So sieht’s aus.

Dass ich mit meinem neuen Job nicht ganz glücklich bin, hat man mir hier wahrscheinlich schon angemerkt. Dass ich aber regelrecht unglücklich bin, gebe ich erst heute richtig zu. Ich fühl mich sogar fast ein bisschen wie eine Fliege auf Leimpapier.

Es könnte ein toller Job sein, die Aufgabe macht mir richtig Spaß, weil ich dort vieles anbringen kann, was ich in anderen Bereichen aufgesammelt habe. Ich muss Gruppen kompetent/witzig erklärend durch die Ausstellung führen, mich für die anschließende Verkostung in eine fixe Kaltmamsell verwandeln und zwischendrin den ganzen, vielen Bürokram machen. Meine Gäste sind mal fidele Landfrauen, mal Lions-Clubs. Mal die öligen Außendienstler mit ihren Kunden, mal Seminargäste, mal die Geschäftsführung mit wichtigen Besuchern.

Ich bestelle die ganze Ware, karre sie an, hüte den Verkauf, organisiere Veranstaltungen und bereite sie vor (und nach). Dann bin ich noch für das ganze Gebäude und seine Tech- nik zuständig und muss Handwerker koordinieren und wissen, wieso die Heizung mal wieder nicht zündet und warum die Beleuchtung neuerdings flackert. Zwischendrin stehe ich auf der Leiter und wechsle Spots aus, während ich vielleicht eine telefonische Anfrage entgegennehme oder mache die Abrechnung für die letzte Veranstaltung.

Die Details lasse ich jetzt mal weg.

Alles wäre schön, wenn ich das nicht mit der Kollegin machen müsste. Sie hat offiziell die Leitung der ganzen Klamotte inne, wir sind also zu zweit, und ich bin ihre „rechte Hand“. Ich bin da eigentlich gut drin, ich bin nämlich was ganz Seltenes: gern die Zweite.

Allerdings geht das nur so lange gut, wie ich jemanden unterstützen kann, der was auf dem Kasten hat und weiß, was er an mir hat. Oder sie. Leider ist meine Weisungsbefugte aber unfähig zur Teamarbeit, herzlich unorganisiert, dafür extrem hektisch, trickst sich überall durch und lässt sich liebend gern den Allerwertesten nachtragen. Dabei tut sie wahnsinnig herzlich und glaubt, man merkt nicht, wie sie ihre Schäfchen unterm Ellen- bogen durch ins Trockene winkt. Ehrlich gesagt, brauchte ich tatsächlich ein Weilchen, bis ich das alles so auseinanderkriegte, weil ich diese Form von „Zusammenarbeit“ überhaupt nicht kannte, arglos und hilfsbereit, wie ich bin. Und nachdem ich nun einige Monate dort bin, fassen andere Mitarbeiter Vertrauen zu mir und bestätigen mir, was ich schon lange ahne: Intrigen, Stuhlgesäge, und meine mitunter von Heulkrämpfen geschüt- telte Vorgängerinnen, die immer gegangen wurden, wenn’s irgendwo hakte.

Doof dazu, dass Madame mit der Oberchefin lose befreundet ist und die auch nur am Rande mitbekommt, was bei uns so los ist, denn wir sind relativ autark in unserem Gebäude.

Ich weiß, was ich leiste. Ich rackere 40 Std. in der Woche, und zwar so, dass ich abends umkippe. Schließlich arbeite ich nicht selten für Zwei, habe die ganze Organisation immer mit im Kopf. Ich glaube, dass auch die Oberchefin und die anderen Herrschaften der Geschäftsleitung inzwischen sehr zufrieden mit dem sind, was sie von mir mitbekommen. Leider ist das aber nicht wirklich viel. Wenn die wüssten, was sie alles nicht wissen! Aber ich kann (und will) ja schlecht hingehen und petzen. Und kündigen kann ich auch nicht, weil ich natürlich das Geld brauche, um die Verluste der letzten Jahre mal wieder aufzu- holen und zudem eine Förderung zurückgezahlt werden müsste, wenn der Vertrag (1 Jahr) nicht erfüllt wird.

Mein Plan ist nun, nach dem Urlaub (dann ist auch meine 6-monatige Probezeit rum) ein Gespräch mit der Oberchefin zu suchen und dann sehr gut vorbereitet zu sein. So viele sachliche Argumente wie nur möglich, Persönliches nur hauchdünn mal zwischen zwei Zeilen oder so. Eventuell weckt das mal Aufmerksamkeit und die Erkenntnis, dass es ja nicht immer ausschließlich an den „rechten Händen“ liegen kann, wenn was nicht läuft.

Und nebenbei studiere ich eben die Stellenanzeigen. Schade. Wirklich.

Und Fensterputzen hätte ich eigentlich auch noch sollen…!

