Führerschein (Teil 3)

In der Theorie ging alles seinen Gang. Ich ließ mich vom Alleinunterhalter zubrausen mit Geschichten von „neulich“, ertrug seinen Schlachtruf: „Leuteeee! Wir sinn’ hier nich’ aufem Ponyhof!!!“, und lernte zuhause fleißig nach dem Buch und kreuzte in den Bögen herum. Bei H. immerhin lernte ich auch im Unterricht was, den wir irgendwann fast nur noch zu zweit bestritten.

Die Fahrstunden machten mich nach wie vor nervös. Ich mochte die Geschwindigkeit nicht und H. trat immer mal aufs Gas, damit ich nicht mitten auf der Straße das Parken anfing. Irgendwann fuhren wir mal wieder zurück zur Fahrschule, als ich laut feststellte, dass mir das aber grade schneller vorkäme als 20 kmh.
H. guckte mich nur an, als hätte ich sie nicht mehr. Ich hatte nämlich ausnahmsweise(!) auf den Drehzahlmesser geguckt, auf dem Tacho standen 55! Leider habe ich das dann Freundin T. erzählt, die mich seitdem damit aufzieht. Naja, würde ich aber andersrum auch machen…

T. bastelte mir liebevoll einen schönen Adventskalender, in dem dann so lustige Sachen waren wie Fotos von Tacho und Drehzahlmesser (zum Auswendiglernen), ein „Navigationssystem“ (ein Kinderkompass), Schokoladenautos und ein umgestaltetes P*x*-Büchlein mit dem Titel „D**** lernt Autofahren“.

Überhaupt wurde ich ja nun von allen Seiten gefragt, wie es „denn so läuft“. Ich war mit mir überaus unzufrieden und fürchtete, die ganze Sache nicht hin zu kriegen. Alle taten das als Koketterie ab und zogen mich auf, – war aber keine. Ich hatte wirklich oft richtig Muffe vor der Fahrstunde, machte mich ganz verrückt deswegen und wäre so doch gern mit Spaß dabei gewesen. Immer wieder machte ich doofe Fehler, weil ich mich nur schlecht gleichzeitig auf meine Füße, die Lenkung, das restliche Brimborium, Fahrlehrer H., und auch noch auf den Verkehr um mich herum konzentrieren konnte.
Das berühmte Abwürgen des Motors kam gar nicht oft vor, allerdings erschloss sich mir nicht so recht die ganze Kuppelei, und H. versuchte es auch gar nicht richtig mit Erklärungen, sondern meinte nur, ich solle es einfach so machen, wie er’s mir sagt.

Darüber gab’s dann oft Streit und wir wurden auch richtig laut, denn H. war ein mittelschwerer Choleriker. Naja, und ich nervös, halt. Meistens rief er: „Warum? Wa-rum! Warum machst du das nicht so, wie ich dir das sage!“ „Weiß ICH doch nicht! Was haste denn gesagt? Ich muss fahren hier! Scheiße, jetzt hab’ ich wieder das Blinken vergessen!“

Beide kniffen wir dann die Lippen zusammen und versuchten, uns zu beruhigen.

Irgendwann hatte ich dann die Idee, nach dem Belohnungssystem vorzugehen. Ich kaufte eine Schachtel mit besonders guten Schokoladen-Talern. Die kam ins Auto, und die Abmachung war: Wenn ich was besonders gut mache, krieg’ ich einen. Wenn H. sich sehr ärgern muss, bekommt er einen. Das funktionierte ganz gut, aber Nervosität fuhr trotzdem immer mit. H. brachte sogar mal eine gute Jazz-CD mit, um mich ruhiger zu machen, es half aber nur wenig. Schön waren allerdings manchmal unsere Unterhaltungen, denn wir sprachen viel über Kunst und Musik und so. Ich mochte ihn und offensichtlich genoss er es, mal eine Schülerin zu haben, die wenigstens ungefähr in seinem Alter war. Auch wenn sie ihm viel zu langsam fuhr.

In der achten Fahrstunde brauste ich aber tatsächlich zum ersten Mal auf die Autobahn und fand das wirklich gar nicht so schlimm. Heute schüttelt’s mich schon wieder bei dem Gedanken… Ende November machte ich, quasi im Vorbeifahren, die Theorieprüfung und gewann mit 0 Fehlern. Immerhin.
Nun musste ich den Ponyhofmann wenigstens nicht mehr aushalten.

