Kuchenbesuch von Rieta und Knut

Für gestern Nachmittag hatten sich ja nun Rieta und Knut angekündigt, das mir innewohnende Ehepaar. Also habe ich schön den Küchentisch gedeckt, ein paar Blümchen drauf gestellt, das Sofa noch mal abgeklopft. Und pünktlich um 15 Uhr fuhren die Beiden in ihrem Aud* vor. Vom Fenster aus konnte ich sehen, dass Rieta wie versprochen Kuchen dabei hatte. Prima! Nur hoffentlich keinen Frankfurter Kranz. Rietas Frankfurter Kranz ist ein berüchtigt-monströses Gebilde, das jeden Schachmatt setzt, der sich daran versucht. Außerdem macht sie die Buttercreme nicht mit Butter, sondern mit Margarine, weil es „gesünder“ sei und man den Unterschied angeblich nicht schmecke. Sie glaubt da fest dran und ich bringe es nicht übers Herz, ihr die Wahrheit zu sagen. Außen rum sind die Kränze fingerdick mit Haselnusskrokant überkrustet, der auch noch nach Tagen zwischen den Zähnen zu knirschen scheint.

Ich setze noch schnell Wasser auf, da klopft es auch schon, sie haben es in den dritten Stock geschafft. Beide sind heftig aus der Puste, Knut wischt sich mit einem Stofftaschentuch den Schweiß von der Stirn. Rieta legt sofort los, während sie zielstrebig die Küche ansteuert: „Na, Lieb? Da sind wir! Freuste Dich? Nimm doch mal der Tante den Kuchen ab! Ist Bienenstich! Danke, Lieb. Ach, da haste schön gedeckt! Haste etwa schon Kaffee gekocht? Oh, neue Kissen? Schick!“

Solche Phonstärken hat meine Küche lange nicht erlebt. Eigentlich, seit sie mich zuletzt besucht haben nicht mehr. Knut steht immer noch an der Tür und versucht, die Jacke auszuziehen, ohne seinem Baumwollbeutel abzustellen. Ich helfe ihm eben, er hat noch immer nichts gesagt, drückt aber kurz meinen Arm. Dann schiebt er sich an mir vorbei und klemmt sich direkt aufs Sofa. Rieta steht immer noch da und zeigt mir nun einen neuen Anhänger an ihrem Bettelarmband. Ein Eiffeltürmchen. „Guck! Schön, ne?“
Ich bewundere den Miniturm gebührend und frage, ob sie den von Knut hat. Knut schnalzt nur mit der Zunge gegen die Backenzähne und guckt zur Seite. Rieta erzählt: „Den hat mir Marianne (ihre Schwester) mitgebracht. Die war nämlich grad’ in Parriss (Paris)! Mit ihrem Neuen! Der hat die zu so ’ner Bustour eingeladen. Das muss herrlich gewesen sein!“ Seitenblick auf Knut.
Sie wolle ja auch schon immer mal nach Parriss, aber Knut sei das da alles zuviel, mit der ganzen Romantik und so. Und Champagner schmecke ihm auch nicht. Scheint ein Thema zwischen den beiden zu sein, da sag‘ ich mal lieber nichts.
Knut packt eine Schachtel Zigaretten aus der Baumwolltasche, fummelt sich eine heraus und knipst sie an. Ich frage: „Nanu, Knut. Du rauchst wieder?“ und stelle ihm schnell einen Ascher hin. Er kneift nur ein Auge zu, zuckt mit den Schultern und sagt: „Meinetwegen kannse ja fahren. Und ich bleib schön zuhause.“ Rieta guckt verstimmt und wechselt das Thema. Offenbar habe sie da tatsächlich schon öfter drüber gesprochen.

Sie mustert mich: „Hör mal, du bist ja so dünn! Haste etwa abgenommen? Pass bloß auf, sonst kannste dich noch hinter ’ner Birke verstecken! Sach, haste eigentlich kein Likörchen da? Wo wir uns so lange nicht gesehen haben!“
Doch, habe ich: da ist noch die Flasche von dem Minze-Schokozeug, das gar nicht nach Schoko schmeckt. Laut Freundin T. aber auch nicht nach Minze. Das ist Rieta aber egal und mir jetzt auch und deswegen prosten wir erstmal schön. Knut streicht mit der flachen linken Hand über den Tisch und dreht mit der anderen Hand die Asche seiner Zigarette vorsichtig am Rand des Aschenbechers ab.

Das Wasser kocht. Rieta steht ja noch und übernimmt sofort die Führung. Sie weiß, dass mein Kaffee lausig ist und hat vorsichtshalber eine Portion Kr*nung mitgebracht, so wie früher Karin Sommer. Knut kramt eine Frischhaltedose aus dem Beutel. Ich hatte mal eine Freundin, die erzählte immer Geschichten, in denen kam ganz oft der Satz vor: „Und dann steh’ ich da wie Karin Sommer!“ In ihrem Fall bedeutete das allerdings, dass sie wieder mal ratlos gewesen war und erstmal überlegen musste. Was ja eher auf die Karin Sommer-Umgebenden gepasst hätte. Vielleicht war es ihr aber nicht einprägsam genug, zu sagen: „Und dann steh’ ich da, wie diese Leute da immer in der Werbung, bevor Karin Sommer endlich die Kr*nung auspackt!“
Egal, jetzt.

