Sonne auf geschlossenen Augen – orange-rotes Leuchten.
Apfel- und Kastanienblüte. Finkenschlag. Ein Güterzug… Blesshuhn. Glocken. Geschäftige Jogger. Trillerpfeife (Rugbytraining). Ein Wolkenkaninchen in vollem Lauf. Krähen.
Alles ist da, die Luft ist voller Mauersegler. Und ich auch.
Den ganzen Vormittag über war ich natürlich vorfreudig…
Als ich gegen halb zwölf vor die Tür komme: feiner Sprühregen. Aber frische, milde Früh- lingsluft. So eine, wo man glatt meint, man atmet sich damit durch und durch sauber.
Ich brauch‘ keine Sonne. Mir reicht, dass es heute Frühling wird. Und da sind sie, die ersten Blättchen:
Und hier:
Und hier schießen sogar schon die Karotten! (Deswegen sicher auch das Absperrband. Reine Vorsicht.)
An „meiner“ Weide angekommen, stehe ich zwar zentimetertief im Matsch, aber damit habe ich gerechnet. Ich lehne mich einfach schön an und rufe: „Prost auf die 3! Und her mit dem Frühling!“
Dann schraube ich mir das Püllchen auf und gehe in aller Ruhe innerlich die Liste der Mitwerfer durch, wünsche jedem einzelnen Glück & viel Sonne und trinke ein erstmal Schlückchen darauf. Um mich herum tobt ein Konzert aus Meisengezeter, Amselempö- rung und Wildgansgetröte. Man streitet sich vermutlich um die angenehmste Nachbar- schaft, die besten Wohnungen und die tollste Möblierung derselben.
Kurz vor Zwölf hole ich endlich meine Kastanie aus der Tasche und bedanke mich artig für ihren Beistand in den letzten Monaten. Das hat sie gut gemacht.
Sie bekommt sogar noch ein Küsschen aufgedrückt, die Kirchenglocken beginnen, zum Mittag zu läuten, – und dann fliiiegt sie!
Ein bisschen ist das, wie wenn man sich als Kind so richtig schön langgesemmelt hat und dann kommen Mama, Papa oder Tante zum Pusten, zeigen irgendwohin und behaup- ten: „Guck! Da fliegt es!“ Und man guckt und strengt sich an, ob man vielleicht noch was erkennen kann und das Weh geht darüber einfach vergessen.
Und ich muss zugeben, mir rollt glatt ein Tränchen, weil ich so erleichtert bin. Und weil mir plötzlich dermaßen das Herz aufgeht, dass ich erstmal schnell noch einen Schluck nehmen muss… Nicht, dass ich plötzlich noch wildfremde Passanten umarme, wegen Frühling und so.
Da irgendwo liegt sie jetzt. Und es dauert gar nicht mehr lange, dann ist hier eine ganze Blumenwiese drumherum gewachsen…
– Und? Wie war’s bei Euch? (Ich glaub’s fast nicht: just kam hier tatsächlich ein dicker Sonnenstrahl vorbei!)
Ich habe eine Freundin. Ich weiß gar nicht, wie alt sie ist, aber ich geh‘ sie oft besuchen und habe hier auch schon manchmal von ihr erzählt. Als wir uns vor über 10 Jahren ken- nenlernten sah sie noch ungefähr so aus, eine stolze, alte Dame:
Ich ging zu ihr, wenn ich ein besonders schweres oder leichtes Herz hatte, oder einfach bloß mal so… Dann lehnte ich mich an sie oder kletterte vorsichtig auf ihren Rücken und blieb gern ein halbes Stündchen. Gelegentlich fragte ich sie sogar um Rat und glaubte, dass sie mir eine Antwort andeutete. Und vor zweieinhalb Jahren dachte ich auch mal, es bedeute etwas Bestimmtes, als ich sie von einem schweren Sommersturm niedergebro- chen fand. (Das obige Foto war nur Tage vorher entstanden, als wollte sie sich noch mal in ihrer ganzen Pracht zeigen.) Ich war erschüttert und wusste, es war auch irgendwie ein Zeichen für mich. Doch ich deutete es damals etwas anders, als ich es heute tue.