Führerschein (Teil 2)

Im Oktober suchte ich mir eine Fahrschule aus. Ich werde lieber nicht andeuten, welche.
Zuerst musste ich den 1. Hilfe-Kurs machen, in dem uns eine angehende Rettungsärztin eigentlich ständig versuchte, weiszumachen, dass wir das, was sie uns zeigt, bestimmt sowieso nie brauchen werden. Inwieweit das pädagogisch wertvoll war, möchte ich jetzt hier nicht bestimmen. Ich hörte trotzdem aufmerksam zu und empfehle Jedem, sich im Notfall lieber von mir retten zu lassen als von den anderen Kursteilnehmern.

Am 23. Oktober ging es dann mit der Theorie los. Mit mir waren da jede Menge junge Menschen türkischer Abstammung, die sich redlich mühten, sämtliche Klischees darzustellen, die einem zu türkischen Jugendlichen so einfallen wollen. Ein Jungitaliener war aber auch noch dabei, der war sogar noch wilder. Alle konnten prima sehr laut sprechen und Klingeltöne tauschen. Die Mädchen waren nur etwas dezenter als die Jungs, die angeblich schon lange mit Papas oder Bruders Auto herum fuhren. Natürlich hatten sie sich schon eigene BM*s bestellt und brauchten den Lappen nur noch der Form halber.

Das kann ja lustig werden, hoffte ich, und setzte mich trotzdem strebermäßig nach vorne. Schließlich wollte ich die Sache so schnell wie möglich durchziehen und noch vor Weihnachten in trockenen Tüchern haben.

Der Fahrlehrer, der uns die erste Theorie-Stunde erteilte, war so Anfang 30, trug schlimm ausgelatschte Schuhe und schien mir ein richtiger Weiberkönig zu sein. Er kam erstmal eine Viertelstunde zu spät und legte dafür aber gleich richtig los. Volle 10 Minuten lang sprach er über Sinn und Zweck des Fahrenlernens, die Eignung dazu und das nötige Verantwortungsbewusstsein. Dann schweifte er ab, ließ sich mit den Jungs auf lustiges Geplänkel ein und erzählte anschließend eine Stunde lang wildes Zeug aus der Zeit seines eigenen Führerscheinerwerbs und andere Heldengeschichten. Wie man Frauen klar macht, z.B. Vielleicht kann ich das ja noch mal brauchen… Zum Schluss gings noch mal kurz um Verantwortungsbewusstsein. Schien ihm ein wichtiges Thema.

Der andere Fahrlehrer (H.), der sich mit ihm für den Unterricht abwechselte, war dagegen ein bäriger Papatyp mit Bart und Strickpullover, der keine Mätzchen duldete. Ich wusste sofort: bei dem fährste! Außerdem hatte sein Handy „Take five“ als Klingelton, das kriegte ich zufällig mal mit, und das untermauerte die Entscheidung noch.

Nach zwei Wochen traute ich mich und hatte meine erst Fahrstunde.

Das Tolle, wenn man den Führerschein macht, ist ja, dass man plötzlich von allen Seiten die dollsten Geschichten dazu erzählt bekommt, inklusive denen über erste Unfälle. In diesem Fall waren diese Geschichten überwiegend mindestens 20 Jahre im Verklärungstank gewesen, da meine Freunde ja alle so in meinem Alter sind und ihre Führerscheine in den 80ern gemacht haben.

In der ersten Stunde wurde ich erstmal gefahren. Und zwar in ungefährliches Gelände, wo man als Anfänger nicht viel kaputt machen kann. Da musste ich dann hinter’s Steuer und kriegte erst mal die ganzen Klamotten da erklärt. Das gefiel mir gut. Dann sollte ich anlassen. Das gefiel mir nicht mehr so gut. Und schon rollte die Kiste und ich fuhr tatsächlich die Straße runter. „Isch fasset nit!“ und „Was mache ich hier eigentlich? Bin ich total durchgeknallt oder was!“, kriegte der arme H. zu hören. Wahrscheinlich auch seit 20 Jahren wieder und wieder. Daran musste ich immer denken: Wie oft der Mann dieses Kommen und Gehen und diesen Angstschweiß seiner Schüler schon erlebt hat.

Nach einer guten Stunde, in der eigentlich nicht viel passierte, als um-dem-Block-Fahren, ersehnte ich das Ende der Fahrstunde (Dauer: 90 Min.), weil ich meine Konzentration kaum noch aufrechterhalten konnte. Spaß hatte es mir irgendwie auch nicht gemacht.

Das hatte ich mir anders vorgestellt. Ich war immer der Meinung gewesen, dass ich bestimmt eine gute, lässige Fahrerin wäre, so theoretisch. Nun merkte ich, wie anstrengend ich das fand und ahnte, dass das kein Spaziergang würde. Hätte ich das Mistding doch schon mit 20 gemacht! Da hatte ich einfach noch nicht die Lebenserfahrung gehabt, die mir jetzt die Lockerheit verbaute. Auch in der zweiten Stunde wurde ich nicht lockerer, weil mir plötzlich auffiel, dass es eigentlich das reinste Wunder ist, dass nicht ständig alle Verkehrsteilnehmer in einem großen Klumpen zusammengeknüllt werden.

