Also, wenn jemand auf tausend Arten bescheuert gucken kann, dann ja wohl ich.
Zur Erklärung: Ich brauch’ gerade ein aktuelles Bewerbungsfoto. Und weil ich sogar noch bescheuerter gucke, wenn jemand vor mir steht, mir eine Linse direkt ins Gesicht hält und dann sagt: „So, und jetzt ganz locker!“, bin ich auf die großartige Idee verfallen, die Bilder eben selbst zu schießen. Was soll ich auch -zig Euro dafür hinblättern, Fotos von mir zu bekommen, auf denen meine Gesichtskrämpfe zwar zugegebenermaßen anständig aus- geleuchtet werden, die ich aber anschließend sofort ganz unten in der Küchenschublade verschwinden lasse. Das kann ich schließlich auch billiger haben.
Also hab’ ich heute Morgen vor der einzigen Wand, die weder raufasertapeziert noch ge- fliest ist (also in der Küche), den Tisch weggeschoben, Zeitschriftenstapel verpflanzt, alle Lampen aufgestellt, die hier mobil sind und dazu mir gegenüber einen großen Spiegel aufgebaut, um meine Gesichtszüge schön im Gleis zu halten.
Dann ging’s los: Gerade hinsetzen, die Kamera am ausgestreckten Arm in der linken Hand, die Schultern trotzdem locker, ein freundliches, aber nicht zu freundliches Lächeln, – Knips! Zur Sicherheit gleich ein paar Mal hintereinander weg. Erst jetzt fällt mir auf, wie laut eigentlich die Gefrierbox ist, die mir Freund M. kürzlich freundlicherweise überlassen hat. Er hat sich nämlich einen neuen Kühlschrank mit allem Zipp und Zapp gekauft. Und ich sitze jetzt hier neben einem brummenden, vibrierenden Friermonster und versuche, geschäftsmäßig zu gucken.
Auf dem Display seh’ ich gleich: Das Licht ist fies, außerdem spiegelt sich’s in den „ent- spiegelten“ Brillengläsern. Also Umbau. Damit die Lampen so scheinen, wie ich sie haben will, muss ich die Stehlampe über’n Herd legen und mit dem Nudeltopf von gestern verkei- len. Dabei kriege ich direkt Hunger, überlege auch kurz, aber schließlich muss ich jetzt arbeiten! Wenn ich jetzt anfange zu essen, klecker’ ich mich garantiert mit der leckeren Tomatensauce voll. Die würde man bestimmt sogar auf der schwarzen Bluse sehen, und ich kann mir nicht vorstellen, dass so ein Personalpeter auf das Bild guckt und sagt: „Aha! Die Frau mag Tomatensauce, – wie sympathisch!“ Also weiter.
Ich probiere verschiedene Lichtkombinationen, bilde mir ein, ungünstige Schatten noch im Photoschopp retuschieren zu können und knipse, was das Zeug hält. Zwei Drittel der Bil- der lösche ich direkt vom Display weg, weil ich darauf entweder gucke wie ein verliebtes Dorfmäuschen oder eine schnippische Gräfin. Dazwischen schiele ich, hab’ die Augen ganz geschlossen oder mache ein Doppelkinn. Wenn das Gesicht halbwegs passt, dann schlagen Bluse oder Frisur Falten. Zur Auflockerung schneide ich immer wieder Grimas- sen, von denen ich aus Versehen auch noch einige mitfotografiere.
Doch als kaum zwei Stunden vergangen sind, verfüge ich, dass es jetzt genug sein muss. Ehrlich gesagt, habe ich einfach keine Lust mehr. Unfotogen zu sein ist ja nun nicht gerade ein beliebtes Hobby. Zumindest habe ich das nie unter dieser Rubrik angegeben gefunden.
Am Rechner lösche ich noch mal alle Bilder bis auf fünf Stück. Eines davon suche ich mir seufzend aus und retuschiere dran rum, bis ich mir immerhin sagen kann: „Besser als das Jetzige ist es allemal.“ Allerdings ist das keine große Kunst, denn das wurde wirklich zwi- schen Tür und Angel von einem Fotografen gemacht, der normalerweise Brillen verkauft. Und das Modell, das ich trug, hatte ich sichtbar woanders erstanden. Das sah man den Bildern dann auch an.
Ach so: Nein, ich werde das Bild hier nicht zeigen, ich will ja niemanden desillusionieren. Die einzige Chance, es in die Finger zu kriegen, ist, mir einen feinen Job dafür zu geben.