Vor ein paar Tagen nun war ich wieder bei ihr, denn mich beschäftigt etwas. Sie sieht, besonders jetzt im Winter, auf den ersten und auch zweiten Blick traurig aus:
Doch ich habe gesehen, dass sie trotz ihres mittendurch gespaltenen Stammes in jedem Frühjahr weiter austreibt und ihre Finger dem Licht und der Wärme entgegenstreckt, und so wird es auch in diesem Jahr sein…
Ich legte mich also neulich in ihre Umarmung und machte meinen Kopf ganz frei.
– Und da war es:
Es war da, seit Jahren. Aber gesehen habe ich sie jetzt erst, die 3. (Dreien müssen rot sein.)
Haltet mich ruhig für für eine Esoterik-Schwurbeline, aber die 3 tauchte schon in meiner Kindheit immer da auf, wo ich einen Tipp, eine Richtung oder etwas Magie & Mut brauch- te. Sie ist mir viel mehr als eine Lieblingszahl und ich könnte jetzt viel dazu erzählen. Von lustigen, unglaublichen und wunderbaren Begegnungen. Vielleicht ein andermal…
Kurz, bevor ich losging, hörte ich noch mal in aller Ruhe „Winter“ von Miss Amos, und tatsächlich strahlte die Sonne einmal ganz kurz mit voller Kraft durch’s Wohnzimmer- fenster! Doch kaum waren die letzten Töne verklungen, zog sich’s auch schon wieder zu. Sei’s drum, dachte ich und zog mich auch. – Nur eben an.
Rein in den Mantel, Regenschirm untergeklemmt und los! So richtig frühlingshaft sieht es da draußen ja nun ehrlich gesagt noch nicht aus, aber das wird hoffentlich noch. Zu wis- sen, dass auch Ihr Euch jetzt auf den Weg macht, machte das Grau natürlich irgendwie, naja, ungrauer.
Eigentlich wollte ich ja auf die alte Weide klettern und von dort aus meine beiden Kastanien werfen, aber als ich nach einer Viertelstunde bei ihr ankam, sah’s da so aus:
Der Versuch, doch vielleicht einen Weg zu ihr finden, endete in nassem Strumpfwerk und einer gesunden Schlammpackung für Billigturnschuhe, die wie teure aussehen sollen. Zum Glück hatte ich aber für’s obere Ende ein kleines Ablenkungsmanöver mitgebracht.
Ich beschloss also spontan, stattdessen von hier zu werfen… …und dann war’s auch schon kurz vor zwölf…
Vielen Dank, Ihr kleinen braunen Bollen für Eure stille Unterstützung in den letzten trüben Monaten! Ich wünsch‘ Euch einen guten Flug und eine weiche Landung. Weg jetzt mit dem Winter! – Und huuuuiii….
Da flogen sie, sagen wir mal: mittelweit. (Den Wurf selber habe ich nicht geknipst, dafür musste ich mich schließlich konzentrieren.) Es bleibt mir übrigens immer ein kleines wehmütiges Gefühl, wenn die Kastanien dann tatsächlich weg sind, aber das kenn‘ ich schon, es gehört wohl irgendwie dazu…
Also, das war’s nun mit dem Winter. Gefälligst. Der soll sich hier erstmal nicht mehr blicken lassen!
Das hab‘ ich denen da übrigens auch gesagt, als ich mit dem Sektglas in der Hand meine Runde fortsetzte und bei Ihnen durch Wohnzimmer stiefelte:
Heute habe ich was gemacht, was ich bestimmt schon ein halbes Jahr nicht mehr gemacht habe. Und ich weiß eigentlich gar nicht richtig, warum ich es so lange nicht mehr gemacht habe, denn als ich’s vorhin machte, merkte ich sofort, wie sehr es mir gefehlt hat.