Auch H. merkte, dass ich womöglich ein schwieriger Fall werden könnte, weil ich nicht aufhörte, beim Fahren zu denken.

Führerschein (Achtung: mehrteilig!) – Teil 1

Ich wollte ja mal erzählen, wie das nun war mit meinem Führerschein. Freundin T. hat sich das mal gewünscht, weil ich deswegen Ende des Jahres so rumgehühnert hatte. Und weil das ’ne lange Geschichte ist, kommt die ausnahmsweise in vier Teilen.

Vorgeschichte:
Im Sommer war ich beim Väterchen in Berlin zu Besuch für ein paar Tage. Zuerst liefs ganz gut, wir hockten in Biergärten und beim Inder, gingen ins Technische Museum, saßen abends schön vorm Fernseher und alles war nett. Mittenmal kommt er mir mit so’nem Umschlag an und meint: „Töchterchen! Pass uff. Ick habe mir jedacht, Du musst nu’ mal endlich den Führerschein machen, bevor Du zu alt wirst, wat Neuet zu lernen.“
Ich dachte, ich hab’ Ohrensausen!
Klar hatte ich mal gesagt, dass ich das Mistding irgendwann mal machen will, aber das war doch nur so in die Luft gesprochen gewesen. „Irgendwann“ ist für mich ein Zeitraum, der locker dreißig Jahre umfassen kann. Außerdem wollte ich den 1. selbst bezahlen, und 2. eigentlich erst machen, wenn ich mir mein Traumauto leisten kann: Eine alte Citroen DS. Die Göttin. Darum habe ich natürlich eh’ nie damit gerechnet, dass das noch was wird.

Also gab’s erst mal Diskussion, bis Väterchen fast eingeschnappt war, weil ich den Umschlag nicht wollte. „Du kannst Dir meinetwejen ooch 2.000 Kugeln Erdbeereis davon koofen. Det is’ mir ejal! Du nimmst det jetzt. Det is noch von deine Omi.“
Also gut. Wenn er mir mit der Omi kommt, werde ich weich. Und Erdbeereis mag ich auch überhaupt nicht.

Zurück in Hannover musste ich erstmal zum Augenarzt, wegen besonderer Umstände in meinem peripheren Guckbereich. Die Praxis liegt am Lindener Markt und als ich da rein kam, fielen mir gleich die überaus patzigen, billig aufgedonnerten Sprechstundenmädels auf. Es gab aber auch ein unauffälliges, liebes Aschenputtel, an die wandte ich mich dann. Die Praxis war total oll, die Einrichtung zusammengehauen aus allen Jahrzehnten. Ich wurde zum Sehtest gerufen. Das Behandlungszimmer fiel fast auseinander, der Armstuhl, auf dem ich Platz nehmen sollte, zeigte schamlos seine Polsterfüllung herum. Ich fand das alles immer lustiger und war gespannt auf mehr. Die Buchstaben erkannte ich, die sind ja zum Glück zeitlos (Helvetica?). Dann kam der Farbtest. Das Büchlein mit den Tafeln fiel ebenfalls fast auseinander, der Leineneinband war mit Tesafilm dick überzogen. Ich bestand den Test mit Bravour, obwohl ich meine, die Farben wären schon etwas verblasst gewesen…

Dann kam dieser Gesichtsfeld-Test, wo man ein Summerchen drückt, sobald der helle Punkt ins Blickfeld kommt. Das Gerät war selbstverständlich ebenfalls uralt und musste per Hand bedient werden. Die Sprechstundenmaus hantierte herum und ich konnte natürlich genau vorher sagen, von wo das Pünktchen kommen würde, weil ich ja mitkriegte, wie sie da werkelte. Also summerte ich, bis ihr die Puste ausging.

Dann bekam ich die berühmten Tropfen ins Auge und musste warten. Ich weiß, dass das alle immer sagen, aber das Gefühl ist wirklich komisch. Wenn ich mir vorstelle, dass die Herrschaften des Barock sich Belladonna nicht zu knapp in die Augen geträufelt haben, damit die Blicke verführerischer wirkten, muss ich feststellen, dass die wohl nicht mehr alle an der Kappe hatten.

Nach einer halben Stunde kam ich zum Doc rein. Und Doc war der Knaller!