„Mit Suppen kannste mich jagen!“

„Nee. – …dann schwappen die ja über.“

Diese hübsche kleine Unterhaltung führte ich neulich bei der Arbeit mit einem unserer Re- ferenten. Da hatte ich kurz und ausnahmsweise mal Spaß. Leider ist der Kollege ganz selten da, weil er nur zu Schulungen anreist und dann natürlich auch schnell wieder abreist, heim zu Freundin und Tochter. Würde ich an seiner Stelle natürlich auch machen, aber ich darf ja nicht. Ich muss am nächsten Tag wiederkommen und mich rumärgern. Und mir jetzt extra ’ne Tochter anzuschaffen, fänd’ ich übertrieben… Freundinnen, immer- hin, hätte ich ja schon mal ein paar.

Ansonsten hatte ich an den letzten beiden Wochenenden mit gewissen Feierlichkeiten zu tun, liebe Besucher zu bekochen, diverse Flaschen auszutrinken, schwere Räusche aus- zuschlafen, zwischendrin Krümeln, Flusen und Knitterfalten streng die Tür zu weisen, riesige Stapel von Bilderrahmen zu sortieren (die irgendwann in der Zukunft daraus ent- standene Bilderwand werde ich Euch natürlich nicht vorenthalten), eine mickernde Erdbeerminzenpflanze zu hegen („Reiß dich mal zusammen, jetzt!“), ein Buch zu lesen (Freund M. hat sich als Einziger der allgemeinen Bilderrahmenschenkung bockig verweigert, – gut so!) und mit Schokolade gefüllten Karamelltoffees mal so richtig zu zeigen, wo’s langgeht.

Da konnte ich natürlich unmöglich auch noch bloggen.

Theobromine in Not: Hilfe, Rentner schwemmen aus!

Donnerstag:

Heute ist ja wohl auch wieder so’n Tag.

Wenn ich die Post hole, dann sitzt an zwei Tagen in der Woche der Kollege M. in der Poststelle. Er ist eigentlich schon längst pensioniert, es hält ihn aber nicht zuhause. Ich vermute, das hat seine Frau entschieden. Als ich noch neu in dem Laden war, herrschte er mich einzweimal an, ob ich denn ganz allgemein niemanden grüße oder bloß ihn nicht. Da war ich, zugegeben, erstmal kurz perplex, fand aber dann durch blitzschnelles Kombi- nieren heraus, dass Herr M. der einzige ist, der nicht weiß, dass er schwerhörig ist. (Eben waren wir noch zu Zweit.)

Nun brülle ich den armen Mann immer schon von der Tür aus an: „Hallo! Schönen guten Morgen, Herr M.!!!“, was ihm aber zu gefallen scheint. Heute war mir mal ein bisschen nach Abwechslung, und deshalb rief ich: „Hallo, guten Morgen, Herr M.! – Na? Schon wieder fleißig?!?“ Das hätte ich mal lieber sein lassen sollen, denn Herr M. startete gleich den Motor und nahm richtig schnell Fahrt auf: „Ich bin fleißig, Sie sind fleißig. Sind wir ja alle. Wir müssen ja! Machen wir ja aber auch gerne, nicht? Immer schön fleißig! Wir müssen ja die Wirtschaft an…, an…“

„-kurbeln?“, half ich nach und flüchtete mich vorsichtshalber gleich in Gedanken über die- ses Wort, das man jetzt wieder so oft hört und das mir so seltsam altbacken vorkommt. Wo wird denn heutzutage noch gekurbelt? Das geht doch inzwischen alles über Touch- screen! Ich muss dann immer an diese Autos denken, die ich als Kind in „Väter der Klamotte“ gesehen habe, die wurden doch per Kurbel… Aber vielleicht ist der Vergleich mit einem uralten Auto ja auch gar nicht so verkehrt.

Inzwischen pumpt sich Herr M. auf wie ein Maikäfer und möchte gern richtig loslegen. Ich kann noch schnell sagen, dass ich das Wort „Krise“ nicht mehr hören kann und deshalb auch schon länger keine Nachrichten mehr gucke. Doch diesen dezenten Hinweis über- hört er (natürlich!) und ist schon unterwegs; – im Galopp über Allgemeinplätze: Den klei- nen Mann. Die Kleinen fangen sie, die Großen lassen sie laufen. Managerabfindungen. Und dass man sich diese Milliarden ja gar nicht vorstellen kann.

Jaja. Ich kann mir ohne weiteres Milliarden vorstellen, denn in meinem Kopf ist Jahrmarkt und ich könnte mir zur Not sogar Milliarden kleiner Männer vorstellen, solange ich sie nicht zählen muss. Herr M. ist gerade bei: „Und wer muss das alles wieder bezahlen? Wir!“, da hake ich ein, sage: „A propos: muss. Ich muss dann mal wieder. Kurbeln gehen, nech?“ und flitsche schnell aus der Tür.