Ich hab’ meine Runde gedreht.
Will sagen, ich habe einen Spaziergang gemacht. Und zwar genau so einen, wie ich ihn jahrelang gemacht habe, d.h. immer dieselbe Strecke, immer der gleiche Weg. Sicher gibt es Menschen, die die Vorstellung, immer dieselbe Route zu nehmen, fürchterlich langweilig finden. Doch für mich hat dieser Spaziergang etwas Rituelles, auch was Medi- tatives, Ordnendes.
Eine Gesundheitsfrau hat mir mal gesagt, ich sei wie ein Dampfkochtopf. Ich stünde im- merzu unter einem inneren Druck, sähe aber von außen ganz unauffällig aus. Damals hab’ ich mich glatt irgendwie ertappt gefühlt. Allerdings haben Dampfkochtöpfe zum Glück ein Ventil, damit einem die Pellkartoffeln nicht einfach so um die Ohren fliegen. Mein Ventil ist „meine Runde“. Die dauert ungefähr eine Stunde, und ich gehe immer ziemlich forsch los und werde dann langsam langsamer.
Der Weg ist, wie ja schon gesagt, immer derselbe, und macht für mich sowas wie die Mitte aus. Außen verändert sich die Landschaft mit den Jahreszeiten und dem Wetter, so dass ich nie zweimal dasselbe sehe. Innen sind meine Gedanken, die sich beim Gehen ordnen. Durch die Bewegung werden sie wie durchgesiebt; – alles, was kleiner und nicht so wichtig ist, fällt durch die Maschen; – oben liegen bleibt, was Betrachtung nötig hat.
Ich gehe zunächst ein bisschen an der Ihme entlang, dann komme ich irgend- wann unter einer Eisenbahnbrücke durch. An dieser Stelle denke ich jedes Mal an diese Szene aus „Cabaret“, in der Sally Bowles und der verklemmte Englischlehrer unter der Brücke stehen und auf den lauten Zug warten, damit sie mal so richtig losschreien können.
– Ich trau’ mich das nie.
Kurz danach gehe ich über eine kleine Holzbrücke, und dort kann ich nicht anders, es ist wie ein Reflex: ich schaue immer, ob ich im Bach darunter vielleicht doch mal das Euro- stück blinken sehe, das ich vor Jahren mal symbolhaft dort reingeschmissen habe, als ich von dem rechtmäßigen Besitzer dieses Geldstücks furchtbar enttäuscht und verletzt wor- den war. Dass es nun ein olles Eurostück war, ist vielleicht ein bisschen albern, aber ich hatte eben gerade nichts anderes von ihm zur Hand. Eigentlich hätte ich ihn damals in den Bach schmeißen und mir von dem Geld ein Eis kaufen sollen, aber man ist eben oft erst hinterher klüger.
Nach der Brücke ist es nicht mehr weit zu einer alten Weide, die ich gern besuche. Sie ist vor einem guten Jahr bei einem Sturm umgestürzt, lebt und grünt aber munter weiter, die zähe alte Dame. Ich bilde mir immer ein, sie kann hören, was in mir so saust und braust, und sagt mir dann: Jetzt beruhige Dich erstmal…
Heute wollte ich mich gern mal wieder ein bisschen an sie lehnen, mal fragen, wie’s so geht, die Sonne genießen und dem allgemeinen Vogelgepiepe in ihren Ästen zuhören, als plötzlich ein kniehoher, bis zum Hals nasser und schlammiger Hund auf mich zugestürzt kommt und in mir wohl seinen lang vermissten Spielkameraden wiederzuerkennen glaubt. Das mittelalte Herrchen in wurstigem Anorak steht schon etwas weiter weg und ruft halb- herzig nach ihm. Das Vieh springt sofort an mir hoch und kriegt sich vor Begeisterung gar nicht mehr ein. Zum Glück ist er ein durchaus freundlicher Hund, aber mir persönlich jetzt einfach zu ungestüm. Ich versuche es mit: „Aus! Ab zu Herrchen!!“ und „Pfui!“. Sinnlos. Herrchen pfeift derweil durch die Zähne, ruft wieder, rührt sich selbst aber keinen kleinen Zentimeter. Inzwischen hat mir der Hund meine frisch gewaschene Jeans und die Turn- schuhe ordentlich mit Pfotenabdrücken eingesaut.
