Also ehrlich, hier habe ich lange nicht gele- gen… Tja, trauriger Mangel an Gelegenheit.
Aber ich bin gerade mal ein bisschen krank geschrieben und wo könnte man überraschend geschenkte Zeit besser verstreichen lassen als auf einem gemütlichen Sofa. Mit einer schönen Tasse Tee, warm in meiner Hand, die heute mal ganz ohne Eile getrunken werden kann.
Damit bin ich schon direkt beim heutigen Thema, das seit Wochen klammheimlich immer ein Stückchen näher an mich rückt, wie ein schüchterner Verehrer neben einem auf der Parkbank. Heute hat er dann endlich seinen Arm um mich gelegt und ich genieße das.
Die Sinnlichkeit hat mich wieder.
Nein, hier geht’s nicht um Sex… Jedenfalls nicht vordergründig. Wer was über Sex lesen möchte, muss auf der Plattform nicht lange suchen, bis er unter eine gelüpfte Bettdecke schauen darf. Der Brominen Decke bleibt gefälligst ungelüpft.
Es geht ja bloß um Schmecken, Riechen, Hören, Sehen, Fühlen.
Ungefähr seit einem Vierteljahr schleicht er sich wieder an, einer meiner liebsten Lebens- begleiter, der Geschmackssinn, der Hochgenuss beim Essen. (Nicht ganz umsonst zeige ich der Welt schließlich meine Zunge.) Natürlich habe ich auch vorher alles schmecken können, aber ich hab‘ immer wieder Phasen, in denen ich verstärkt zur Geschmacksjäge- rin werde. Dann will ich Neues, Ungewöhnliches, noch unbekannte Kombinationen, mir Gutes tun, mich verwöhnen und mal überraschen. Und dann darf es gerne, muss aber gar nicht unbedingt Schokolade sein. Ein feiner Wein, ein gutes Brot, ein neues Gewürz tun’s auch. Sich etwas genussvoll auf der Zunge zergehen zu lassen, von dem man weiß, dass in dieses Produkt vielleicht viel Sonne, Liebe und Könnerschaft eingegangen ist, ist doch wohl eine friedlichsten Handlungen überhaupt! So, eine kleine, zarte Praline zum Beispiel, an deren entzückender Form, Textur und komponierten Aromen sich ein Confiseur lange gemüht hat, happst man nicht einfach so weg wie Stulle.
Komm‘ mir jetzt bitte keiner mit getrüffelter Stopfgänseleber! Davon ist hier ja gar nicht die Rede. Ebensowenig wie von Austern oder Kaviar. Sowas hat Liebhaber, zugegeben. Vor allem doch aber, weil es teuer ist. Wer isst sowas schon zuhause, wenn keiner guckt? Eben. Natürlich mag ich auch mal einen schönen Champagner trinken, aber ein gut ge- machter Crémant für 8 Euro ist auch was Feines und ich behaupte auch gar nicht erst, dass ich den Unterschied überhaupt schmecken würde.
Aber den Unterschied zwischen einem Brot, das in Folientüte für 59 ct. beim Discounter rumliegt und einem, das ein guter Bäcker ganz in Ruhe und aus wenigen Zutaten bäckt, den schmeckt man sofort! Und den sollte man sich ruhig ab und an gönnen, auch wenn für’s Gönnen eigentlich nichts auf Tasche ist. Das hat auch was mit Selbstwertgefühl zu tun. (Ich weiß, wovon ich rede, denn auch hier gab’s Hartz-IV-Zeiten.)
Aber mal weg vom Essen, ich krieg‘ hier langsam Appetit und habe nix Anständiges mehr im Haus…
Der Geschmackssinn ist mir also wichtig, aber er ist ja nun nicht der Einzige. Ich war wohl schon immer ziemlich sinnlich und das auf allen Ebenen. Das hab‘ ich vermutlich von der Mutter. Gerüche z.B. rufen schnell Gefühle oder Erinnerungen in mir auf, aber das geht ja eigentlich jedem so. Ob es ein leicht feuchter Kellergeruch ist, der mich an das stets gefüllte, dämmrige Vorratslager meiner Oma erinnert oder aktuell der herbe Geruch von Herbstlaub, das feucht auf den Wegen liegt. Der metallische Geruch, den die Stadtluft im Sommer nach einem Regenguss hat, der Gestank nach Schwefel in der Silvesternacht (den ich aber komischerweise mag) oder wenn mein Nachbar eine seiner scheußlichen Zigarillos raucht (was ich eher nicht so…). Und dann wieder: frisches Brot, Gurkensalat, Erdbeeren, Freilandrosen, Kaffee, das Fell einer Katze, die eben in der Sonne gelegen hat, und natürlich: frisch gemähtes Gras. Stars der Geruchshitparade.