Kaum in meiner Abteilung angekommen, steht ein weiterer älterer Herr mit grasgrünem Pulli vor mir. Natürlich hat er ein Poloshirt drunter. Offenbar hat mal wieder jemand den Schnappi von der Eingangstür runtergeknipst. Der Herr will nun wissen, wie das alles hier so bei uns funktioniert, schielt immerzu neugierig Richtung Ausstellung, beschwert sich mal gleich, dass wir nicht immer geöffnet haben, wenn er Lust kriegt, mal reinzuschneien, und wieso wir eigentlich keine Gruppenführungen für 6-8 Personen organisieren. Er hat dann natürlich auch gleich mal ein paar Verbesserungsvorschläge, was das grundsätz- liche Führen unserer Einrichtung angeht. Das habe ich übrigens besonders gern: „Ideen und Vorschläge“ von Branchenfremden.

Dass mein Telefon immerzu klingelt, stört ihn erstmal nicht, schließlich offenbart er mir gerade die Geheimnisse der Unternehmensführung, das kann ja nur wichtiger sein. Körpersprache kann er leider nicht lesen. Auch mein ungeduldiges „Hm. Hm.“ versteht er eher als Anfeuerungsversuche. Irgendwann drehe ich mich einfach um, murmele was von „mal endlich rangehen“ und verschwinde. Am Telefon ist ein inzwischen verärgerter Hand- werker, der mich bittet, mal eben den Durchmesser eines Kronleuchters auszumessen. Also laufe ich mit dem Telefon an dem Besucher im Foyer vorbei, der mir noch bedrohlich hinterher ruft: „Machenseman! Ich hab’ Zeit!“

In der Ausstellung muss ich auf einen Stuhl steigen und versuchen, Telefon und Zollstock gleichzeitig zu bedienen, was nicht ganz einfach ist, weil hier hinten der Empfang mise- rabel ist und das Gespräch nun quasi Buchstabengehacktes für Phantasiebegabte wird. An einem anderen Tag wäre das sicher lustig. Ach, und weil ich ja schon mal dabei und so freundlich bin, soll ich die anderen Lampen auch gleich noch…

Als ich wieder zurück bin, ist der Senior natürlich immer noch da, hat inzwischen eine Broschüre über Käse durchgeblättert und ist darüber zum Experten geworden. Das bitte nicht auch noch! Ich packe ihm energisch einen Stapel weiterer Faltblätter zusammen und lege ihm eine Karte mit unseren Öffnungszeiten ganz obendrauf, bevor ich den Arm zur Tür hin ausstrecke und ihm noch einen interessanten Tag wünsche. Wenn er irgendwann mal wiederkommt, und er wird wiederkommen, erwischts hoffentlich die Kollegin.

Später in der Bahn setzt sich natürlich der nächste alte Herr des Tages ausgerechnet neben mich, obwohl der Zug nur halbvoll ist, und will gleich wissen, wie ich das Wetter finde, ob ich von der Arbeit komme und was das denn so für eine Arbeit sei.

„Seniorenbändigerin!“ kann ich ja schlecht sagen, also murmele ich mir unentschieden was zurecht. Das macht aber nichts, denn natürlich war das nur der Einstieg in seine Berufslebensgeschichte. Zum Glück ist der Bahnhof nur 10 Minuten weit weg. Nur so viel: über 40 Jahre bei der Post, ganze Entwicklung über die Jahrzehnte miterlebt („nicht gut, nicht gut“), alles geht den Bach runter, zuhause 2 Kinder gehabt („Alles eigener Hände Arbeit!“), inzwischen 3 Enkel, was soll man machen…

Ich seufze und beschließe, mir jetzt wohl doch so ein MP3-Dings mit Ohrkörkchen anzuschaffen.

Böse Woche, – geh weg!

Am Telefon die falschen Anrufer. Und einen Menschen, der mir nahe steht, zieht’s mei- lenweit fort. Die Kollegin wegen nervöser Erschöpfung bis Freitag krankgeschrieben (es dräut Aufgabenumverteilung). Und dann schnappt mich auch noch ein Virus auf. – Wirke ich vielleicht irgendwie breitschultriger als sonst?

Mein Lieblingstag in der Woche war an sich schon immer Donnerstag. Früher vor allem deswegen, weil dann ein buntes Nachrichtenmagazin (von dem ich einfach nicht lassen kann) erscheint, mit dem ich mich dann rituell für eine Stunde auf’s Sofa verzog. Außer- dem gab’s mal eine ganz doofe amerikanische Serie, deren Hauptdarsteller ich aus mir völlig unerklärlichen Gründen besonders lecker fand (an welchem Tag die kam, muss ich wohl jetzt nicht speziell erläutern). Dass sich das Wochenende in der Nähe des Donners- tags rumdrückt, spielt sicher auch eine Rolle.

