aus ganz normalen Geldver-
diengründen „kellnern“ gehen. Ich habe das übrigens vor ca. 15 Jahren auch eine ganze Weile in verschiedenen Läden gemacht, und vielleicht achte ich deshalb etwas mehr darauf, wie die Damen mit den Gästen umgehen. Machen wir uns nichts vor, meistens sind es Damen.

Obwohl das ja immer gern behauptet wird, sagen sie fast nie: „Draußen nur Kännchen!“ Auch „Kollegin kommt gleich!“ habe ich, glaubich, noch nie zugerufen bekommen. Was ich aber schon öfter gehört habe, ist: „Das ist nicht mein Tisch!“
Und dann denke ich: Naja, ich hatte jetzt auch nicht gedacht, dass sie jeden Tag ihren eigenen Tisch mitbringen muss. Das wäre ja eine ziemlich merkwürdige, wenn nicht unzulässige Vertragsklausel, und wenn sie kein Auto hat, ist das auch ganz schön schwierig für sie. Der Tisch wird also schon wahrscheinlich ihrem Chef oder ihrer Chefin gehören. Aber ich weiß ja, was sie meint und warte, bis die Kollegin kommt.

Wenn sie dann kommt, fragt sie manchmal streng: „Wissen sie schon, was sie wollen?“ Dann komme ich mir vor, als stünde ich vor meinen Eltern, die mich fragen, was ich denn nun aus meinem Leben zu machen gedenke. Und möchte antworten: „Naja, ich dachte, ich verdien’ jetzt erstmal ein bisschen Geld, dann reise ich vielleicht erstmal nach Norwe- gen, da wollte ich immer schon mal hin, Fjorde gucken. Und dann, wenn ich wieder hier bin, weiß ich bestimmt auch, wie’s weiter gehen soll. Vielleicht mache ich mich ja selbst- ständig oder so…“ Das verkneife ich mir aber, denn wenn ich sie jetzt ärgere, kriege ich später kein Schirmchen auf mein Eis.

Wenn sie dann wieder kommt, um das Bestellte zu bringen, sagt sie bestimmt: „Sooo…!“, während sie es abstellt. „So!“ heißt ja angeblich „halb fertig“. Im Café heißt es aber: „Jetzt räum’ doch bitte mal Deinen Krempel zur Seite und nimm’ die Ellbogen vom Tisch, denn das Ding hier ist schwer/heiß/sperrig, mir fällt gleich die Hand ab und ich hab’s eilig.“

Wenn sie eine nicht so gute Kellnerin ist, fasst sie die Gläser ganz oben am Rand an. Dann hoffe ich, dass sie wenigstens halbwegs saubere Fingerchen hat. Leider sehe ich dieses Glas-oben-am-Rand-Anfassen ziemlich häufig und wundere mich immer, dass das von den Chefs nicht geahndet wird. Denn die wollen ja nach außen gerne einen properen Eindruck vermitteln. Was aber z.B. manchmal so hinter Theken passiert, oder sogar in der Küche, würde dem Gast schon mal den Appetit verderben. Darum ist er normalerwei- se froh, wenn er’s nicht mitbekommt. Wer einen empfindlichen Magen hat, sollte die kommenden drei Zeilen überspringen.

Wenn man nämlich mal gesehen hat, wie eine Bierleitung aussehen kann, die länger nicht gereinigt wurde, der bestellt fortan nur noch Flaschenbier. Denn dann ist es auch schon total egal, wo das Bierglas beim Servieren angefasst wird und womit.

Wenn ich also meine Bestellung bekommen habe und mich vielleicht gerade daran gemacht habe, Messer und Gabel aus der Serviette zu wickeln und alles zurecht zu schieben und loszulegen, kommt bestimmt jemand zum „Abkassieren“, weil jetzt „Schichtwechsel“ ist. Dann legt man das Besteck wieder hin, fummelt das Portemonnaie raus, dabei fällt einem das Messer runter und man weiß gar nicht, wer kriegt denn jetzt das Trinkgeld? Sie oder ihre später abräumende Kollegin? Übrigens ist mir auch mal aufgefallen, dass Servicepersonal noch so patzig sein kann, wenn’s aber ans Bezahlen geht, sind sie die Lebensfreude selbst. Komisch, oder?
Naja, hab’ ich bestimmt genau so gemacht, damals.

Wenn die Teller leer gegessen da stehen, wird abgeräumt und dabei hastig gefragt: „Hat’s geschmeckt?“ Nach meiner Erfahrung reicht als Antwort ein knappes „Ja.“, denn entweder ist die Servierdame schon längst wieder weg, oder sie kann mit Kritik nicht recht umgehen („Das soll so!“). Es ist also fast immer sinnlos, ein Gespräch anfangen zu wollen. Selten landet die Anregung da, wo sie hingehört: In der Küche. Und aus eigener Erfahrung weiß ich, wie Köche darauf reagieren. Im günstigen Fall mit Schulterzucken. Im ungünstigen Fall mit launigen Vorschlägen, die der Gast lieber nicht hören möchte.