Ein altes, rundliches Männlein mit weißen Babylöckchen, das vor sich murmelnd in Puschen durch sein vollgerümpeltes Behandlungszimmer eierte. Er wies mich an, Platz zu nehmen und mein Kinn auf einer Art Rahmenkonstruktion aufzustützen.
„Keine Angst.“, versuchte er mich zu beruhigen.
„Ich hab’ gar keine Angst.“, antwortete ich munter und guckte ihn verschmitzt an. Der Typ ist ein Kobold, dachte ich, der tut nur so kauzig. Gefällt mir.
„Doch!“, sagte er, „sie haben Angst. Alle haben Angst! Aber ich mache das schon seit über 35 Jahren, überall auf der Welt mache ich das. Sogar in China! Auf der ganzen Welt mache ich das!. Nur in Russland nicht.“
„O.K., jetzt habe ich Angst!“, grinste ich. Er nickte.

Ich bekam einen Glaskegel direkt auf den Augapfel gesetzt und er schaute sich meinen Augenhintergrund an. Durch die Linsenbrechung konnte ich sogar irgendwie mitgucken und sah ein schönes Muster aus Äderchen. Irre, sich ins eigene Auge gucken zu können. Nebenbei wurde geplaudert.
„Und? Kann ich den Führerschein denn machen, Herr Dokter? Krieg’ ich ihre Freigabe?“
„Das können sie. Aber mit dem Pilotenschein wird’s leider nichts.“
„Och. Schade.“
„Und Rettungswagen fahren wird auch nichts.“
„Und Feuerwehrautos?“
„Tut mir leid. Gar keine professionelle Personenbeförderung. Privat können sie aber machen, was sie wollen!“
„Prima. Dann muss ich den Löschzug donnich abbestellen. Fein, der ist nämlich schon angezahlt.“
Inzwischen guckte er schon mit dem Kegeldings in das andere Auge.
„Wenn sie den Führerschein dann haben und so ein Jahr Praxis, dann leihen sie sich mal einen Porsche aus! Das ist ein Auto!“
„Ich komm’ dann, und leih’ mir ihren…“
Er lächelte mild, wir waren auf einer Ebene.
Nun versuchte er, das Glasding von meinem Auge zu nehmen, aber das hatte sich fest angeschmiegt bzw. fest gesaugt. Er musste etwas nachhelfen, dann war das Ding raus. Zum Glück, sonst hätte ich wie der Terminator nach Hause gemusst, bis das Ding von alleine abfällt. Und das mir! Ich habe so empfindliche Augen, dass ich leider keine Linsen tragen kann, weil ich’s nicht fertig bringe, mir was ins Auge zu pitschen. Auf dem Weg nach Hause schien die allerschönste Septembersonne. Ich drückte mich an den Wänden entlang, weil das Licht mir direkt ins Hirn wollte. Eigentlich eine ganz schöne Vorstellung, aber erst hinterher.

(2. Teil dann morgen…)

Feinkost

Einmal bei „Feinkost Lampe“, einem netten kleinen musikalischen Sofa-Club in Hannover-Linden, spielte sich folgende kleine Szene ab:

Ich gehe auf’s Klo. Das ist ein mittelgroßer, hübsch zurecht gemachter Raum mit Waschbecken und zwei Kabinen, jeweils eine für die Dame und den Herrn. Ebenfalls befindet sich dort eine kleine elektrische Kinder-Orgel. Als ich hereinkomme, ist der Raum leer. Ich gehe also in die Mädchenkabine, da höre ich, wie noch jemand reinkommt und sofort auf der Orgel loslegt. Einfach so lange Töne drückt. Als ich wenig später grinsend wieder aus der Kabine komme, hängt da ein beparkater Mensch in Hexenschusspose vor der Orgel und schreit mich an: „Ey! Super-Publikum!!!“ Ich sage beim Hände waschen: „Joh, das hat doch schon viel Schönes… Bisschen wie bei ’ner Seebestattung.“
Er (begeistert): „Ave Maria!!!“
Ich: „Yeah! Genau!“ und ab.

Küchensofagedanken am Morgen (Teil 2) – Begrüßung

Theobrominenfuesse

Ich hab‘ mir gedacht, vielleicht mache ich wirk-
lich mal so was wie eine Rubrik aus solchen
Küchensofagedanken. Gerade eben dachte ich nämlich mal wieder über ein Thema nach, das mich schon seit Monaten ab und an beschäf-
tigt und da eigentlich ganz gut rein passt. Wollen wir doch mal sehen:

Mich verwirrt das, dass in meiner Umgebung, meinem Freundeskreis, jeder jeden anders begrüßt. Die einen umarmen, die anderen küssen (ein- oder mehrmals), wieder welche wollen die Hand geben oder die Schulter klopfen. Manche sagen auch schlicht „Hallo“. Die Herren sehen manchmal aus, als wollten sie gleich eine gepflegte Klopperei anfangen. (Zum Glück bin ich nicht in Hiphopperkreisen unterwegs, wo man komplizierte Tänze aufführt, wenn man sich trifft.)