Ich rufe dem Hundebesitzer zu, sein Hund höre ja wohl nicht besonders und er solle jetzt gefälligst mal selbst herkommen und mir das Tier vom Leib halten. Der Typ pfeift und ruft lahm ein bisschen weiter, obwohl der Nutzen inzwischen offensichtlich ist, und ist nach wie vor zu faul, sich auf uns zuzubewegen. Er müsste dafür schließlich gute hundert Me- ter seines Spazierganges zurückspulen und dann erneut laufen. Das ist natürlich schon irgendwie unzumutbar. Es dauert also noch eine ganze Weile, bis der Hund endlich von mir ablässt und seinem Herrn doch noch hinterherwetzt. Ich bin richtig sauer und meine Hose sieht aus, als wär ich damit auf ’nem Festival gewesen. Eine Entschuldigung be- komme ich natürlich auch nicht. Kurz überlege ich, ob ich den beiden hinterher soll, um mir den ignoranten Kerl mal aus der Nähe anzugucken, aber ich male mir meine Erfolgs- aussichten auf einen vernünftigen Wortwechsel als gering aus und lasse es eben sein.
Gerade bemüh‘ ich mich, den Vorfall innerlich ab- zuhaken und beobachte ein paar Rotkehlchen und Baumläufer beim Beerenpicken, da sehe ich einen anderen Mann mit Baseballkappe und Bril- le, der mit seinem Fahrrad am Bach entlangfährt, immer wieder anhält und dann am Ufer suchend herumspäht.
Und denke so bei mir: Hat der da vielleicht verbo- tenerweise irgendwelche Angelschnüre liegen? Schließlich ist das ein Naturschutzgebiet hier und da darf nicht jeder alles. Als ich mit ihm auf gleicher Höhe bin, wirkt er merkwürdig verlegen, nestelt sein Handy raus und ich muss mich gar nicht anstrengen, ihn sagen zu hören: „Ich bin’s! Ich bin an der Aue. Die Leichen…“ Der Rest geht in Bäumerauschen unter.
Mir wird ganz anders. Mein Gang wird hölzern. Welche Leichen denn, um Himmelswillen?!
Doch dann fällt zum Glück bald der Groschen. Er meint: „Die laichen…“. Es scheint hier um Fische oder Amphibien zu gehen, und der junge Mann ist vermutlich ein Umweltschützer oder sonstwie Naturbeobachter. Puh! Wie schnell das Karussell im Kopf doch lossausen kann!
Die nächste Viertelstunde gehe ich ruhig und in Gedanken. Aus Satzfetzen bilden sich Ketten, alles sucht sich seinen Platz. Ich lausche auf die Geräusche um mich herum: ei- ne empörte Ente, ein ferner Zug, das letzte Abschiedsrauschen der Blätter, bevor sie zu Boden fallen und stumm werden.
Als ich mit meiner Runde fast fertig bin, sich in mir manches sortiert hat, fällt mir auf, dass ich immer wieder versuche, mal andere Vögel zu entdecken als Meisen, Grünlinge, Krähen, Elstern und Amseln. Als wären die einen interessanter als die anderen. Dabei sieht man manche Arten eben bloß so oft, dass sie sowas wie „Inventarvögel“ werden. Die stehen wie selbstverständlich und zuverlässig in fast jeder Landschaft herum.