Und jetzt das Hören: Die Geräusche im Haus, Kinder streiten sich auf der Straße, ein Auto fährt langsam vorbei. Im Sommer zirpt’s im Gras und wer Glück hat, hört Lerchen über den Feldern. Mein Lieblingsgeräusch? Das kennt ihr: Das Rauschen der Pappel vor meinem Haus. Das zweitliebste? Das lass‘ ich Euch mal raten… Mal abwarten, ob Einer drauf kommt. *g* – Wo war ich? Ach ja: Und Musik! Natürlich…
Und Stille.
In der Stille zu zweit sein und sie teilen. Unvergleichlich. Da ist viel Platz zum Sehen und Fühlen.
Kleiner Schlenker:
Gestern hab‘ ich einen kurzen Bericht über James Turell und sein „Wolfsburg-Projekt“ (Video beachten!) ferngesehen, da ging’s unter anderem um die Fühlbarkeit des Lichts. (Ich weiß von mir, dass ich auch mit verbundenen Augen sagen kann, ob das Licht an oder aus ist. Ist gar nicht so schwer, lohnt sich mal, zu probieren.) Turell hat übrigens schon vor Jahren einige Installationen im Hannöverschen Sprengel-Museum angelegt, die mich immer sehr angesprochen haben. Die Stadt Wolfsburg an sich hingegen fand ich bisher immer eher uninteressant, weil ich da eigentlich bloß an Autos denken muss, aber jetzt will ich dann doch mal hin!
Ich weiß nicht, wieso, aber manchmal frage ich mich, ob ich ohne das Sehen auskommen könnte. Ich hoffe, das ist keine schlimme Vorahnung oder sowas. Jedenfalls denke ich dann: ich habe soviele Bilder in mir, die könnte ich dann doch aufrufen… Trotzdem, wen überrascht’s, hätte ich das eher ungern, denn gerade in der Gegend rumgucken gefällt mir besonders gut.
Das Fühlen und der Tastsinn; – ich glaube, von diesen Beiden kriegen wir oft gar nicht so viel mit, denn die Wahrnehmung nimmt uns viel weg, damit wir nicht plötzlich mal balla balla werden. Dass wir Klamotten tragen, merken wir z.B. über’n Tag kaum, wenn nicht gerade die Hose kneift. Eigentlich müssten die Nerven die ganze Zeit Funken: Kontakt hier, Kontakt da. Machen sie aber nicht, weil sie oft viel lernfähiger sind als ihre Besitzer. Trotzdem lege ich Wert darauf, mich lieber mit angenehmen Materialien zu ummanteln. Am liebsten habe ich ganz, ganz weiche, zarte Baumwolle. Samt ist auch schön. Seide ist mir zu kühl und Wolle darf auf gar keinen Fall kratzen, schon allein, weil mein zarter Schwanenhals so empfindlich ist, dass ich das Kitzeln meiner eigenen Haare daran schon manchmal zu viel finde. Polyester soll übrigens meinetwegen bleiben, wo sie will. Und das sind jetzt nur Materialien, die in der Kleidung stecken können und Berührung ganz neben- bei und unbewusst auslösen.
Da gibt’s aber auch noch die ollen Küsse der ungeliebten Tante, die man jahrzehntelang lieber vergessen möchte. Oder einen frischen Luftzug im Wohnzimmer. Strahlende Ofen- wärme. Haareziepen beim Kämmen. Das Gefühl, barfuß in ’nem Bachbett herumzulaufen. In eine heiße Wanne zu sinken. Sonne auf der Haut zu haben, oder sogar geliebte fremde Haut. Ausgekitzelt werden. Eine glatte Kastanie in der Tasche umfassen.
Wie gesagt, die Sinnlichkeit hat mich wieder, ist hochwillkommen und darf sich oft über volle Aufmerksamkeit und Zuwendung freuen. Und jetzt muss ich mal einkaufen: Gucken, Tasten, Schnuppern…
Und Ihr? Tut Euch was Gutes…