Theobromine in Not: Hilfe, Rentner schwemmen aus!

Donnerstag:

Heute ist ja wohl auch wieder so’n Tag.

Wenn ich die Post hole, dann sitzt an zwei Tagen in der Woche der Kollege M. in der Poststelle. Er ist eigentlich schon längst pensioniert, es hält ihn aber nicht zuhause. Ich vermute, das hat seine Frau entschieden. Als ich noch neu in dem Laden war, herrschte er mich einzweimal an, ob ich denn ganz allgemein niemanden grüße oder bloß ihn nicht. Da war ich, zugegeben, erstmal kurz perplex, fand aber dann durch blitzschnelles Kombi- nieren heraus, dass Herr M. der einzige ist, der nicht weiß, dass er schwerhörig ist. (Eben waren wir noch zu Zweit.)

Nun brülle ich den armen Mann immer schon von der Tür aus an: „Hallo! Schönen guten Morgen, Herr M.!!!“, was ihm aber zu gefallen scheint. Heute war mir mal ein bisschen nach Abwechslung, und deshalb rief ich: „Hallo, guten Morgen, Herr M.! – Na? Schon wieder fleißig?!?“ Das hätte ich mal lieber sein lassen sollen, denn Herr M. startete gleich den Motor und nahm richtig schnell Fahrt auf: „Ich bin fleißig, Sie sind fleißig. Sind wir ja alle. Wir müssen ja! Machen wir ja aber auch gerne, nicht? Immer schön fleißig! Wir müssen ja die Wirtschaft an…, an…“

„-kurbeln?“, half ich nach und flüchtete mich vorsichtshalber gleich in Gedanken über die- ses Wort, das man jetzt wieder so oft hört und das mir so seltsam altbacken vorkommt. Wo wird denn heutzutage noch gekurbelt? Das geht doch inzwischen alles über Touch- screen! Ich muss dann immer an diese Autos denken, die ich als Kind in „Väter der Klamotte“ gesehen habe, die wurden doch per Kurbel… Aber vielleicht ist der Vergleich mit einem uralten Auto ja auch gar nicht so verkehrt.

Inzwischen pumpt sich Herr M. auf wie ein Maikäfer und möchte gern richtig loslegen. Ich kann noch schnell sagen, dass ich das Wort „Krise“ nicht mehr hören kann und deshalb auch schon länger keine Nachrichten mehr gucke. Doch diesen dezenten Hinweis über- hört er (natürlich!) und ist schon unterwegs; – im Galopp über Allgemeinplätze: Den klei- nen Mann. Die Kleinen fangen sie, die Großen lassen sie laufen. Managerabfindungen. Und dass man sich diese Milliarden ja gar nicht vorstellen kann.

Jaja. Ich kann mir ohne weiteres Milliarden vorstellen, denn in meinem Kopf ist Jahrmarkt und ich könnte mir zur Not sogar Milliarden kleiner Männer vorstellen, solange ich sie nicht zählen muss. Herr M. ist gerade bei: „Und wer muss das alles wieder bezahlen? Wir!“, da hake ich ein, sage: „A propos: muss. Ich muss dann mal wieder. Kurbeln gehen, nech?“ und flitsche schnell aus der Tür.

Kaum in meiner Abteilung angekommen, steht ein weiterer älterer Herr mit grasgrünem Pulli vor mir. Natürlich hat er ein Poloshirt drunter. Offenbar hat mal wieder jemand den Schnappi von der Eingangstür runtergeknipst. Der Herr will nun wissen, wie das alles hier so bei uns funktioniert, schielt immerzu neugierig Richtung Ausstellung, beschwert sich mal gleich, dass wir nicht immer geöffnet haben, wenn er Lust kriegt, mal reinzuschneien, und wieso wir eigentlich keine Gruppenführungen für 6-8 Personen organisieren. Er hat dann natürlich auch gleich mal ein paar Verbesserungsvorschläge, was das grundsätz- liche Führen unserer Einrichtung angeht. Das habe ich übrigens besonders gern: „Ideen und Vorschläge“ von Branchenfremden.

Dass mein Telefon immerzu klingelt, stört ihn erstmal nicht, schließlich offenbart er mir gerade die Geheimnisse der Unternehmensführung, das kann ja nur wichtiger sein. Körpersprache kann er leider nicht lesen. Auch mein ungeduldiges „Hm. Hm.“ versteht er eher als Anfeuerungsversuche. Irgendwann drehe ich mich einfach um, murmele was von „mal endlich rangehen“ und verschwinde. Am Telefon ist ein inzwischen verärgerter Hand- werker, der mich bittet, mal eben den Durchmesser eines Kronleuchters auszumessen. Also laufe ich mit dem Telefon an dem Besucher im Foyer vorbei, der mir noch bedrohlich hinterher ruft: „Machenseman! Ich hab’ Zeit!“

In der Ausstellung muss ich auf einen Stuhl steigen und versuchen, Telefon und Zollstock gleichzeitig zu bedienen, was nicht ganz einfach ist, weil hier hinten der Empfang mise- rabel ist und das Gespräch nun quasi Buchstabengehacktes für Phantasiebegabte wird. An einem anderen Tag wäre das sicher lustig. Ach, und weil ich ja schon mal dabei und so freundlich bin, soll ich die anderen Lampen auch gleich noch…