Geht das nur mir so? Und geht es denen mit mir auch so? Wahrscheinlich.

Wenn ich jemanden mag, umarme ich den. Manche scheinen das zu mögen. Eine Umar-
mung ist, wenn sie von Herzen kommt, was Feines und kann mich sogar den ganzen Tag über erfreuen. Wie oft ich aber schon angesetzt habe, jemanden zu umarmen, der irgend-
wie was anderes vorhatte! Und wenn man z.B. jemanden umarmen möchte, der einen grade auf die Wange küssen will, landet das Küsschen günstigstenfalls irgendwo hinterm Ohr, schlechterdings entsteht ein komischer Kuddelmuddel. Hürden: Zu welcher Seite neigt man sich? Wohin mit den Armen? Es gibt Links- und Rechtsumarmer. Die eben noch freudige Begegnungsszene wird unter Umständen zu einem verlegenen Gehampel. „Na, wie denn jetzt!?“ Oft ist das ziemlich lustig.

Irritiert bin ich aber auch, wenn mir jemand aus dem Freundeskreis die Hand geben möch-
te, da das für mich eine eher geschäftliche, offizielle Geste ist. Ich kann mir das nicht recht angewöhnen, obwohl ich als Kind zum Glück nicht mit dem „schönen Händchen“ getriezt wurde. Da diese Freunde aber überwiegend im Handwerk arbeiten, erkläre ich mir das so, dass das da wohl üblich ist, auch morgens unter den Kollegen und so. Eine rich-
tige Handwerkerhand zu schütteln ist ja auch irgendwie angenehm.

Feld-, Wald- und Wiesenbegegnungen kriegen „Hallo“ oder „Tach, wie geht’s?“ gesagt.
(Ich kenn’ einen Schlagwerker, der hat uns früher bei der Probe immer mit: „Na, ihr Arsch-
löcher?“ begrüßt. Im Gegensatz zu den anderen, die immer plötzlich nach Zitronensaft aussahen, fand ich das aber lustig, weil es einfach zu ihm passte.)

Hier mal meine ganz persönlichen Abstufungen:

Handgeben bei offiziellen Sachen.
Dann aber richtig! Nicht nur die Fingerspitzen und mit angenehmem Druck und kurz.

„Hallo!“, „Hi“, „Salut!“, „Tagchen!“, „Na, Puppe?!“ oder was auch immer bei Leuten, die man vielleicht noch nicht so gut kennt, zu denen man aber auch nicht so ein offizielles Verhält-
nis hat. Neuerdings sagen manche auch „Aloha!“. Ich glaube aber, das ist eher eine Ver-
abschiedung. (Genau andersrum: „Ciao!“)

Herzliche Umarmung bei Freunden.
Plus: Küsschen bei sehr guten Freunden, feiner Familie und vielleicht Kindern, vorausge-
setzt, die mögen das. Diese neuerdings sehr beliebten französischen Bisous sollten meiner Meinung wieder abgeschafft werden, da nicht mal die Franzosen wissen, auf welcher Seite man damit anfängt und wann man aufhört und was man dabei mit den Händen macht.

Ist übrigens mal jemandem aufgefallen, wie Heidi Klum Leute begrüßt? Das fällt mir grade ein. Sie legt die Hände ganz vorsichtig an die Schultern des zu Begrüßenden, als hätte sie grade frisch lackierte Nägel und dann macht sie so Luftküsschen und ruft laut: „Müah! Müah! Müah!“ mit so eingebauten kleinen Knutschgeräuschen. Meine japanische Freundin M. und ich haben ja immer schön Germanysnexttopmodel geguckt und uns dazu prima amüsiert. Anschließend haben wir uns dann total übertrieben nach Heidi-Art voneinander verabschiedet.

Ach, und Liebespaare denken sich bitte was Eigenes aus, beachten aber, dass Umste-
hende evtl. verlegen werden könnten.

Falls noch Fragen oder Anregungen auftauchen: Ich bin dann wieder mal auf dem Sofa…

Im Gehirnkasten hinten liegt noch was

Na, wenn hier schon alles blitzneu aussieht, dann komme ich jetzt mal mit einer ganz alten Meldung, die mir vorhin wieder einfiel, als ich in der Stadt war und eine mächtig dicke Taube ganz knapp an mir vorbei flog. Ich dachte eigentlich, ich hätte die Geschichte schon vergessen.