Inzwischen hat Rieta den Kaffee fast fertig und flötet: „Der Kaffee ist fertig!“ Knut seufzt. Ich schiebe die Tassen noch mal zurecht und stelle den prächtigen Bienenstich auf den Tisch.
„Und Knut, wie isset?“, frage ich.
„Joh, muss ja, nä!“
Sagt er immer, und mehr wird er heute wahrscheinlich auch nicht mehr sagen.

Rieta beginnt, den Kuchen aufzuteilen. Ich liebe ihren Bienenstich, der ist noch mit richtigem Pudding und Mandelauflage der Extraklasse. Mit vollem Mund sage ich: „Riepa, deim Biehmspich iff immer efftraklaffe! Gib’ mir endlich daf Repfept!“
„Nee“, lacht Rieta, „das kannste erben, höchstens!“
„Aber nich’ vergessen, ins Testament zu machen!“
„Mach ich, Lieb. Gleich morgen gehe ich zum Notar!“
Wir zwinkern uns zu. Knut arbeitet gewissenhaft seinen Kuchen weg, während die Kippe noch zwischen seinen Fingern klemmt.

Rieta will wissen: „Und? Was haste so gemacht zuletzt?“
„Och, ich hab mal wieder’n bisschen gearbeitet. Zwei Wochen, mit richtig Schmackes.“
„Arbeit ist gut.“,sagt Knut und nickt dabei seinen Kuchenteller an. Obwohl er das größte Stück bekommen hat, ist er schon wieder damit fertig und raucht grade den letzten Zug seiner Zigarette. Rieta und ich haben grade mal zwei Gäbelchen geschafft. Wir warten, ob noch mehr kommt, aber Knut schweigt wieder.
„Ja, war auch gut“, sage ich, “ stressig und so, aber dann komm’ ich wenigstens nicht aus der Übung.“
„Gibt’s Geld auch?“
„Kaum. Darf’s ja nicht behalten. Aber darum geht’s ja auch nicht.“
„Wo denn dann drum?“
„Na, mal raus aus der Bude und so.“
„Und jetzt?“
„Och, weiß nicht. Jetzt ist erst mal wieder Ruhe, wohl. Und bei euch?“
„Ach, Das Wetter war ja immer so mumpelich, wir haben viel im Garten gemacht. Knut hat die ganzen Thujen ausgegraben. Die mochten wir nicht mehr leiden. Der Frank will mal gucken, ob sie bei ihm angehen. Jetzt kommt da erstmal ein neuer Zaun hin und denn gucken wir mal. Der Thorsten hat wieder nach dir gefragt, übrigens.“
Ich stelle mich doof: „Thorsten?“
„Na, der von der Po-host! Tu doch nicht so ahnungslos! Der fragt ja öfter nach dir… Geh’ doch mal raus mit dem! Der ist wirklich nett. Und ein neues Auto hatter sich auch schon wieder bestellt!“
Als ob mich das interessiert.
Ihr geht gleich raus, wenn nicht mal endlich Ruhe ist mit Thorsten! Schließlich habe ich mir euch ausgedacht und muss mich nicht mit Thorstens nerven lassen. Ich kann euch nämlich auch jederzeit wieder vergessen…“
„Machste ja doch nicht.“, sagt Rieta gutmütig und steckt sich jetzt auch eine an.

Seit Monaten schon preist sie mir Thorsten an, den heiratswilligen Junggesellen. Wir haben uns mal auf einer Gartenparty sehr langweilige 15 Minuten lang unterhalten. Hauptsächlich hat er mir von seiner irre wichtigen und verantwortungsvollen Tätigkeit als Schalterheini bei der Post erzählt. Rieta meint seitdem, wir seien wie füreinander gemacht und will uns unbedingt verkuppeln. Ich kann mich grade noch beherrschen. An der Seite so eines Schalterheinis, der die Posthemden sogar am Wochenende trägt, kann ich mir nun mal keine Zukunft vorstellen.
Knut zumindest weiß das und bestellt schnell noch ein Stück Kuchen bei seiner Frau, damit die das Thema fallen lässt. Und ich schenke noch Likör nach, de
r muss eh’ weg, damit neuer her kann… Sicherheitshalber frage ich sie noch, wo sie das Halstuch her hat, das sie da trägt. 

So vergeht dann der Nachmittag mit Geschichten und gutmütigem Spott und irgendwann ist der Kuchen alle, in den Tassen kann man die Böden sehen und ich weiß wieder das Neueste aus der Nachbarschaft und der Gartenkolonie. Rieta ist leer-, meine Ohren sind vollgequatscht und Knut ist wie immer. Der kennt das natürlich und kann das ab.
Es wird langsam Zeit, wir verabschieden uns herzlich voneinander, versprechen uns, dass wir uns ganz bald wieder sehen. Ich ermahne sie, vorsichtig zu fahren, wir drücken uns noch mal und die Beiden verschwinden wieder in ihr Stübchen in meinem Hinterkopf.

