In einem seiner Bücher („Guten Tach. Auf Wiedersehn“) hat Helge Schneider mal eine kleine Szene beschrieben, in der er während eines Auftritts quasi in Zeitlupe ziemlich lustig zu Boden geht. Ich weiß eigentlich gar nicht, wie ich da jetzt drauf komme, eigentlich wollte ich nur mal eben erzählen, wie bei mir dieses Jahr die Vorweihnachtszeit so läuft. Gestern z.B. wollte ich bloß ein bisschen Weihnachtspost erledigen. Schon die Voraussetzungen waren aber irgendwie ungünstig: Mich drückte die Zeit. Seit einigen Jahren schicke ich spätestens eine Woche vor Weihnachten ein paar Päckchen mit kleinen „Ich denk‘ an Dich“s an ein paar Leute, die fern von mir sind, sich aber nicht so anfühlen. Mein Väterchen bekommt eins, ein paar liebe Blogfreunde bekommen eins und die zauberhafte Freundin T. sollte diesmal ebenfalls was kriegen, denn durch meinen Umzug sehen wir uns leider nur noch sehr selten. Freundlichweise bekomme auch ich zu Weihnachten immer wieder sehr liebe Post und weiß daher, wie herzerwärmend das ist.
Eine Hauptzutat meiner Päckchen ist immer ein bisschen selbstgemachtes Genasche: Gebackenes, Marmeladiges und/oder Schokoliertes. Normalerweise kriege ich es auch in der ersten Dezemberhälfte hin, dass sich nach 2-3 mal Backen und Werkeln die Blechdosen allmählich füllen mit Kipferln, Zitronen-Marzipan-Plätzchen, Mandelbergen, „Karierten“ Keksen, Pralinchen, oder Toffees. Mir macht das ja auch total Spaß, aber es braucht eben Zeit. Und die hatte ich in diesem Jahr nicht. Im Job ist seit drei Wochen Land unter, weil die halbe Belegschaft krank ist und die andere Hälfte sich als Notbesetzung so durchschnorchelt. Ratet mal kurz, zu welcher Hälfte ich gehöre… Aber nicht schummeln! Der Liebste ist ebenfalls gerade mächtig ausgelastet mit bockiger Technik, überbordendem Auftragsaufkommen und sonstigen Katastophen. Abends schleppen wir uns also mal mehr, mal weniger gemeinsam vom Esstisch zur Couch zum Bett zur Arbeit. Da müssen wir durch. Das heißt aber u.a.: Für die Freunde des Hauses gibt’s in diesem Jahr leider keine selbstgestaltete Weihnachtskarte von uns! (Dabei hatten wir sogar ein-zwei ganz gute Ideen, die nun eben bis zur nächsten Gelegenheit warten müssen.) Ham’wa nich‘ geschafft… Wir sind betrübt, aber gefasst. – Nächstes Jahr wieder!
Doch wenigstens die Päckchen müssen sein!
Also habe ich Freitag extra etwas früher Schluss gemacht, bin in die Stadt gejagt, Kleinigkeiten und noch ein paar Zutaten besorgen, und habe dann bei der Post einen Schlag bekommen, als ich die Warteschlange sah: Also, wenn man bis auf die Straße und fast bis gegenüber ins Café Dobbelstein steht, nur um ein paar mittelkleine Packsets zu bezahlen, dann ist das vielleicht ganz toll, weil man sich gleich noch ein leckeres Stück Torte dazubestellen kann, aber ich hatte es ja eilig. „Bestimmt haste zuhause noch ausreichend Kartonage, das wird schon.“, dachte ich und drehte bei. Leider dachte ich nicht daran, dass ich diesmal ja gar auch keine Weihnachtskarten hatte (s.o.). Das sollte mir erst später wieder einfallen… Zuhause angekommen, suchte ich erstmal geeignete Kartons zusammen. Dass ich den jeweiligen Inhalt erstmal dafür im Arbeitszimmer ausleeren musste, machte ja nix. Wozu hat so ein Zimmer schließlich blickdichte Türen? Bald darauf glühte jedenfalls in der Küche der Backofen, rösteten obendrüber Mandelblättchen und schmolz Schokolade… -Wusstet Ihr übrigens, dass Hagelzucker auf dem Boden fast genauso schön knirscht wie verharschter Schnee, wenn man so drüber läuft? Also, falls jemand größere Mengen Puderzucker braucht…
Am späten Abend hatte ich dann ein bisschen was gebacken, eingewickelt, vertütet, foliert, erst in Grüppchen auf dem Teppich ausgebreitet und danach in den teilweise etwas übergroßen Kartons arrangiert, mithilfe von reichlich Füllpapier. Von der Anmutung wirkte das irgendwie ungewollt sparsamer als sonst, aber der Gedanke zählt. (Das Wohnzimmer sah vielleicht aus! Passte aber sehr gut zur Küche. Durchgängige Gestaltung.) Tja, aber jetzt kam: Und wo schreibe ich nun die Weihnachtsgrüße rein? Äh. Hmpf. Uff.
