Heute also wieder Arbeit. Nützt ja nix. Muss ja. Und sonst so.
Als ich ankomme, guckt mich die doofe Kollegin mit großen Plüschiaugen an und meint, ich solle gegen zehn mal zum Chef reinschauen. „Zum Alten?“, frage ich. – „Mhm.“, mehr kriegt sie nicht raus. – „Och, ich weiß schon, was der will… Dann geh‘ ich mal gleich, nech?“, sage ich, und denke aber: …bevor ich mir dieses Leidensbild hier noch länger angucken muss.
Ist doch wahr.
Drüben bietet man mir Tee an, aber ich verzichte wegen Magenmalesche und gucke mög- lichst aufgeweckt, aber nicht, zu.
Erstmal höfliches Geplauder: „Wieder gesund?“ – „Fast. Arbeitsfähig.“
Der Alte legt los: Jaaaa, man hätte sich ja schon vor einer Weile beraten, wie es denn mit unserer Abteilung… …Krise… …jetzt mal ehrlich… …Sparenmüssen… …brummbrumm… …etwas verkalkuliert… …schließlich sei es ja kein Gastrokonzept… …herumherum… …schrummschrumm… …er als Arbeitgeber… …nicht persönlich nehmen… …vom Wirt- schaftlichen her gesehen… …früher… …leiderleider…- kein neuer Vertrag im Februar.
Da werde ich wieder wach und versichere, dass ich, da ich ja pfiffig sei, mir das alles auch schon zusammengereimt hätte, es vom Kaufmännischen her sogar verstehen kön- ne, es selbstverständlich nicht persönlich nähme, da ich wüsste, dass man mit mir vollauf zufrieden sei. Und ich würd‘ schon was finden, weil ich ja schließlich ’ne patente Person sei.
Der Alte unübersehbar überrascht, aber angetan. Ich sei ihm durchaus auch als pfiffig aufgefallen, sogar eigentlich zu pfiffig für diese Position. (Abwinken meinerseits: „Hat mich aber nicht weiter gestört.“) Er sei mit mir, im Gegensatz zu meinen Vorgängerinnen, wirklich sehr zufrieden, da gäb’s kein Vertun. (Einwurf meinerseits: „Dann freu‘ ich mich schon auf ein schönes Arbeitszeugnis!“) Dann noch’n büschen Geplänkel, wirklich sehr schade, aber so sei es nun mal, da kann man nichts… er führe solche Gespräche übri- gens höchst ungern, denn man wisse ja nie, ob das Gegenüber nicht plötzlich weinend rauslaufe und so. Ich: „Och, ich bin ja froh, dass das nu‘ alles raus ist, sonst hätte ich hier bald mal angefragt. Ich hab‘ lieber, wenn man offen sagt, was Ambach ist und die Leber rausrückt“ (oder so ähnlich).
Also tatsächlich Erleichterung und irgendwie Augenhöhe auf beiden Seiten des Tisches und dann noch viel Glück und, na, zwei Monate sind’s ja noch und dennwollwamalwieder.
Ich gut gelaunt wieder rüber in „unser“ Gebäude. Und der Kollegin Augen…, man glaubt’s beinahe nicht, sind fast noch plüschiger geworden. (Kann man denn Belladonnatropfen noch immer frei in Apotheken kriegen?)
Ich sollte nun also mal kräftig was vorleiden, wollte aber nicht, weil tatsächlich eher gute Laune. Angeblich wisse sie die ganze Sache auch erst seit Montag. (Klar, deswegen soll ich ihr seit zwei Wochen schon dauernd zeigen, wie sie mit dem Computer auch mal allein klar kommt. Dafür hat sie sich im letzten Dreivierteljahr ansonsten ungefähr 3’n’halb Minuten lang interessiert.) Ewig lang nervt sie mich, sie werde mich sooo vermissen! („Mhm.“) Was sie denn alleine dann hier…! („Mhm.“) Es sei doch so eine irre gute Zeit gewesen! („Mhm.“) Es täte ihr so wahnsinnig leid! („Jup.“)
Nach zwei Stunden hatte ich es endlich geschafft, sie auf’s Wetter und auf eine Fernseh- sendung mit Ina Müller umzuschwenken. (Die ich allerdings gar nicht gesehen habe. Aber sie schon. Also, die Kollegin. Frau Müller sicher später auch noch mal.) Das war aber fast ebenso unangenehm wie das Kündigungsgeschwafel, weil die Kollegin eine mittelbe- rühmte Sängerin, die wohl da mit aufgetreten ist, fortwährend als „Yvonne Knatterfeld“ titulierte und sowas kann ich nicht leiden, wenn jemand über 10 ist. Zum Glück klingelte auch noch ab und zu das Telefon.
Später, als die Kollegin schon weg war, kam dann auch noch mal der jüngere Chef rüber, um noch mal nach mir zu sehen. Das fand ich sehr nett, muss ich sagen. Für einen Chef kann ich ihn nämlich gut leiden, weil man mit ihm ganz burschikos reden kann, ohne dass er sich herabgesetzt fühlt. Außerdem hatte ich schon im Sommer mitgekriegt, dass er mich offenbar auch schätzt.
Er war jedenfalls genauso überrascht, dass ich alles so mit Fassung trage. Die Frage, was ich denn sonst machen soll, beantwortete er bloß mit „Naja!“ Und dann erklärte er mir auch noch mal den ganzen Sums von weiter oben, dass er mit mir total zufrieden sei, er hätte auch überlegt, ob man mich nicht woanders und so… Und ich bekäme aber ein tolles Zeugnis! Ich war schon knapp davor, ihn zu trösten, konnte mich aber gerade noch zusammennehmen.
Am schönsten war aber, als er sagte, man sähe im Übrigen in der Geschäftsleitung sehr genau, dass die Kollegin ohne mich sicher ordentlich ins Eiern kommen wird. Computer- mäßig wisse sie ja recht wenig Bescheid, und vom Organisatorischen her ahne man auch reichlich, was ich da in letzter Zeit alles aufgefangen hätte. Er habe lange auch überlegt, ob man mich in eine andere Abteilung (ich pass‘ aber in keine andere Abteilung), oder aber mich lieber behalten und sie… „Gott bewahre!“, rufe ich schnell, „Das hatte ich ja nun schon länger mal gesagt, dass ich das gar nicht so gerne hätte.“ (Deren beknackten Job möchte ich nämlich nicht geschenkt und wenn sie mir bündelweise Euroscheine hin- terher werfen!) Aber falls mal was Passenderes frei würde, könnten sie mich gern anrufen. Er: „Das sowieso!“
Jedenfalls, auch dieses Gespräch endete mit Erleichterung darüber, dass nun alles offen gesagt und keiner sauer ist und man übereinkommt, die letzten zwei Monate noch wie gehabt und anständig rumzukriegen.
Und ich glaube fast, beide Chefs haben hinterher heimlich gedacht: Die Frau G., die hat so Körperteile, die man bei Damen normalerweise eher nicht findet.