Der Gast möchte sich ja bloß entspannen. Und es interessiert ihn eigentlich nicht, ob das Personal gerade total im Stress ist. Ich erinnere mich noch gut, wie schwer es manchmal war, freundlich zu bleiben, wenn man gar nicht mehr wußte, wo einem der Kopf stand. Aber dennoch habe ich es immer vermieden, den Gästen mein Herz auszuschütten oder sie anzublaffen. Manche, die verständnisvoll aussahen, habe ich gelegentlich freundlich um Geduld gebeten, weil viel los war. Netterweise waren das dann meistens die, die das beste Trinkgeld gegeben haben. Nur mal so als Tipp.

Und natürlich gibt es unangenehme, doofe Gäste. Die einen 5 mal rennen lassen für ein Extratütchen Zucker, einen neuen Kaffeelöffel, ein Glas Leitungswasser, die Eiskarte und doch noch einen kleinen Salat, Dressing aber extra. Und dann geben sie 15 ct. Trinkgeld und fragen noch, warum man sie frech angrinst.
Aber das ist ja ein ganz anderes Thema.

Tankdeckelprobleme

(Erstveröffentlichung: 3. Juli 2007)

Heute war es trotz Regens und den damit verbundenen Dämmerlichtverhältnissen ganz lustig in der Agentur. Obwohl nicht mal die Rechner Bock auf Arbeit hatten und immer heimlich nach Hause wollten, wenn man mal kurz nicht hingeguckt hat.

Gegen späten Mittag wurde ich total müde und kochte mir einen Aufwecktee.

Eine halbe Stunde später fiel er mir auch prima wieder ein, und wenn ich den getrunken hätte, hätte ich nicht mal Zeit gehabt, den Tassenarm wieder zu senken, bevor ich ein- geschlafen wäre, also neuer Versuch.

Wiederum eine halbe Stunde später war ich schon echt müde und hatte den Tee wieder vergessen! Er sah aus wie Kaffee und hätte bestimmt geschmeckt wie Zigarette. Der dritte wurde es dann aber! (Ich weiß, schon, warum die 3 mir die beste Zahl von allen ist.)

Während ich also den dritten Tee nun endlich genießen konnte und die Herren von der Fa. „Meßm*r Tee“ sich wahrscheinlich die Hände rieben, weil sie genau wussten: Die Theobromine muss bald schon wieder neue Beutel kaufen, kriegte die Chefin einen Anruf ihrer Freundin.

Diese hatte sich das Auto geliehen, weil die Züge sich ja heute Müllsäcke überstülpen und streiken wollten. Sie hatte das Auto bis auf den vorletzten, den letzten und sogar auf den Tropfen nach dem letzten leer gefahren und war damit stehen geblieben. Als sie wieder Sprit einfüllen wollte, kriegte sie den Tankdeckel nicht auf!
Auch die hilfreichen umgebenden Herren kriegten den Tankdeckel nicht auf!
Nicht mal in der Werkstatt kriegten sie ihn auf!

Nun ist die Freundin auch noch seit Tagen und Wochen total im Dauerstress, hat einen minutiös ausgestalteten Terminplan, in dem sie jede verlorene Minute gleich um Monate zurückwirft. Die brüllenden Kinder sitzen beim Babysitter in der nächsten Stadt und war- ten. Ist sie natürlich angespannt. Klar.

Die Chefin vermutet am Telefon, dass sich im Tank durch Motordurst ein Vakuum ge- bildet hat, das den Tankdeckel von innen kräftig anzutzelt und deswegen nicht mehr freigibt. Sie hat das schon mal mit einem anderen Wagen erlebt, damals wurde die Rohrzange geholt und der Deckel mit Gewalt entfernt. Dies rät sie der Freundin, eben- falls zu tun oder notfalls sogar ein Luftloch hinein zu bohren, und legt auf. Wir haben ja alles mitgehört und sie fragt noch: „Ja was willste denn da sonst machen?! Scheiß doch auf den blöden Deckel…!“

Eine Pause entsteht.

Ich sitze da so mit meinem Tee, werde grade langsam wieder wach, überlege mal kurz und sage dann: „ Los. Ruf’ die noch mal an! Die sollen das so machen wie die Hausfrau mit den Marmeladengläsern… Einfach das Autochen umdrehen und von unten mal ordentlich gegendotzen. Wirst sehen, dann geht der Tankdeckel ganz leicht!“