Ich geh‘ ganz gern auf Messen, solange ich da nicht arbeiten muss (wie früher). Beson-
ders gern gehe ich mit Freundin T., so ja auch gestern. Aber hübsch der Reihe nach:
Nachdem wir schon im Eingangsbereich erste Ellenbogenangriffe kiebiger Seniorinnen überstehen, betreten wir die erste Halle und genehmigen uns erstmal was zu trinken. Der Saft ist dermaßen gut gekühlt, dass ich befürchte: wenn ich das Fläschchen so austrinke, muss ich zusätzlich ein paar Cranberrytabletten einwerfen. Doch zum Glück entdecken wir gleich vor Ort heimelige Liegewiesen mit Kissenbergen drauf, auf denen wir unsere mitgebrachten Stullen auspacken und warten können, bis der Saft eine günstigere Trink-
temperatur erreicht hat. Schließlich haben T. und ich uns ja auch schon wieder drei Wochen nicht mehr gesehen und müssen uns erstmal wieder gegenseitig „auf Stand bringen“. Dann geht’s aber wirklich los!
Die erste Halle ist immer die Erlesene, da gibt’s „Wohnaccessoires“, die in ihrer Fülle auf der Messe meistens traumhaft aussehen, als Einzelteile zuhause allerdings oft enttäu-
schen, wenn sie erstmal mit Zeitschriftenstapeln, Ü-Eierfiguren und selbst bemalten Blumentöpfen gruppiert werden. Also schön zum Gucken, aber nix zum Kaufen.
In der zweiten Halle wird es schon deutlich nüchterner. Gleich als erstes treffen wir auf eine Art Umfrage, durchgeführt von irgend-
einer Glaubensvereinigung. Sie möchte von uns, dass wir rote Bällchen in Röhren wer-
fen, um anzugeben, wie wir denn unseren Vornamen finden. Auf den Röhren steht: „modern“, „passend“, „aussagekräftig“, „wunderschön“, „antiquiert“, „unpassend“, „peinlich“, „nichtssagend“.
„Klingt ein bisschen wie ein Halbfettbrot-
aufstrich“ ist nicht dabei, deswegen gibt’s von mir auch kein Bällchen. Die meisten Leute scheinen aber ihren Namen passend zu finden, was daran liegen kann, dass man sich natürlich an fast alles irgendwann gewöhnen kann.
Weiter geht’s. Ich gewinne wieder mal sehr deutlich den Eindruck, dass der Mensch wohl ganz gern massiert werden möchte. Das kann ich übrigens gut verstehen, denn eine schöne Massage ist ja nun wirklich was Feines. Vor Allem natürlich für den Massierten, der Massagegebende hat mitunter ordentlich zu tun.Vermutlich werden deswegen auch andauernd Geräte erfunden, die die wohltuende Berüh-
rung der menschlichen Hand mal lieber ersetzen sollen. An jeder Ecke brummt dieses hoffnungslose Unterfangen. Wir sehen, ohne uns groß umzugucken, Massagesessel (auf denen Freundin T. sich vor einiger Zeit mal fast einen Rückenbruch geholt hätte, wie sie mir plastisch schilderte), Magnetmassage (danach bleiben vermutlich dauernd Schrauben, Büroklammern und Fahrräder an einem kleben), und Massagedelfine (die kannte ich bis-
her allerdings irgendwie kleiner und aus anderen Anwendungsbereichen, wenn auch nicht aus persönlichen…). Wir verzichten also lieber und strolchen weiter.
Weil ich mir ja Handschuhe kaufen möch-
te, streben wir dem „Basar der Nationen“ zu, wo ich beim letzten Mal fündig gewor-
den war. Dort gibt es fast alles!
Kartoffellampen, deren Sinn sich mir wohl noch erschließen wird. Kräftig singende, brötchenschmierende Italiener. Und eine Frau, die sog. „Heilmäuschen“ herstellt, wobei es sich um mit Körnern und Kräutern gefüllte Schmusekissen handelt, die dann erwärmt, Schmerzen lindern sollen.
Die Heilmäuschenfrau hat sich zwei ganz tolle Gedichte dazu ausgedacht, die an der Rückwand ihres Messestandes festgepinnt sind. Als ich diese fotografiere, herrscht sie mich an, ich solle das gefälligst sein las-
sen. Ich versuche sie zu beruhigen, dass ich keinesfalls ihre Waren fotografiert hätte und biete freundlich an, das Foto dann eben wieder zu löschen. Sie ist aber gar nicht zu beruhigen und wird immer unwir-
scher, es handle sich um ihre kreative Arbeit und das fotografieren sei gefälligst verboten. Und an den anderen Ständen auch!!! Ich frage sie, ob sie mir das nicht im Ge-
sprächston vermitteln kann, statt mich so heftig anzufahren. Sie wirkt nämlich, als wolle sie mich gleich am Kragen packen und über ihre Kissenstapel zerren oder die Polizei rufen. Inzwischen hat sie sich auch alle ihre Kunden vergrault, die ihr wohl ihre Fürsorge für leibliches Wohlbefinden nicht mehr so ganz abkaufen. Ich bleibe erstaunlich ruhig und möchte ihr glatt eins ihrer Lavendelmäuschen empfehlen, so zur Beruhigung, unterlasse das aber lieber und lösche nebenbei das Foto. Leider lösche ich dabei ein anderes mit, das ich eigentlich behalten wollte.