Im Moment mag ich den Donnerstag aber hauptsächlich deswegen, weil dann der Mitt- woch vorbei ist. Mittwoch bedeutet: Viel Arbeit. Lang Arbeit. Breit Arbeit.

Und gestern hat mir doch tatsächlich ein (der einzige nette!) Außendienstler sein Herz ausgeschüttet über Haifischbecken im Allgemeinen und Intrigen im Besonderen. (Ein anderer AD umschleicht mich, wann er kann, mit hungrigem Schmierblick. Und ich dachte immer, diese Vertretergeschichten seien Klischees!) Ich fand ja schon die ganze Zeit, dass bei uns eine merkwürdige Anspannung herrschte, habe das aber auf die spezielle Situation in unserer Abteilung geschoben. Jetzt ist mir klar: das Teamwork wird allgemein von oben verlangt und entsteht nicht von unten. So kann das natürlich nix werden. Vor allem wird es wohl auch nicht besser werden. Wenn jeder Kollege immerzu Schiss vor Sanktionen hat, entsteht ein müdes Umsichbeißen, ein Zurückhalten von wichtigen Informationen und dazu Schadenfreude, wenn wieder einer was wegstecken muss.

Das entspricht so gar nicht meinem Naturell, dass ich tatsächlich Monate brauchte, um es zu erkennen. Und was mache ich jetzt?

Mein Nervenhaushalt ist ohnehin so unausgeglichen, weil mich immer wieder Gespenster plagen (die mich gern nachts um viere wecken und überall zupfen und pieksen, dass an Schlaf nicht mehr zu denken ist).

Und intolerant bin ich auch noch! – Nämlich Histaminintolerant.
Was bedeutet, dass ich ohne Tablette innerhalb weniger Stunden böse juckende Haut am ganzen Körper habe, die auch so berührungsempfindlich ist, dass sofort rote Flecken auftauchen, wenn man mal irgendwo drankommt. Mal abgesehen von heftigem Kreislauf- geschwurbel und so. (Mit Tablette ist mir immerhin nur ab und an schwindelig und dann fühl’ ich mich fiebrig.)

Mir ist grad’ alles ein bisschen zu schwer. Ehrlich gesagt.

Breite Streifen machen Mühe

Gott, ist mir das peinlich! – Ich habe vor ein paar Tagen…

Also, wenn meine Freunde das mitkriegen, ist es aber aus. Und auch noch unter freiem Himmel, wo mich jeder sehen kann! O.K., ich schreib’s jetzt hin: Ich habe eine Deutsch- landfahne gehisst.

Ich kann verstehen, wenn ab hier niemand mehr weiter lesen mag. Fahnen hissen! Und auch noch schwrrrz, rrrtt, gllb… Hoffentlich darf ich jetzt noch zur Anti-Rechts-Demo am 1. Mai. Nicht, dass die mich dann anbrüllen: “Geh’ doch rüber, wenn’s dir hier nicht passt!“

Aber natürlich hatte ich einen Grund: Es gehört anscheinend zu meinen neuen Aufgaben, im Job. Vor unserem Gebäude stehen halt so Fahnenmasten. Und damit die nicht verge- bens da rumstehen, zerren wir europäische Fahnen dran hoch. Also, eben nicht nur deutsche, sondern auch italienische, französische, norwegische, wattweißich. Und weil der eine Fahnenmast, an den die deutsche dran sollte, irgendwelche Verklemmungen hat, und man die olle Schlaufe, wo der Stoff mit Karabinern eingehakt wird, nur auf 3 Meter fuffzich runtergelassen kriegt, und meine Chefin sich an der Stelle ausklinkte und ein wichtiges Telefonat vorschob, musste die Bromine sich eine Leiter aufklappen und auf Zehenspitzen auf dem obersten Trittchen nach der Schlaufe angeln. Das war übrigens vermutlich der Moment, in dem die Lagermannschaft komplett am Fensterchen hing, um nach der Frage: „Watt um Himmels Willen fuddelt die denn da?!“ einen Blick auf der Brominen weißen Bauch abzukriegen.

Diese Jeans hören ja heutzutage alle auf dem Beckenknochen auf, als hätten sie Angst, ihn zu überschreiten. Schließlich, wer weiß, was einen im Tal der Taille so erwartet…! Und passend dazu sind die Blusen zu kurz und die Ärmelchen eng, so dass alles um einen halben Meter hochversetzt wird, wenn man mal schwungvoll jemandem zuwinken möchte. Deswegen vermutlich ist auch das Winken fast ausgestorben. Zu enge Ärmel.