Es ist schon bestimmt 10-15 Jahre her, da las der Herr Wickert die Tagesschau, und weil nicht viel los war in der Welt, hatte er Gelegenheit, noch eine kuriose Warnmeldung aus zu sprechen: Er bat die Spaziergänger in Münchens Englischem Garten um Vorsicht. Und außerdem darum, die Schwäne dort bitte nicht mehr zu füttern.

Was war passiert?

Eine Frau war im Englischen Garten spazieren gegangen, als ihr plötzlich ein unglaublich dicker Schwan, der hinter ihr zum Flug gestartet war, mit Karacho auf den Kopf fiel!
Für die Frau war das gar nicht lustig, sie erlitt eine Gehirnerschütterung und ich meine, es wäre sogar noch ein Halswirbeltrauma dabei gewesen. Die Schwäne dort im Park sind so überfüttert, dass sie über 20 kg schwer werden, nicht mehr richtig fliegen können und wie olles Obst einfach aus dem Himmel fallen!

Ob die Frau zum Vogelfüttern im Park gewesen war, wurde nicht gemeldet. 
Dass der Schwan den Absturz unversehrt überstand, hingegen schon.

Kuchenbesuch von Rieta und Knut

Für gestern Nachmittag hatten sich ja nun Rieta und Knut angekündigt, das mir innewohnende Ehepaar. Also habe ich schön den Küchentisch gedeckt, ein paar Blümchen drauf gestellt, das Sofa noch mal abgeklopft. Und pünktlich um 15 Uhr fuhren die Beiden in ihrem Aud* vor. Vom Fenster aus konnte ich sehen, dass Rieta wie versprochen Kuchen dabei hatte. Prima! Nur hoffentlich keinen Frankfurter Kranz. Rietas Frankfurter Kranz ist ein berüchtigt-monströses Gebilde, das jeden Schachmatt setzt, der sich daran versucht. Außerdem macht sie die Buttercreme nicht mit Butter, sondern mit Margarine, weil es „gesünder“ sei und man den Unterschied angeblich nicht schmecke. Sie glaubt da fest dran und ich bringe es nicht übers Herz, ihr die Wahrheit zu sagen. Außen rum sind die Kränze fingerdick mit Haselnusskrokant überkrustet, der auch noch nach Tagen zwischen den Zähnen zu knirschen scheint.

Ich setze noch schnell Wasser auf, da klopft es auch schon, sie haben es in den dritten Stock geschafft. Beide sind heftig aus der Puste, Knut wischt sich mit einem Stofftaschentuch den Schweiß von der Stirn. Rieta legt sofort los, während sie zielstrebig die Küche ansteuert: „Na, Lieb? Da sind wir! Freuste Dich? Nimm doch mal der Tante den Kuchen ab! Ist Bienenstich! Danke, Lieb. Ach, da haste schön gedeckt! Haste etwa schon Kaffee gekocht? Oh, neue Kissen? Schick!“

Solche Phonstärken hat meine Küche lange nicht erlebt. Eigentlich, seit sie mich zuletzt besucht haben nicht mehr. Knut steht immer noch an der Tür und versucht, die Jacke auszuziehen, ohne seinem Baumwollbeutel abzustellen. Ich helfe ihm eben, er hat noch immer nichts gesagt, drückt aber kurz meinen Arm. Dann schiebt er sich an mir vorbei und klemmt sich direkt aufs Sofa. Rieta steht immer noch da und zeigt mir nun einen neuen Anhänger an ihrem Bettelarmband. Ein Eiffeltürmchen. „Guck! Schön, ne?“
Ich bewundere den Miniturm gebührend und frage, ob sie den von Knut hat. Knut schnalzt nur mit der Zunge gegen die Backenzähne und guckt zur Seite. Rieta erzählt: „Den hat mir Marianne (ihre Schwester) mitgebracht. Die war nämlich grad’ in Parriss (Paris)! Mit ihrem Neuen! Der hat die zu so ’ner Bustour eingeladen. Das muss herrlich gewesen sein!“ Seitenblick auf Knut.
Sie wolle ja auch schon immer mal nach Parriss, aber Knut sei das da alles zuviel, mit der ganzen Romantik und so. Und Champagner schmecke ihm auch nicht. Scheint ein Thema zwischen den beiden zu sein, da sag‘ ich mal lieber nichts.
Knut packt eine Schachtel Zigaretten aus der Baumwolltasche, fummelt sich eine heraus und knipst sie an. Ich frage: „Nanu, Knut. Du rauchst wieder?“ und stelle ihm schnell einen Ascher hin. Er kneift nur ein Auge zu, zuckt mit den Schultern und sagt: „Meinetwegen kannse ja fahren. Und ich bleib schön zuhause.“ Rieta guckt verstimmt und wechselt das Thema. Offenbar habe sie da tatsächlich schon öfter drüber gesprochen.

