Es heißt ja manchmal, die Leute würden ja gar nicht mehr lesen. Aber die, die sowas sagen, fahren nie Straßenbahn, glaube ich.
Das ist ja, als würde ich behaupten, Maschinenbauer würden grundsätzlich nicht rauchen. Ich kenne schließlich keinen einzigen, der das tut. Ich kenne allerdings auch keinen, der es nicht tut.
In der Straßenbahn und im Zug wird jedenfalls jede Menge gelesen. Es gibt tatsächlich sogar sowas wie zeitliche „Leseschichten“: nämlich Zeitungszeit (8:00 bis 9:00 Uhr) und Bücherzeit (ab 9:00). Das sind vermutlich hauptsächlich Berufstätige, die an ihre Fließ- bänder und in ihre Büros fahren. Davor gibt’s aber noch die MP3-Playerzeit (7:00 bis 8:00) der Schüler. Sicher sind auf den Playern massig Hörbücher drauf… Neulich stand z.B. Einer im Abteil, der hörte offenbar ein Technobuch, jedenfalls rummste es immerzu aus seinem Kopf und plöppte rhythmisch dazu. Dazwischen schrie eine weibliche Stimme immer wieder den Namen „Maaartin!“ oder so ähnlich.
Wieso auch nicht? Ich selbst kenne einen ausgesprochen netten Martin sogar persönlich, bin allerdings bisher nie auf die Idee verfallen, ihm mal ein zünftiges Geboller zu kompo- nieren. Pech. Jetzt ist mir jemand zuvor gekommen. Ich hoffe, der gute Martin ist mir jetzt nicht böse. Ehrlich gesagt glaub’ ich aber, der würde sich sowieso bedanken.
Zwischen den Lesenden sitzen übrigens manchmal Frauen, die sich schminken. Das finde ich irre! Die holen da wirklich Spiegel, Make-Up, Puder, Lidstrich, Rouge und Lippen- stift aus riesigen Kulturbeuteln (Entschuldigung: das heißt sicher Beautycase) und los geht die Fahrt. Zwischendrin werden widerspenstige Strähnen ins oder aus dem Gesicht gezupft. Ich kann gut verstehen, dass man die Zeit in der Bahn sinnvoll nutzen möchte, dann kann man schließlich 9 oder 13 Minuten länger im Bett liegen bleiben. (Es ist ja nur in den amerikanischen Filmen so, dass Frauen schon mit leichtem Tages-Make-Up auf- wachen.)
Ich mache es mir da einfacher und schminke mich einfach so gut wie gar nicht. Etwas Wimperntusche und ein bisschen Rouge. (Außer vorgestern, als das Fernsehen bei der Arbeit da war. Da habe ich sogar mal ein wenig „grundiert“, damit es nachher nicht heißt: „Und wer ist die Wasserleiche, die da hinten durchs Bild marodiert?“) Sowas dauert keine Minute, und deswegen mache ich das ungewöhnlicherweise in meinem eigenen Badezim- mer. Ebenso übrigens das Kämmen, Zähneputzen und noch ein paar andere Sachen.
Die Zeit in der Bahn zu nutzen, finde ich trotzdem irgendwie gut. Vielleicht nehme ich morgen einfach mal die Bügelwäsche mit.