Ich seh‘ gern rot.

Eben an der roten Fußgängerampel:

Alle rennen wieder mal so rüber, bloß ich nicht. Als letztes zieht ein junger, ein bisschen persisch aussehender Mann an mir vorbei und ruft: „Komm‘ sie ruhisch! Ist nicht gefahr- lich!“ Ich sage: „Nö.“ und bleibe stehen. Auf der Mitte der Straße dreht er sich noch mal um, macht eine einladende Bewegung mit dem Arm: „Ach, kommen sie, bitte!“ Ich lache ihn an und rufe: „Neee!“ Da lacht er auch und trollt sich.

Er weiß ja nicht, dass ich so gut wie nie bei Rot über die Ampel gehe. Und das aus einem ganz bestimmten Grund. (Vielleicht sogar aus aus zwei Gründen. Der zweite wäre, dass es immer Alle tun. Und ich schon deshalb nicht mit rüber renne, weil ich nicht „Alle“ bin.)

Der eigentliche Grund ist aber, dass ich an roten Ampeln öfter an K. denken muss, mit dem ich mich mal eine Weile über einen bestimmten Max Goldt-Text amüsiert habe, in dem es irgendwie darum ging, dass man rote Ampelphasen gerade als Fußgänger ei- gentlich in höchsten Tönen preisen sollte, weil man endlich mal ein paar Sekunden oder sogar Minuten geschenkt bekommt, in denen man nicht geschäftig herumhetzen muss, sondern sich schöne Gedanken machen oder vielleicht sogar eine hübsche neue sexuelle Phantasie ausdenken kann. (Genau weiß ich’s jetzt aber nicht mehr, Herr Goldt würde’s mir hoffentlich nachsehen…) Das Warten an der Ampel ist jedenfalls demnach sowas wie eine unverhofft geschenkte Pause. Gelegenheit, innerlich zu verschnaufen.

Wir fanden das damals einen hübschen Gedanken und waren deswegen fast enttäuscht, wenn wir mal an eine Ampel kamen, die just auf Grün sprang. Das konnte der junge Mann eben natürlich alles nicht wissen. (Der dachte sicher:“Puh! Das ist bestimmt so eine ganz Rechtwinklige.“)

Wäre er aber neben mir stehengeblieben, hätt‘ ich’s ihm vielleicht erzählt…

30 thoughts on “Ich seh‘ gern rot.

  1. Die Menschen in Deiner Stadt müssen rechte Draufgänger sein. Ich weiß noch, wie sich in irgendeiner Umfrage vor wenigen Jahren die Niederländer darüber lustig gemacht haben, dass die meisten Deutschen bei Rot stehenbleiben. Seitdem nehme ich mir diese Pause eigentlich nur, wenn ich es absolut uneilig habe oder Kinder in Sicht sind. ;D

  2. Ich geh auch über Rot. Morgens um 6:30 Uhr sind die Straßen noch völlig leer und ich sehe keinen Sinn darin, dann vor einer roten Ampel stehen zu bleiben. Aber ich verstehe, was du sagen willst.

  3. Ich werde nie wieder an einer roten Ampel stehen können, ohne mir zu überlegen, welchen schweinischen Gedanken meine Mit-Passanten gerade nachhängen ….. :))

    • Mach‘ Dir doch selber mal welche. 😉

      Die meisten machens ja nicht. Sie rennen rüber, oder hauen zum fünften Mal auf das Umschaltköpfchen (als würde es dann schneller gehen!) oder trippeln auf der Stelle oder sonstwas…

    • Ich bürste mal etwas von der Ironie raus und verbuche das frech als Kompliment. 😉

      Gegen den Mainstream ist allerdings genauso langweilig wie mit. Deswegen suche ich mir einfach möglichst aus, was ich was wann wie machen will. Ich finde nämlich, das rockt immer noch am meisten.

  4. Oh, also ohne den goldt’schen Text zu kennen, halte ich es mit den roten Ampeln genau so. Vor allem an sonnigen Frühlingstagen, an denen man nach 2 Minuten an-der-Ampel stehen schön gar nicht mehr weiß, wo man eigentlich so eilig hinwollte.
    Die Art der gemachten Gedanken mag aber deutlich banaler sein, als die des Herrn Goldt…

    • Ach schön! Wieder eine Verwandtschaft. 😉
      Ist doch eigentlich komisch, dass man sich (wenn man die Zeit denn mit solchen Gedanken verschwenden würde) fast merkwürdig vorkommt, wenn man sein Gesicht lieber in die Sonne hält, statt auf die Uhr oder aufs Handy zu gucken.

  5. :**: AuaAuaAua, ein heikles Thema!

    Mir ist’s mal als Fahrradfahrer bös ergangen an einer Fußgängerampel für die Kinderlein an einer Schule. Sie wird übrigens von der dortigen Juvenilität gern per Knopfdruck betätigt, nicht etwa um die Straßenseite legal zu wechseln, sondern um zum eigenen Amusement dem automobilen Verkehrsgeschehen zu einer temporären Stockung zu verhelfen.

    Auf dem Weg zur Arbeit preschte ich also mit dem Velociped die Straße entlang auf besagte Lichtzeichenanlage zu, und als sie auf „ROT“ sprang, hielt ich brav an. Ein Steppke stand am Straßenrand, hatte „GRÜN“ und ging nicht. Statt dessen schaute er mich an, und nach einer Weile versetzte er: „Mensch, fahr doch! – Ick tät fahr’n…“ In meiner momentan gesetzestreuen Anwandlung wartete ich jedoch auf „GRÜN“ für mich und setzte die Fahrt fort, einen kopfschüttelnden Infanten zurücklassend.

    Nächster Tag, gleiche Zeit, gleiche Ampel, wieder „ROT“. Kein Mensch, kein Kind Weit und breit, und ich hatte es sehr eilig. Also, was gilt’s: rüber bei „ROT“. Und dann ging alles ganz schnell: Ein riskantes Überholmanöver mit scharfer Vollbremsung direkt vor mir, aus dem Streifenwagen sprangen drei Beamte, ergriffen mein Fahrrad und mich, Ausweiskontrolle, Belehrung, drei Punkte in Flensburg, hohe Geldstrafe, verspätet zur Arbeit, mahnende Worte vom Scheffboss…

    Man kann es wirklich niemandem recht machen!:oops:

    • Och Mensch! :)) Du Ärmster!

      Wenn es mal was hätte lernen können, ist das Blag natürlich zuhause am Computerdaddeln. Du solltest vielleicht am besten immer ein Kind dabeihaben, falls solche lehrreichen Situationen häufiger auftreten. Hast Du den Beamten denn wenigstens vor Vortage erzählt? Vielleicht hatten die den Steppke da sogar selbst aufgestellt! Und nun? Fährst Du sicher große Umwege, um ja an keiner Schule vorbeizukommen, oder?

      Ich habe das als Kind übrigens auch gern gemacht, das mit dem Ampeldrücken. Aber: Psssst!

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