Sie mustert mich: „Hör mal, du bist ja so dünn! Haste etwa abgenommen? Pass bloß auf, sonst kannste dich noch hinter ’ner Birke verstecken! Sach, haste eigentlich kein Likörchen da? Wo wir uns so lange nicht gesehen haben!“
Doch, habe ich: da ist noch die Flasche von dem Minze-Schokozeug, das gar nicht nach Schoko schmeckt. Laut Freundin T. aber auch nicht nach Minze. Das ist Rieta aber egal und mir jetzt auch und deswegen prosten wir erstmal schön. Knut streicht mit der flachen linken Hand über den Tisch und dreht mit der anderen Hand die Asche seiner Zigarette vorsichtig am Rand des Aschenbechers ab.

Das Wasser kocht. Rieta steht ja noch und übernimmt sofort die Führung. Sie weiß, dass mein Kaffee lausig ist und hat vorsichtshalber eine Portion Kr*nung mitgebracht, so wie früher Karin Sommer. Knut kramt eine Frischhaltedose aus dem Beutel. Ich hatte mal eine Freundin, die erzählte immer Geschichten, in denen kam ganz oft der Satz vor: „Und dann steh’ ich da wie Karin Sommer!“ In ihrem Fall bedeutete das allerdings, dass sie wieder mal ratlos gewesen war und erstmal überlegen musste. Was ja eher auf die Karin Sommer-Umgebenden gepasst hätte. Vielleicht war es ihr aber nicht einprägsam genug, zu sagen: „Und dann steh’ ich da, wie diese Leute da immer in der Werbung, bevor Karin Sommer endlich die Kr*nung auspackt!“
Egal, jetzt.

Inzwischen hat Rieta den Kaffee fast fertig und flötet: „Der Kaffee ist fertig!“ Knut seufzt. Ich schiebe die Tassen noch mal zurecht und stelle den prächtigen Bienenstich auf den Tisch.
„Und Knut, wie isset?“, frage ich.
„Joh, muss ja, nä!“
Sagt er immer, und mehr wird er heute wahrscheinlich auch nicht mehr sagen.

Rieta beginnt, den Kuchen aufzuteilen. Ich liebe ihren Bienenstich, der ist noch mit richtigem Pudding und Mandelauflage der Extraklasse. Mit vollem Mund sage ich: „Riepa, deim Biehmspich iff immer efftraklaffe! Gib’ mir endlich daf Repfept!“
„Nee“, lacht Rieta, „das kannste erben, höchstens!“
„Aber nich’ vergessen, ins Testament zu machen!“
„Mach ich, Lieb. Gleich morgen gehe ich zum Notar!“
Wir zwinkern uns zu. Knut arbeitet gewissenhaft seinen Kuchen weg, während die Kippe noch zwischen seinen Fingern klemmt.

Rieta will wissen: „Und? Was haste so gemacht zuletzt?“
„Och, ich hab mal wieder’n bisschen gearbeitet. Zwei Wochen, mit richtig Schmackes.“
„Arbeit ist gut.“,sagt Knut und nickt dabei seinen Kuchenteller an. Obwohl er das größte Stück bekommen hat, ist er schon wieder damit fertig und raucht grade den letzten Zug seiner Zigarette. Rieta und ich haben grade mal zwei Gäbelchen geschafft. Wir warten, ob noch mehr kommt, aber Knut schweigt wieder.
„Ja, war auch gut“, sage ich, “ stressig und so, aber dann komm’ ich wenigstens nicht aus der Übung.“
„Gibt’s Geld auch?“
„Kaum. Darf’s ja nicht behalten. Aber darum geht’s ja auch nicht.“
„Wo denn dann drum?“
„Na, mal raus aus der Bude und so.“
„Und jetzt?“
„Och, weiß nicht. Jetzt ist erst mal wieder Ruhe, wohl. Und bei euch?“
„Ach, Das Wetter war ja immer so mumpelich, wir haben viel im Garten gemacht. Knut hat die ganzen Thujen ausgegraben. Die mochten wir nicht mehr leiden. Der Frank will mal gucken, ob sie bei ihm angehen. Jetzt kommt da erstmal ein neuer Zaun hin und denn gucken wir mal. Der Thorsten hat wieder nach dir gefragt, übrigens.“
Ich stelle mich doof: „Thorsten?“
„Na, der von der Po-host! Tu doch nicht so ahnungslos! Der fragt ja öfter nach dir… Geh’ doch mal raus mit dem! Der ist wirklich nett. Und ein neues Auto hatter sich auch schon wieder bestellt!“
Als ob mich das interessiert.
Ihr geht gleich raus, wenn nicht mal endlich Ruhe ist mit Thorsten! Schließlich habe ich mir euch ausgedacht und muss mich nicht mit Thorstens nerven lassen. Ich kann euch nämlich auch jederzeit wieder vergessen…“
„Machste ja doch nicht.“, sagt Rieta gutmütig und steckt sich jetzt auch eine an.