Ach, erstmal schlafen…
Gestern morgen stand ich schon wieder gegen halb sieben vorm Schreibtisch. Ich wollte so kleine Weihnachtsbriefe am Rechner gestalten und schreiben. Die Idee! Schnell ausgedruckt und fertig! (Man ahnt schon: Von wegen. Aus meiner Zeit in der Grafik weiß ich nämlich noch: Schnell-mal-eben-Ausdrucken dauert mindestens zwei Stunden!) Und was was soll ich sagen? Ich hatte rasch ein schönes Motiv für einen Brief, schrieb den ersten für meinen Vater (was dann ein bisschen dauerte, weil der Arme schon wieder länger nichts von mir gehört hat), wollte ihn drucken, und…
>ping!<
Der Drucker legt sich hin und will nicht mehr. Er kann mittenmal nur noch Photoschwarz, die anderen vier Patronen sind mal eben Milch holen. Meine Nerven liegen blank. Schwarz-weiße Weihnachtsbriefe aus dem Drucker erfüllen gleich mal alle Qualitätskriterien nicht! Es ist schon acht Uhr durch, ich bin ungeduscht, habe noch mindestens drei Briefe zu schreiben, um zehn machen die Postschalter auf, und ich will nicht die sein, die weit weg davon vorm Kuchentresen stehen muss! Da sind doch noch diese Auffülldinger und Spritzen… Wo hab‘ ich die hin…? Ach, da… – Keine halbe Stunde später bin ich von oben bis unten mit schwarzer Tinte vollgesaut, fluche wie ein Buntspecht, bebe vor Wut und ziehe meterweise Küchenkrepp hinter mir her. Die Tischplatte und alles, was darauf ist, verschwindet fast unter Sprenkeln. – Wenn mich heute jemand fragt sollte, ob ich Punkte sammel‘, raste ich aber aus! Ich beiße in meinen Unteram, um nicht einfach loszubrüllen, denn ich wohne hier erst sieben Wochen, und was sollen schließlich die Nachbarn denken, wen sie sich da ins Haus geholt haben? (Immerhin habe ich selbst auf einem „ruhigen Haus“ als Grundbedingung bestanden.) Statt jetzt den Drucker und alles Umstehende aus dem Fenster zu werfen, versuche ich, ruhig zu bleiben und die aufgefüllten Patronen wieder einzusetzen. Drucktest. Drucktest. Langsam wird auch das Papier knapp. Der Drucker druckt jetzt immerhin nicht mehr schwarz. Er druckt gar nichts mehr. Die 14. Intensivreinigung aktiviert irgendwann cyan und gelb, aber das reicht mir nicht. Ich bin ein verwöhntes Biest und möchte anständige Weihnachtsgrüße oder gar keine! Es ist kurz vor zehn. Eine Entscheidung muss her. Mit letzter Kraft und kilometerweise Klebeband versiegele ich die Päckchen, schreibe zitternd darauf „Weihnachtskarte kommt separat!“, packe sie in große Tragetaschen und rufe meinen Mann an. Eigentlich wollten wir uns gleich entspannt in der Stadt treffen, jetzt muss er mich erstmal beruhigen und trösten, ich fühle mich nahezu reif für die Station. Wir beschließen, dass ich jetzt erstmal heiß duschen gehe, dann später beim Losgehen eine Nachricht schicke, und er mir bei der Post beisteht. Wir treffen uns dort. Nicht, dass ich noch aus Versehen zur Axtmörderin werde.
Die Dusche funktioniert immerhin, doch die Tintenflecken wollen nicht ganz abgehen. Wenigstens hat das Gesicht nix abgekriegt. Echt Glück im Unglück, haha. Ich ziehe mich an, ignoriere das Chaos um mich herum, packe mein Zeug und marschiere zur Post. Und die Post ist voll. Sehr voll. Vor mir in der Schlange ein junger Mann in Lederblouson und Jogginghose, dazwischen jede Menge bloßer, haariger unterer Rücken. Ich konzentriere mich auf seine Schultern. Hinter mir ein älterer Herr, der erstaunlich viele Knietschgeräusche aus seinem Kaugummi rauszuholen versteht. Ich schaff‘ das. Mein Mann kommt gleich. Ich schaff‘ das. Mein Mann kommt gleich. Die Schalterjungs sind zu Plauereien aufgelegt. Meine Taschen schiebe ich mit dem Fuß zentimeterweise voran. Schon 20 Minuten. Der Blouson vor mir ist dran und beugt sich zutraulich über den Tresen. Gleich werde ich erblinden. Auch schon egal. Ich schaff‘ das. Mein Mann… Der Kaugummimann wird immer nervöser, schiebt sich näher an mich, neben mein Ohr. Ich möchte jetzt gern eine Ohnmacht vortäuschen.
– Ach, bin ich dran? Der Schaltermann fragt, ob der Inhalt meiner Päckchenlawine denn wertvoll sei. Grimmig antworte ich: „Sie können nicht ermessen, wie!“ – „Dann behalte ich die lieber gleich hier, höhö!“ Er zwinkert mich voll, donnert gut gelaunt alle möglichen Sticker drauf, nimmt mir eine Menge Geld ab und schenkt mir dafür einen schäbigen Zettel. Das wars.
Plötzlich bin ich frei.
Als ich mit halb zugekniffenen Augen wieder an die süße, frische Luft trete, kommt da gerade mein besorgt blickender Mann angelaufen.
Wir gehen frühstücken. Im Dobbelstein.
Und später auch noch Weihnachtskarten kaufen. Die kommen separat.