Aber in meiner Höhenangst und in dem Willen, das jetzt alles schnell hinter mich zu bringen, war mir sogar das egal.

Jedenfalls. Kurz, bevor mir so schwindelig wurde, dass ich versucht war, mich am schwankenden Fahnenmast festzuhalten und dort auf die Feuerwehr zu warten, und als ich trotzdem eben noch überlegte, ob ich die Fahne vielleicht aus Spaß einfach mal falschrum aufhänge und dann frech als belgische verkaufe, kriegte ich das Biest endlich doch noch eingehakt und war, ja, ich war tatsächlich stolz, den Lappen endlich da hoch zerren zu können.

Und wie viel stolzer wäre ich erst gewesen, wenn da ein „Wer das liest, ist doof!“ oder wenigstens ein hübsches, knallbuntes Blümchenmuster auf Pink draufgewesen wären!

Hm. Wo is’n eigentlich meine Nähmaschine…?

Brote machen einsam.

Ich sitz’ hier und habe mir eine Radiokonserve aufgemacht, die schon vor längerer Zeit gesendet wurde und erst jetzt den Eingang in mein Ohr findet. Auch komisch, wenn aus dem Lautsprecher plötzlich der Februar wieder rauskommt, obwohl draußen schon April ist und die Bäume zaghaft ihr grünes Geblatt rausrücken. Und dann spielt die HikE auch noch ein 13 bis 16 Jahre altes Lied, das mich noch weiter zurückschießt, bis ich fast überhaupt nicht mehr weiß, wo ich bin. Macht nix. Kann ja auch mal ein ganz angeneh- mer Zustand sein.

Unter der Woche weiß ich leider ziemlich genau, wo ich bin. Und nein, – es ist noch nicht viel besser geworden. Ich befinde mich in einem Paralleluniversum, das von fidelen Seni- orengruppen, hektischer Konfusion, Arbeitsaufkommen und Vertreterwitzen bevölkert ist. – Kostprobe? „Ach, heute janz in Schwarz? Ist jemand jestorm?“ Nur knapp kann ich mich beherrschen, mit kummervoller Miene zu sagen: „Ja, der Witz.“

Da kommt schon der Zweite. Und was sagt er? „Huch, ganz in Schwarz. Jemand ge- storben?“ Und Frau Bromina ist kurz davor, zurück zu fragen: „Huch! Ist heute denn schon wieder Zwei-Männer-teilen-sich-einen-Witz-Tag?“, reißt sich aber zusammen.

Zwischendrin bzw. vorher und nachher lungere ich auf Bahnsteigen rum, warte auf: „Auf Gleis Hmpzehn fährt ein: S soundso nach Daundda, bitte Vorsicht bei der Einfahrt!“ Wieso soll ich denn da aufpassen? Soll das doch der Lokführer machen, der wird den Bahnhof schon treffen! Kann ja nicht so schwer sein bei Gleisfahrzeugen, oder wie?! Während ich darüber nachdenke, halluziniere ich ein riesiges Playmo-Handy, das tatsächlich versucht, mich anzubaggern.

Baggerhandy1

Und als ich (nun doch neugierig) gucke und abwarte, was es will, produziert es mir tatsächlich einen möglichen Begleiter, den ich dann aber dankend ablehne.

Baggerhandy2

Im Zug esse ich übrigens oft meine Brote, weil ich „auf Arbeit“ ja doch keine Zeit dazu habe, und beobachte dabei jeden Tag, wie jeder Fahrgast versucht, eine 4er Sitzgruppe für sich allein zu erringen und diese dann mit abschätzigen Blicken zu verteidigen. Dabei ist das Broteessen der viel bessere Trick. Da kommen sich Zugestiegene nämlich unhöflich vor, wenn sie beim Essen stören. Brote machen also einsam und das ist unterwegs manchmal gar nicht verkehrt.

Abends bin ich dann auch schon mal ein bisschen tüdelig, wenn ich nach Hause komme. Gestern z.B. bin ich mit dem Ärmel meines Shirts so blöd am gerade anlaufenden Was- serhahn hängen geblieben, dass mir das kalte Wasser ordentlich bis zum Ellenbogen reingelaufen ist und ich beinahe, beim Versuch mich zu befreien, den ganzen Abwasch umgeschmissen hätte.

Aber immerhin war ich danach wieder wach genug, vergnügt ein schönes Feierabendbier zu trinken und es auch zu genießen…

Beim oder über’s Essen reden.