Seit Monaten schon preist sie mir Thorsten an, den heiratswilligen Junggesellen. Wir haben uns mal auf einer Gartenparty sehr langweilige 15 Minuten lang unterhalten. Hauptsächlich hat er mir von seiner irre wichtigen und verantwortungsvollen Tätigkeit als Schalterheini bei der Post erzählt. Rieta meint seitdem, wir seien wie füreinander gemacht und will uns unbedingt verkuppeln. Ich kann mich grade noch beherrschen. An der Seite so eines Schalterheinis, der die Posthemden sogar am Wochenende trägt, kann ich mir nun mal keine Zukunft vorstellen.
Knut zumindest weiß das und bestellt schnell noch ein Stück Kuchen bei seiner Frau, damit die das Thema fallen lässt. Und ich schenke noch Likör nach, de
r muss eh’ weg, damit neuer her kann… Sicherheitshalber frage ich sie noch, wo sie das Halstuch her hat, das sie da trägt. 

So vergeht dann der Nachmittag mit Geschichten und gutmütigem Spott und irgendwann ist der Kuchen alle, in den Tassen kann man die Böden sehen und ich weiß wieder das Neueste aus der Nachbarschaft und der Gartenkolonie. Rieta ist leer-, meine Ohren sind vollgequatscht und Knut ist wie immer. Der kennt das natürlich und kann das ab.
Es wird langsam Zeit, wir verabschieden uns herzlich voneinander, versprechen uns, dass wir uns ganz bald wieder sehen. Ich ermahne sie, vorsichtig zu fahren, wir drücken uns noch mal und die Beiden verschwinden wieder in ihr Stübchen in meinem Hinterkopf.

Und ich sitze noch eine kleine Weile in der Küche und genieße wieder die himmlische Ruhe.


So,

nun ist der Auftrag abgearbeitet und ich bin es auch.

Zwei Wochen lang habe ich über eine Stadt nachgedacht, in der ich noch nie war, und die sich neu präsentieren will. Ob die Agentur, in der ich die letzten zwei Wochen verbracht habe, die Ausschreibung gewinnen wird, ist fraglich, denn es hat schon jemand seinen klobigen Fuß in die Tür gestellt. Trotzdem haben wir unser Bestes rausgequetscht und vielleicht reißen wir das Ruder ja auch herum. Ich kann jetzt jedenfalls erstmal kein Orange mehr sehen, und nächste Woche wissen wir wohl schon mehr…

Hier ist natürlich alles liegen geblieben außer mir.
Auf dem Fernseher sind sogar Spinnweben drauf! Ich dachte, ich guck’ nicht richtig.
Und auf dem Quark im Kühlschrank puschelt es.
Wenn die Herrin aus dem Haus ist, tanzen die Miniorganismen auf dem Tisch!

Also muss ich heute erstmal anständig Einkaufen gehen. Vielleicht begegnet mir ja wieder ein hübscher Verleser, wie manchmal beim Einkaufen. Ich habe schon „Shaolin“-Glasreiniger statt „Sidol*n“-Glasreiniger gesehen, „Grillhäschen“ statt Grillhähnchen und „Langsam-Hemden“ statt Langarm-Hemden. Von der „Göttin“-Wurst hatte ich ja früher schon mal geschrieben.

Also Kühlschrank und Regale auffüllen und dann die Bude durchfeudeln!

Und dann mal die Freunde darüber in Kenntnis setzen, dass ihre Rufe nicht ungehört verschallt sind. Freundin S. könnte inzwischen glatt ein drittes Kind bekommen haben, so lange haben wir uns nicht gehört! (Naja, 5 Wochen oder so…)
Freundin M. ist ja grade wieder in Japan und kämpft mit schwüler Sommerhitze, da hat die genug zu tun. Freundin T. habe ich Dienstagabend in ein Café bestellt und dort nur von mir geredet… Freund M. habe ich immerhin Montag auf der Straße getroffen und konnte mir seine schicke neue Brille schnell begucken. Heute werde ich mal ein Bier mit ihm trinken, ob er nun will oder nicht!

Und hier kann ich mich auch wieder mehr blicken lassen.
Ach, hatte ich schon erzählt, dass mich
Rieta und Knut am Wochenende besuchen kommen wollen? Ich werde dann berichten…

Aber erst muss ich mir deren Besuch ja ausdenken und dafür brauche ich ein schönes

Spinnerset