Ich bin wütend heute.
Bin schon so aufgewacht, da ragte lauter sperriges Zeug in mich rein. Hat sich wohl in den letzten drei stillen Tagen so eingefunden. Zusammenhanglos, aber nur auf den ersten Blick.
Ich sollte lieb sein. Lieb, nicht wütend. (Man sollte besser schnell rennen, wenn einem als größtes Schild das Schild „lieb!“ umgehängt wird, es verdammt zur Erfüllung und lässt kaum anderes zu.) Männliche Wut ist männlich. Eine wütende Frau ist hysterisch, eine Furie. Ein Widerspruch. Unangenehm und übrigens auch sehr unsexy. Vor wütenden Frauen zieht man sich zurück, man lässt sie allein, damit sie sich beruhigen können. Man lässt sie allein, bis sie ihre Sanftheit und Nachgiebigkeit wiedergefunden haben, wieder liebenswert sind, dann dürfen sie auch zurück an den Abendbrottisch.(Schlechte Emotionen sind doch im Grunde nichts anderes als hässliche Eigenschaften. Die kann man geduldig wegerziehen, wirst sehen. Entweder Hunger haben oder lieb sein. – Du kannst doch jederzeit selbst entscheiden!)
Ich habe mal aufgeschnappt, dass Wut Trauer ist, die sich aufstaut und irgendwann Bahn bricht. Trauer lässt sich noch handhaben, traurig dürfen Frauen sein. Wenn es nicht zuviel Trauer ist, kann man versuchen, zu trösten und bekommt selbst irgendwo Punkte dafür. Wut aber ist Privatsache, wie Ausschlag. – Wie unangenehm, hoffentlich geht es Dir bald besser!
Ich bin wütend über die vielen kleinen Enttäuschungen*, die sich monatelang zu einem Berg aufstapeln, dass ich kaum noch drüberkomme. Wenn ich es ab und zu schaffe, darf ich diesem Berg aber immerhin den Buckel runterrutschen!
* Und ich hasse die arrogante Mär der sogenannten „heilsamen, achso gesunden Ent-Täuschung“. Davon sprechen nur Menschen, die in anderen Menschen Erwartungen erwecken und diese später kühl, mit spitzen Fingern, wie lästige Fussel wieder entfernen möchten. Bewusste Enttäuschung ist nicht einfach blödes Wortspiel, sondern verletzend. Und ich bin nicht unausgereift, wenn ich mich nicht verletzen lassen möchte.
Ich bin wütend auf mich, wenn ich mir mit Fürsorglichkeit und verborgener Erschöpfung versuche, ein bisschen dringend benötigte Zuwendung zukommen lassen, obwohl ich eigentlich grade gar nicht mehr kann. Ich bin wütend auf mich, wenn ich versuche, mich da anzulehnen, wo nichts ist und ins Leere kippe, falls nicht jemand schnell ein rettendes Kissen dazwischen schiebt. Ich bin wütend, wenn ich mir den Mund, die Stimme fremd- verstummen lasse. Wenn ich mich zu etwas Bequemem, leicht Verschiebbarem machen lasse. Ich bin wütend, wenn ich mich fühle wie etwas, dem man sich besser nicht nähern sollte. Wie ein Abgrund. Oder eine Gefängnistür. Ich bin das alles nicht.
Ich bin bloß manchmal wütend. Und heute schluck‘ ich das mal nicht weg.