Neulich war ich bei Freund J. zum Geburtstag (das ist der nunmehr 43-jährige Mann mei- ner lieben Freundin S.) und habe dort nicht nur eine behagende Erbsensuppe gegessen, sondern mich auch einem „gemischten Tütchen“ vergriffen, das da ein bisschen hilflos herumlag. Erwischt habe ich daraus ein merkwürdiges rundes, braunes Ding, von dem ich dachte, es schmecke vielleicht nach Cola-Kaubonbon mit Brausefüllung. Sollte es wohl eigentlich auch. In Wirklichkeit muss es aber eine Badeschaumtablette oder Schlimmeres gewesen sein… – Probieren die das in der Fabrik eigentlich selber nicht, bevor sie es an Kioske verkaufen? Ich dachte bisher, dafür gibt’s Fachpersonal! Soviel Bier kriegt man ja gar nicht runter, um diesen Geschmack wieder wegzuspülen…

Freundin S. fand dann aber, so ein schönes Colabad sei doch sicher gar nicht mal das Schlechteste. Es prickelt wahrscheinlich schön und man kann zwischendrin auch immer mal einen Schluck nehmen (wirkt belebend!). Auf meinen Einwand hin, man könne sich aber anschließend nicht einfach so ins Bettchen legen, weil: wenn man dann morgens aufstehen will und die ganze Bettwäsche klebt an einem fest, und man muss sie unter unangenehmen Klettverschlußgeräuschen erst mal kräftig abziehen, das versaue einem doch irgendwie gleich die Laune für den ganzen Tag, meinte sie nur fröhlich: „Wieso?!? Haste Ganzkörperepilation gleich mit dabei! Ist doch total praktisch!“

Ich wette, sie arbeitet schon fleißig an der Konkretisierung dieser Geschäftsidee.

Ein paar Tage später traf ich R. auf dem Weg zur Arbeit (seine Firma residiert nicht weit von meiner). Er kann sich unsichtbar machen, will mir den Trick aber ums Verrecken nicht verraten. Ich weiß nämlich, dass er immer um 8 Uhr anfängt, und wenn ich das auch mal tue, halte ich im Zug und beim Aussteigen nach ihm Ausschau. Immer erfolglos. Aber wenn ich den Bahnhof verlasse, höre ich doch wieder eine fröhliche Stimme hinter mir: „Morgen, Frau G.!“ (Langsam hege ich jetzt den Verdacht, er fährt schon um 7 Uhr los und lauert dann irgendwo hinter dem Fahrstuhlkabäuschen auf mich.) Wir gehen also zusam- men ins Gewerbegebiet und sehen dort ein Marktauto herumfahren, das die Firmenhöfe nacheinander ansteuert. Es handelt sich um eine für ihren Zustand und ihr geschätztes Alter erstaunlich mobile Brötchentheke.

R: “Kommt die eigentlich auch zu Euch, die Schnitzelfee?“

Ich: „Joh, aber ich bring’ meine Schnitzelbrote ja von zuhause mit.“

R: „Is’ besser so.“

Ich: „Wieso? Nicht gut bei denen?“

R: „Wohl ’ne Menge Haare drauf.“

Ich: „Wo? Aufer Schnitzelfee oder den Broten?“

R: „…“

Ja, wir haben eine Menge Spaß.

Spaß hatte ich auch am Donnerstag. Da hat mich Freundin T. von der Arbeit abgeholt und zum Portugiesen eingeladen. Freundin T. und ich haben uns nämlich ungefähr zwei lange Monate nicht gesehen, weil wir einfach so irre viel arbeiten mussten. In besonders stres- sigen Phasen schickten wir uns aber gegenseitig aufmunternde sms: „Schnurzelchen, halte aus! Ohren anlegen und im Tiefflug drunter durch!“ – „Hasenschnute, lass’ Dich nicht ärgern! Die sind alle doof und stinken! Du packst das!“

Und ich muss sagen: Frauensolidarität im Häkelspitzendeckchenton wirkt!

Als wir dann beim Portugiesen saßen und so herumhühnerten, fiel mir ein bestimmtes doofes Wortspiel nicht ein, das ein Handwerker am Telefon gemacht hatte. Irgendwas mit einer Stadt im Ruhrgebiet. Und ich murmelte immer: „…mit D…, Düsburch, Düsseldorf… – nee, waddema: Dortmund…?“

Freundin T.: „Bochum!“

Ich: „Mit D, manno! Mit D! Nicht B…“

Und T. mal wieder, ganz typisch: „Na wieso? Wenn man den Gürtel abmacht…!?“

Kein Zeit.

Als ich noch ein Teenager war (damals fand man diese Bezeichnung übrigens noch nicht „voll daneben“ oder „geht ja gar nicht!“, denn „Jugendlicher“ oder sogar „halbwüchsig“ woll- te man erst Recht nicht sein; – dafür hießen aber die Kinder immerhin noch „Kinder“ und nicht etwa „Kids“, da muss ich nämlich immer an kleine Rehe denken), – also, als ich noch ein Teenager war, hatte ich eines Sommers eine beste Freundin namens Susanne und wir waren zufällig auch noch mit zwei dick befreundeten Jungs verbandelt, so dass wir natürlich immer als Vierergruppe rumlümmelten. Und als wir mal gegen Abend bei Susan- ne im Garten lümmelten, kam ihr Vater zackigen Schritts von irgendwoher nach Hause und erwiderte unser artiges Grüßen mit einem knappen: „Kein’ Zeit, Sportschau!!!“ Daraufhin verschwand er fix im abgedunkelten Wohnzimmer.