Während ich das so denke, fliegt eine Elster keckernd über mich weg. Sicher bin ich mir nicht, aber vielleicht hat sie ja gedacht: Noch so’n „Inventarmensch“. Ich möcht’ hier ei- gentlich auch mal wieder prächtigen ’nen Eskimo sehen…
Gestern war ich so’n bisschen blogfaul… Stattdessen bin ich endlich mal wieder spazieren gegangen! Mit’m Heuschnuppen geht’s jetzt nämlich wieder besser, und so hab’ ich mich mal wieder auf meine alte Spazierrunde getraut, um „meine“ olle Weide zu besuchen. – Und hab’ mich gleich geärgert, weil ich die Kamera nicht mitgenommen hatte. In meiner Quarantäne war mir nämlich tatsächlich ent- gangen, dass der Frühling inzwischen volle Pulle losgelegt hat! Es sind schon reichlich Insekten unterwegs, die Vögel schreien aus vollem Hals (man gut, dass der Mensch das allgemein als angenehm empfindet), überall wird geblüht wie Bolle und in der Weide war ein Nest mit frischen Halmen drin. Ich vermute aber, das da kein Rasen ausgebrütet werden soll, sondern vielleicht Meisen oder so.
Und am schönsten: Die Mauersegler sind auch wieder da. Die krakeelen zwar besonders laut, aber ihre Kamikazeflüge kann ich mir stundenlang begucken. Dass die nie landen! (Außer in der Brutzeit.) Ist doch irre, oder?
Ganz in der Nähe der Weide bildet ein Seitenarm eines Baches einen kleinen Tümpel. Dass da richtig Betrieb war, konnte ich von weitem schon hören. Anscheinend wurde dort diskutiert, wer die tollsten Schenkel hat und die knackigste Brauntönung. Als ich näher kam und mich vorsichtig dazu setzte, ging überall um mich herum erstmal ein großes Gehopse los, beruhigte sich dann aber bald wieder. Die meisten waren vor mir ins Wasser geflüchet… Ich glaube, dass das Erdkröten waren, aber ich konnte nicht so genau sehen, ob sie nun kupferfarbene Augen hatten oder nicht. Da guckte zwar immer eine aus dem Wasser zu mir rüber, aber jedes Mal, wenn ich zurückguckte, kniff sie schnell die Augen zu. So lange bis ein Typ im Jogginganzug sein Klapperfahrrad vorbeischob. Dass der den Anzug nicht zum Joggen hatte, sah man sofort. „Na, willze Frösche fang’?!?“ rief er mir zu, aber ich tat so, als wüsste ich gar nicht so richtig, was ich mit Fröschen soll.
Nachdem er wieder abgeschoben war, machte ich mich auch wieder auf dem Weg, an dem einen Ufer des Baches entlang. Dort kam mir ein Paar auf Fahrrädern entgegen und (keine Ahnung wieso) der Mann rief mir fröhlich zu: „Wennse ihr’n Mann suchen: Der geht da drüben!“ Da hab’ ich natürlich sofort geguckt wo denn, und sah auf der anderen Seite des Baches einen Typen mit modischer Glatze, Metal-Shirt und Schäferhund durch die Rabatten stapfen. Das konnte also schon aus mehreren Gründen gar nicht meiner sein. „Das is’ überhaupt nich’ meiner!“ rufe ich dem Radfahrer dann auch hinterher und überlege, ob ich noch „Netter Versuch! Aber völlig unnötig!“ hinterherschicken soll, aber da ist er schon zu weit weg. Stattdessen zucke ich mit den Schultern. Schließlich hat „meiner“ Haare und verweigert sowohl T-Shirts als auch Hunde. Und am kommenden Wochenende geht er sicherlich auch gern wieder mit mir spazieren.