Und ich sitze noch eine kleine Weile in der Küche und genieße wieder die himmlische Ruhe.


Rieta und Knut

In meinem Hirn wohnt ein Ehepaar. Sie heißen Rieta und Knut. Rieta heißt nicht nur Rita, sondern eben Rieta, weil man das „i“ sehr betont spricht. Knut heißt Knut, weil er knapp und bündig ist. Mit Eisbären hat das nix zu tun, denn das Ehepaar gibt es in meinem Kopf bestimmt schon zehn Jahre oder so.

Rieta und Knut kommen immer da vor, wo ich einen Vergleich ziehe zu anderen Menschen aus dem Volke. So ähnlich wie Lieschen Müller (die mir aber vom Charakter zu brav erscheint) oder Gabi Mustermann (die mir immer die künstliche Gestalt blieb, die sie ist).
Es geht eher so in die Richtung Otto Normalverbraucher, nur etwas pointierter.
Ich habe eine klare Vorstellung von Rieta und Knut, weiß wie sie aussehen, wie ihre Stimmen klingen, was sie mögen und wie sie wohnen.

Rieta ist um die 50, etwas füllig, aber nicht dick, hat schwarz gefärbte Locken und lässt sich überhaupt einmal die Woche die Haare machen. Im Sommer ist sie immer ungesund braun, weil sie jede freie Minute in der Sonne verbringt und sie hat recht lange Fingernägel, die sie perlmütterlich lackiert. Ich glaube, sie raucht und ganz sicher trägt sie jede Menge Kaufhausschmuck (echtes Gold, aber synthetische Steine und furchtbar fantasielose Gestaltung). Sie trägt auch Kaufhaus- bzw. Bestellkleidung, die sie schick und adrett findet, manchmal vielleicht ist diese ein wenig zu jugendlich.
Rieta hat eine energische, laute Stimme. Ob sie selber das auch weiß, ist nicht klar.
Obwohl sie 50 ist, hat sie etwas Naseweises und Kokettes.
Sie glaubt immer, sie hat Ahnung und manchmal stimmt das auch.

Knut hat schon recht weißes Haar, ist so fünf Jährchen älter als seine Frau und ist Frührentner. Was er früher gemacht hat, weiß man nicht. Vielleicht war er beim VW oder so in der Fertigung. Er hat dünne Beine und einen Bauch, aber nur vorne. An Schmuck trägt er nur den Ehering und eine Armbanduhr mit Metallarmband, an deren Verschluss er gelegentlich herumnestelt.
Knut spricht wenig. Er überlegt lange und spricht dann mal in Rietas Sprechpause rein. Man kann aber an seiner Mimik erkennen, wie er zum Thema steht.

Er trägt Kurzarmhemden mit grafischen Mustern, die eine Lebendigkeit versprechen, die Knut nicht halten kann.
Ich sehe ihn aber immer in einem Feinrippunterhemd vor mir, denn meistens sind Rieta und Knut in ihrem Schrebergarten zu finden.
Dort sitzen sie in einer Plastiksitzgruppe mit Auflagen in der prallen Mittagssonne und bräunen. Backen trifft es eher. Rieta trägt einen Badeanzug und ihr Dekolleté ist ganz zerknittert, Knut ist überall da braun, wo das Unterhemd die Haut frei lässt. Eincremen tun sie sich nicht, weil: „Dat wär‘ ja Quatsch, dat brauchen wer nich‘. Wir sind ja de Sonne gewöhnt!“ Sie trinken den ganzen Tag lang Kaffee, mal mit mal ohne Koffein, je nach Tageszeit. Ab 17 Uhr trinkt Knut Feierabendbier, das er sich in ein Bierglas einschenkt und Rieta trinkt Weinschorle.

Obwohl man sie ein bisschen lächerlich findet, sind die Beiden sympathisch. Rieta hat so etwas Piffiges und Knut in seiner Brummigkeit etwas Verschmitztes. Die Rollen sind klar verteilt und sie sind lange genug zusammen, um in fast Allem einer Meinung zu sein.

Diese Meinung ist es, die mir manchmal in den Sinn kommt, wenn ich Kontakt aufnehme zu den Paralleluniversen um mich herum. Oder wenn ich mit Ästhetik geplagt werde, die so gar nicht meine ist.
Jeder kennt das, wenn man sich die Frage stellt: „Wer kauft denn so was?“
Die Antwort ist meistens: Na, Rieta und Knut, die Beiden!

Es macht total Spaß, so ein fiktives Ehepaar zu beherbergen. Man kann es oft befragen, ohne es direkt ansprechen zu müssen oder man kann Geschichten darüber erfinden und ausbauen.

Jedenfalls: Rieta und Knut werden hier bestimmt mal wieder auftauchen…