Seither hieß er bei uns „KeinzeitSportschau!“ und ich hätte seinen richtigen Namen be- stimmt irgendwann vergessen, wenn der nicht auf dem Klingelschild gestanden hätte, das ich ja immer wieder vor Augen hatte, wenn ich Susanne abholen ging oder so.

Meine beliebteste Angstvorstellung ist zurzeit, dass mich bald mal Einer umtauft in „KeinzeitArbeit!“, weil ich Anfragen grundsätzlich mit dem Verweis auf meine neue Maloche abschmettere. Und wenn ich nicht arbeite, dann habe ich Hunger. Heißt, ich gehe auf die Schnelle einkaufen, brutzele mir was, oder esse. Wenn ich nicht schlafe. Alles andere kommt auf die Liste, sonst vergess’ ich das.

Die Liste sieht in etwa so aus:

– Kämmen.
– Auch mal aus dem Fenster gucken.
– Die ausnahmsweise nicht geklaute Zeitung überfliegen.
– Erst duschen, dann anziehen!
– Und Schuhe nicht vergessen!
– Bloggen.
– Aber worüber?
– Sprossen pflegen.
– Staub langmöglichst ignorieren.
– Das Weiße ist Zahnpasta, das Gelbe ist Mayo.
– Mal ne Freundin anrufen.
– Einfach mal sitzen.
– Draußen gucken, ob’s schon Frühling wird.
– Usw…

Frühling wird’s jedenfalls anscheinend noch nicht, es soll sogar noch mal richtig eklig werden, aber mit ein bisschen Glück könnten vielleicht nächsten Sonntag ein paar Kastanien…? – Na, warten wir’s ab.

Übrigens habe ich in meinem letzten Eintrag über’s Bahnfahren noch eine Kleinigkeit vergessen.

Zur Messezeit gibt’s hier in den Bahnhöfen immer die hübsche englische Durchsage: „Beware of Pickpockets!“ Das Wort Pickpockets finde ich ausgesprochen niedlich und es ist fast ein bisschen schade, dass davor nicht das ganze Jahr über gewarnt wird. Ich stel- le mir nämlich vor, dass so ein Taschendieb sich morgens einen langen Storchenschnabel umbindet, mit dem er dann den armen, naiven Messegästen die Geldbörsen aus den Ho- sentaschen pickt. Und auch die Franzosen scheinen das Wort zu mögen, oder aber es gibt kein eigenes Wort für Taschendieberei im Französischen. Denn die französische Version der Durchsage klingt tatsächlich so: „Attention á piquepockettes!“

 – Also, wenn das die Académie Francaise mitkriegt!

Bewegte Tätigkeiten.

Es heißt ja manchmal, die Leute würden ja gar nicht mehr lesen. Aber die, die sowas sagen, fahren nie Straßenbahn, glaube ich.

Das ist ja, als würde ich behaupten, Maschinenbauer würden grundsätzlich nicht rauchen. Ich kenne schließlich keinen einzigen, der das tut. Ich kenne allerdings auch keinen, der es nicht tut.

In der Straßenbahn und im Zug wird jedenfalls jede Menge gelesen. Es gibt tatsächlich sogar sowas wie zeitliche „Leseschichten“: nämlich Zeitungszeit (8:00 bis 9:00 Uhr) und Bücherzeit (ab 9:00). Das sind vermutlich hauptsächlich Berufstätige, die an ihre Fließ- bänder und in ihre Büros fahren. Davor gibt’s aber noch die MP3-Playerzeit (7:00 bis 8:00) der Schüler. Sicher sind auf den Playern massig Hörbücher drauf… Neulich stand z.B. Einer im Abteil, der hörte offenbar ein Technobuch, jedenfalls rummste es immerzu aus seinem Kopf und plöppte rhythmisch dazu. Dazwischen schrie eine weibliche Stimme immer wieder den Namen „Maaartin!“ oder so ähnlich.

Wieso auch nicht? Ich selbst kenne einen ausgesprochen netten Martin sogar persönlich, bin allerdings bisher nie auf die Idee verfallen, ihm mal ein zünftiges Geboller zu kompo- nieren. Pech. Jetzt ist mir jemand zuvor gekommen. Ich hoffe, der gute Martin ist mir jetzt nicht böse. Ehrlich gesagt glaub’ ich aber, der würde sich sowieso bedanken.