Weiter geht’s also mit der Handschuhsuche, ich finde stattdessen jedoch eine hübsche kleine indische Baumwolltasche und einen afrikanischen Gürtel, der aber gar nicht afri-
kanisch aussieht. Beinahe hätte ich mir auch noch einen Verwandlungsschal gekauft, aber als er sich partout nicht in die gewünschten Handschuhe verwandelt, lasse ich ihn dort.Freundin T. hingegen verbringt einige Zeit damit, getrocknete Samen und Hülsen anzu-
schwärmen. Das scheint gerade so’n Trend zu sein, dem ich nicht ganz folgen kann.
Man legt sich das wohl zuhause irgendwo hin.Ich bin bloß die ganze Zeit froh, sowas nicht hinten im Hemd drin zu haben und dann viel-
leicht nicht dranzukommen. Vorsichtshalber mache ich ein Foto, vielleicht erschließt sich mir der Sinn ja noch. Der Standbetreiber steht beim Fotografieren übrigens neben mir und macht keinen Mucks. Offenbar hat er keine Sorge, dass ich irgendwelche dicken Bohnen oder Distelblüten plagiiere. Bis T. wieder ansprechbar ist, stelle ich mir vor, das ganze Gestrüpp mit einer schönen Tube Weltraumkleber zu einer Skulptur zu verbinden und der Heilmäusefrau überzustülpen. Leider ist weit und breit kein Weltraumkleberverkäufer zu sehen.
Als wir schon wieder Durst und Hunger krie-
gen, wechseln wir die FressMarkthalle, wo es kaum möglich ist, ein Getränk zu bekommen, das man auch mitnehmen kann. Das einzige, was man uns anbietet, sind gleich drei Liter-
pullen Wasser in einer Baumwolltasche. Wir lassen uns aber nicht verkohlen, denn jeder sieht, dass das gar keine richtigen Baum-
wollbeutel sind. – Die sind doch wohl deutlich aus Plastik!
Also kehren wir lieber in eine Art Seemannsklause ein und dort bittet mich T., ein Foto für sie zu machen von „diesen schrägen Brettern da“.Auf Nachfrage erklärt sie: „Ich hatte schon immer die Idee, so Bretter indirekt zu beleuch-
ten, aber ich wusste nie, wozu! Dabei kann ich die doch einfach an die Wand schrau-
ben!“ Dieser bestechen Logik will ich mich natürlich keinesfalls verschließen und mache das Foto, bevor wir weiterziehen.
Ums Eck schauen gar nicht mal wenige Leute zwei jungen Damen beim Abwasch zu. Wir überlegen kurz, es sind ja noch Plätze frei, doch solche nervenzerfetzende Action ist jetzt irgendwie nichts für uns.
Wir lassen uns lieber ein paar Meter weiter erklären, wie eine Lebendfalle für Marder funk-
tioniert. Freundin T. hatte schon Probleme mit solchen Tieren und ist interessiert. Der Erfinder zeigt uns das Gerät von vorne bis hinten, kennt sich mit Mardern offensichtlich prima aus und antwortet auf meine Frage, was ich mit so einem eingefangenen Marder denn dann anstellen soll, ich solle ihn ca. 12-15 km weit wegfahren und dort aussetzen. So ein Marder bliebe dann ganz bestimmt vor Ort, weil sein inneres GPS nur wenige Kilo-
meter Radius hätte.
Als ich bemerke, dass ich dann aber hoffe, da wohne nicht zufällig ein Nachbar in 12-15 km Entfernung, der mir zum Tausch dann seinen Marder vor die Tür setze, versichert er mir, dass das ganz bestimmt nicht passiert… Derart beruhigt verabschieden wir uns und machen uns auch allmählich auf den Nachhauseweg.
Als wir gerade aus der Halle wollen, sehe ich ihn aber doch noch, den Superklebermann!Ja, er ist sogar ein Sensationsklebermann! Ich bin so aufgeregt, dass mir das Foto leider etwas misslingt. Deswegen kann man blöderweise auch nicht erkennen, welche Sensa-
tionen dort gerade untrennbar zusammengefügt werden. Schade. Ich traue mich auch nicht, ihn anzusprechen. So ein Sensationsmann redet vielleicht nicht mit jedem, und ich möchte nicht aufdringlich erscheinen. Noch ein begehrlicher Blick aus gebührendem Ab-
stand, dann streben wir müde dem Ausgang zu.
Als wir auch die letzte Halle verlassen, stelle ich be-
sorgt fest, dass Freundin T. wohl ein bisschen was von ihrer Körpergröße eingebüsst haben muss. Ständig verliere ich sie aus dem Blick. Vermutlich ist der stetige Flüssigkeitsmangel Schuld. Wir hätten doch die Drei-
literkiste kaufen sollen! Erst, als sie zufällig unter einer Hockerlampe durchläuft, kann ich sie wieder für einen Moment mit bloßem Auge erkennen und sammle sie hurtig ein, damit sie mich wieder gemütlich nach Hause fährt…
Puh! – Ein Glück!
Es wäre zu schade gewesen, wenn dieser gelungene Ausflug noch in Kuddelmuddel geendet hätte.
Vielen Dank, liebeliebe T.,
für diesen schönen und lustigen Tag!