Ich wollte ja mal erzählen, wie das nun war mit meinem Führerschein. Freundin T. hat sich das mal gewünscht, weil ich deswegen Ende des Jahres so rumgehühnert hatte. Und weil das ’ne lange Geschichte ist, kommt die ausnahmsweise in vier Teilen.
Vorgeschichte:
Im Sommer war ich beim Väterchen in Berlin zu Besuch für ein paar Tage. Zuerst liefs ganz gut, wir hockten in Biergärten und beim Inder, gingen ins Technische Museum, saßen abends schön vorm Fernseher und alles war nett. Mittenmal kommt er mir mit so’nem Umschlag an und meint: „Töchterchen! Pass uff. Ick habe mir jedacht, Du musst nu’ mal endlich den Führerschein machen, bevor Du zu alt wirst, wat Neuet zu lernen.“
Ich dachte, ich hab’ Ohrensausen!
Klar hatte ich mal gesagt, dass ich das Mistding irgendwann mal machen will, aber das war doch nur so in die Luft gesprochen gewesen. „Irgendwann“ ist für mich ein Zeitraum, der locker dreißig Jahre umfassen kann. Außerdem wollte ich den 1. selbst bezahlen, und 2. eigentlich erst machen, wenn ich mir mein Traumauto leisten kann: Eine alte Citroen DS. Die Göttin. Darum habe ich natürlich eh’ nie damit gerechnet, dass das noch was wird.
Also gab’s erst mal Diskussion, bis Väterchen fast eingeschnappt war, weil ich den Umschlag nicht wollte. „Du kannst Dir meinetwejen ooch 2.000 Kugeln Erdbeereis davon koofen. Det is’ mir ejal! Du nimmst det jetzt. Det is noch von deine Omi.“
Also gut. Wenn er mir mit der Omi kommt, werde ich weich. Und Erdbeereis mag ich auch überhaupt nicht.
Zurück in Hannover musste ich erstmal zum Augenarzt, wegen besonderer Umstände in meinem peripheren Guckbereich. Die Praxis liegt am Lindener Markt und als ich da rein kam, fielen mir gleich die überaus patzigen, billig aufgedonnerten Sprechstundenmädels auf. Es gab aber auch ein unauffälliges, liebes Aschenputtel, an die wandte ich mich dann. Die Praxis war total oll, die Einrichtung zusammengehauen aus allen Jahrzehnten. Ich wurde zum Sehtest gerufen. Das Behandlungszimmer fiel fast auseinander, der Armstuhl, auf dem ich Platz nehmen sollte, zeigte schamlos seine Polsterfüllung herum. Ich fand das alles immer lustiger und war gespannt auf mehr. Die Buchstaben erkannte ich, die sind ja zum Glück zeitlos (Helvetica?). Dann kam der Farbtest. Das Büchlein mit den Tafeln fiel ebenfalls fast auseinander, der Leineneinband war mit Tesafilm dick überzogen. Ich bestand den Test mit Bravour, obwohl ich meine, die Farben wären schon etwas verblasst gewesen…
Dann kam dieser Gesichtsfeld-Test, wo man ein Summerchen drückt, sobald der helle Punkt ins Blickfeld kommt. Das Gerät war selbstverständlich ebenfalls uralt und musste per Hand bedient werden. Die Sprechstundenmaus hantierte herum und ich konnte natürlich genau vorher sagen, von wo das Pünktchen kommen würde, weil ich ja mitkriegte, wie sie da werkelte. Also summerte ich, bis ihr die Puste ausging.
Dann bekam ich die berühmten Tropfen ins Auge und musste warten. Ich weiß, dass das alle immer sagen, aber das Gefühl ist wirklich komisch. Wenn ich mir vorstelle, dass die Herrschaften des Barock sich Belladonna nicht zu knapp in die Augen geträufelt haben, damit die Blicke verführerischer wirkten, muss ich feststellen, dass die wohl nicht mehr alle an der Kappe hatten.
Nach einer halben Stunde kam ich zum Doc rein. Und Doc war der Knaller!
Ein altes, rundliches Männlein mit weißen Babylöckchen, das vor sich murmelnd in Puschen durch sein vollgerümpeltes Behandlungszimmer eierte. Er wies mich an, Platz zu nehmen und mein Kinn auf einer Art Rahmenkonstruktion aufzustützen.
„Keine Angst.“, versuchte er mich zu beruhigen.
„Ich hab’ gar keine Angst.“, antwortete ich munter und guckte ihn verschmitzt an. Der Typ ist ein Kobold, dachte ich, der tut nur so kauzig. Gefällt mir.
„Doch!“, sagte er, „sie haben Angst. Alle haben Angst! Aber ich mache das schon seit über 35 Jahren, überall auf der Welt mache ich das. Sogar in China! Auf der ganzen Welt mache ich das!. Nur in Russland nicht.“
„O.K., jetzt habe ich Angst!“, grinste ich. Er nickte.
Ich bekam einen Glaskegel direkt auf den Augapfel gesetzt und er schaute sich meinen Augenhintergrund an. Durch die Linsenbrechung konnte ich sogar irgendwie mitgucken und sah ein schönes Muster aus Äderchen. Irre, sich ins eigene Auge gucken zu können. Nebenbei wurde geplaudert.
„Und? Kann ich den Führerschein denn machen, Herr Dokter? Krieg’ ich ihre Freigabe?“
„Das können sie. Aber mit dem Pilotenschein wird’s leider nichts.“
„Och. Schade.“
„Und Rettungswagen fahren wird auch nichts.“
„Und Feuerwehrautos?“
„Tut mir leid. Gar keine professionelle Personenbeförderung. Privat können sie aber machen, was sie wollen!“
„Prima. Dann muss ich den Löschzug donnich abbestellen. Fein, der ist nämlich schon angezahlt.“
Inzwischen guckte er schon mit dem Kegeldings in das andere Auge.
„Wenn sie den Führerschein dann haben und so ein Jahr Praxis, dann leihen sie sich mal einen Porsche aus! Das ist ein Auto!“
„Ich komm’ dann, und leih’ mir ihren…“
Er lächelte mild, wir waren auf einer Ebene.
Nun versuchte er, das Glasding von meinem Auge zu nehmen, aber das hatte sich fest angeschmiegt bzw. fest gesaugt. Er musste etwas nachhelfen, dann war das Ding raus. Zum Glück, sonst hätte ich wie der Terminator nach Hause gemusst, bis das Ding von alleine abfällt. Und das mir! Ich habe so empfindliche Augen, dass ich leider keine Linsen tragen kann, weil ich’s nicht fertig bringe, mir was ins Auge zu pitschen. Auf dem Weg nach Hause schien die allerschönste Septembersonne. Ich drückte mich an den Wänden entlang, weil das Licht mir direkt ins Hirn wollte. Eigentlich eine ganz schöne Vorstellung, aber erst hinterher.
(2. Teil dann morgen…)