Zwischen den Lesenden sitzen übrigens manchmal Frauen, die sich schminken. Das finde ich irre! Die holen da wirklich Spiegel, Make-Up, Puder, Lidstrich, Rouge und Lippen- stift aus riesigen Kulturbeuteln (Entschuldigung: das heißt sicher Beautycase) und los geht die Fahrt. Zwischendrin werden widerspenstige Strähnen ins oder aus dem Gesicht gezupft. Ich kann gut verstehen, dass man die Zeit in der Bahn sinnvoll nutzen möchte, dann kann man schließlich 9 oder 13 Minuten länger im Bett liegen bleiben. (Es ist ja nur in den amerikanischen Filmen so, dass Frauen schon mit leichtem Tages-Make-Up auf- wachen.)

Ich mache es mir da einfacher und schminke mich einfach so gut wie gar nicht. Etwas Wimperntusche und ein bisschen Rouge. (Außer vorgestern, als das Fernsehen bei der Arbeit da war. Da habe ich sogar mal ein wenig „grundiert“, damit es nachher nicht heißt: „Und wer ist die Wasserleiche, die da hinten durchs Bild marodiert?“) Sowas dauert keine Minute, und deswegen mache ich das ungewöhnlicherweise in meinem eigenen Badezim- mer. Ebenso übrigens das Kämmen, Zähneputzen und noch ein paar andere Sachen.

Die Zeit in der Bahn zu nutzen, finde ich trotzdem irgendwie gut. Vielleicht nehme ich morgen einfach mal die Bügelwäsche mit.

Dingdingding!!! – Fuffzich Punkte und Freispiel!

Übrigens habe ich mir überlegt, Einträge, die mit meinem neuen Job zu tun haben, nur für Freunde sichtbar zu posten. Nicht, dass einer der Kollegen nachher noch mitliest, man weiß ja nicht.

Es ist übrigens wirklich sehr anstrengend, und das liegt nicht etwa daran, dass ich „das Arbeiten nicht mehr gewöhnt“ bin, oder sowas. Ich glaube, Flipperkugeln finden ihre Arbeit auch irgendwie anstrengend. Aber vielleicht gewöhnen sie sich auch mit der Zeit daran. Allerdings müssen die sich nicht auch noch merken, was sie noch alles machen müssen und wo sie eben noch mal gewesen sind und wieso, während schon wieder das Telefon klingelt und die Kollegin „mal eben“ was will.

Es macht aber auch oft Spaß und ich bekomme langsam auch mal ein Lob für meinen Einsatz. Zu Beginn hatte man sich damit zurückgehalten und mich eher abwartend be- äugt, weil meine Vorgängerin wohl so ziemlich das war, was man „unkonzentriert“ nennt. Sie war seit September die Nachfolgerin der Vorvorgängerin, und die soll auch nicht ge- rade das Rad erfunden… Naja.

Die vor mir jedenfalls hat die Probezeit nicht vollgekriegt und zum Dank hat sie uns (ich vermute aber, versehentlich) ein paar Schleich-U-Boote hinterlassen. Es tauchen im Ter- minkalender nämlich plötzlich Termine auf, die gar nicht gebucht sind. Und Buchungen, die nicht im Kalender stehen. Und deshalb haben wir überhaupt nur durch Zufall erfahren, dass bspw. am Dienstag eine Gruppe von 30 Senioren bei uns vor Tür stehen wird, wild entschlossen, eine informative und unterhaltsame Führung mit anschließender Käsever- kostung zu bekommen.

Dienstag ist übrigens der Tag, an dem auch sowieso ein ganztägiges Schulungsseminar bei uns abgehalten wird, ein superwichtiger Kunde kommt, abends eine Degustationsver- anstaltung läuft und das NDR-Fernsehen den ganzen Tag Aufnahmen für eine regionale Sendung machen wird (und vermutlich alles vollstellen mit Technik und sich selbst). Eins davon ist normalerweise schon ausreichend, weil man den Bürokram ja auch die ganze Zeit noch nebenbei mitlaufen hat.

Na, wir werden das schon wuppen. Gesetzt den Fall, dass sich nicht auch noch heraus- stellt, dass die Autobahn am Dienstag zufällig durch unsere Räume umgeleitet werden wird, weil da die Leitplanken mal wieder ordentlich nachgezogen werden müssen oder sowas.

Immerhin, ich habe das erste Mal Gehalt bekommen, und habe mir gestern im totalen Reformhaus-Kaufrausch eine neue Keimbox gekauft! Das ist so ein Glas mit Löcherdek- kel, in dem man gesunde Keimlinge selber ziehen kann, um sie sich aufs Brot oder den Salat zu fusseln.

Und Vitamine, die kann ich sicher ganz gut gebrauchen…