Heute allerdings ist erstmal Freundinnenprogramm dran. Die liebe T. kommt heut’ Abend und schleppt ein halbes Picknick mit. Per e-mail hat sie mir mitgeteilt, sie bringe
„Polentastückchen Quark mit Schnittlauch Tomatenbutter Kräuterbutter Römersalat Wassermelone und Wurzelbrot (superlecker, zum Aufbacken)„
mit. Also bin ich los und habe noch Käse, Tomaten und Frikadellenzutaten besorgt, damit wir komplett sind. Außerdem ist da noch eine Flasche Cidre, die wir beim letzten Mal (vor gefühlten hundert Jahren) nicht geschafft haben. Und wenn ich dann nachher schon zum Anfang der Woche etwas beduselt bin, gebe ich einfach den Schweden die Schuld! Der Möbelelch hat mir nämlich vor einigen Tagen in seinem „Family“-Newsletter mitgeteilt: „Leichtes Schwanken hilft Körper und Geist beim Entspannen.“
Da ging es zwar eigentlich um Hängematten, aber ich will da jetzt nicht so kleinlich sein.
Wenn’s im Kopf saust und braust und alle Gedanken und Fragen gleichzeitig dran kommen wollen, gehe ich Spazieren. Der Rhythmus der Schritte bringt Ordnung ins Hirn und Ruhe in den Rest. Die Runde, die ich am liebsten gehe, führt mich an einer alten Weide vorbei. Ich meine, es wäre eine Knackweide.
Sie stand an einer großen Wiese, die von zwei Bächen umspült wird. Die alten Äste hingen tief und waren ideal, um darauf zu sitzen und über die Wiese zu schauen. Auf der Wiese kann man in der Dämmerung oft Kaninchen sehen und Graugänse, tagsüber sogar Falken, wenn man viel Glück hat.
Oft habe ich hier gesessen, wenn mich etwas sehr beschäftigte. Irgendwann mal entdeckte ich, dass jemand ein Herz in den Stamm geritzt hatte. Eins mit Initialen: D+K. Ich schwöre, dass ich das nicht war. Es haben ja noch andere Leute Vornamen, die so beginnen, aber merkwürdig fand ich es doch. So konnte ich ungefähr zwei Jahre beobachten, wie das Herz langsam nachdunkelte. Irgendwann war es nur noch für den zu sehen, der wusste, wo er gucken muss. Und Irgendwann guckte ich nicht mehr.
Vor ein paar Wochen habe ich hier noch mit V. auf der Wiese gepicknickt und der Weide ging es gut. Sie stand gebückt, wie alte Damen das manchmal eben tun. Und ausgerechnet heute, wo mir so viel durch den Kopf geht, finde ich sie so vor.
(Scheint das Jahr der fallenden Bäume zu sein. Das muss neulich passiert sein, als es gestürmt hat und ich so Sorge hatte um die Pappel vor meinem Fenster. Ihre „Schwester“ war ja von Kyrill umgeworfen worden. Nun also auch noch „meine“ Weide.)
Ich klettere vorsichtig auf ihren Stamm und nehme dort noch mal Platz. Ich werde aber gar nicht richtig traurig, weil mir plötzlich klar wird, dass hier das Zeichen ist, das ich heute brauchte. Dass die Weide ausgerechnet jetzt gefallen ist und ich sie heute so finde, hat zwar eigentlich niemand so geplant, aber symbolhaft finde ich es doch.
Die meisten schweren Dinge fallen oder vergehen irgendwann und machen Platz für Neues.
Eine Weile sitze ich noch da und werde immer zuversichtlicher, dann klettere ich langsam wieder herunter und springe das letzte Stück ins Gras. Dabei schürfe ich mir ein bisschen die Haut am Unterarm auf. Ist Recht, das wird mich in den kommenden Tagen erinnern.
Langsam gehe ich von der Wiese. Nur nichts überstürzen jetzt.
„Heinrich, der Wagen bricht.“
„Nein, Herr, der Wagen nicht,..“