Als ich wieder zurück bin, ist der Senior natürlich immer noch da, hat inzwischen eine Broschüre über Käse durchgeblättert und ist darüber zum Experten geworden. Das bitte nicht auch noch! Ich packe ihm energisch einen Stapel weiterer Faltblätter zusammen und lege ihm eine Karte mit unseren Öffnungszeiten ganz obendrauf, bevor ich den Arm zur Tür hin ausstrecke und ihm noch einen interessanten Tag wünsche. Wenn er irgendwann mal wiederkommt, und er wird wiederkommen, erwischts hoffentlich die Kollegin.

Später in der Bahn setzt sich natürlich der nächste alte Herr des Tages ausgerechnet neben mich, obwohl der Zug nur halbvoll ist, und will gleich wissen, wie ich das Wetter finde, ob ich von der Arbeit komme und was das denn so für eine Arbeit sei.

„Seniorenbändigerin!“ kann ich ja schlecht sagen, also murmele ich mir unentschieden was zurecht. Das macht aber nichts, denn natürlich war das nur der Einstieg in seine Berufslebensgeschichte. Zum Glück ist der Bahnhof nur 10 Minuten weit weg. Nur so viel: über 40 Jahre bei der Post, ganze Entwicklung über die Jahrzehnte miterlebt („nicht gut, nicht gut“), alles geht den Bach runter, zuhause 2 Kinder gehabt („Alles eigener Hände Arbeit!“), inzwischen 3 Enkel, was soll man machen…

Ich seufze und beschließe, mir jetzt wohl doch so ein MP3-Dings mit Ohrkörkchen anzuschaffen.

16 thoughts on “Theobromine in Not: Hilfe, Rentner schwemmen aus!

  1. Hehe, vielleicht reicht es ja auch, nur so Ohrkörkchen anzuschaffen und das Kabel einfach in eine Jackentasche zu stecken. Zwischendurch kannst Du dann noch mit dem Kopf wackeln, als würdest Du was hören. :))

  2. Den Begriff »ankurbeln« würde ich ebenso wie Du aus einer Zeit stammen sehen, in denen die Väter der Klamotte noch selbst Hand an ihre Fahrzeuge legen mussten. Eigentlich ein sehr bildhaftes Wort.

  3. Wir kurbeln noch ! Jeden Morgen ! Kein Witz. Wir haben nämlich noch Uralt-Tresore, die müssen echt mit einer Kombi aufgekurbelt werden.

    ich find das gut, dass sich all die ollen Rentner bei Dir rumtreiben. Vielleicht lassen die mich dann mal beim Mittagspausen-Großeinkauf in Frieden.

    • Ich hab‘ echt mal überlegt, wo denn heutzutage noch gekurbelt wird, aber auf Tresore bin ich nicht gekommen… Nur auf Jalousien, „Flotte Lotte“ und Raucher, die ihre Tätigkeit des Krumme-Glimmstengel-Herstellens auch schon mal so nennen.

      Ich mag eigentlich alte Leute total gern, besonders, wenn sie sowas Verschmitztes haben. Dann kann ich stundenlang mit denen ratschen. Aber diese „Experten“ mit Redezwang und Merk-Resistenz, die machen mich echt zuweilen seeehr müde…
      (Du könntest die Rentner doch mal über Mittag in den Tresor locken und da „einkurbeln“, dann könnteste in Ruhe einkaufen. ;))

  4. # ankurbeln – dann gehör ich auch zu den Vätern der Klamotte – eines meiner ersten Autos war ein ‚Entchen 2CV‘ das musste ich öfters mal ankurbeln wenn die Batterie leer war

    #Senior 3 – zuhause 2 Kinder gehabt („Alles eigener Hände Arbeit!“) – haste das wirklich richtig verstanden ? 😉

    • # ankurbeln. – Stimmt! Die Ente ist die einzige, die man auch heutzutage noch kurbeln kann. Die kann man ja wohl auch ganz gut selber „schrauben“. Freunde von mir hatten immer mindestens drei halbe Enten irgendwo rumstehen.

      # Senior. – Das war ja nur eine grobe Zusammenfassung seines Wortschwalls… 😉

  5. Ähnliches ist mir gestern auch passiert. Bin gerade meinen Wagen am saubermachen, kommt ein Rentner der ein paar Häuser weiter wohnt angelaufen.
    „Naaa? Sie sind auch so ein Schrauber, wa? – Nöö, muss nur ab und an den Wagen sauber machen. Macht man so mit Autos. Schrauben überlaß ich der Werkstatt. –
    Was arbeiten Sie denn so, dass Sie so ein Auto fahren können? –
    Ach, das hat mit meiner Arbeit wenig zu tun. Hab halt nen Führerschein gemacht. Da lernt man das. –
    Aha, und was verdienen Sie so? (Unfassbar oder?) –
    Einen schnellen Tod wenn ich Glück hab, aber ich muss jetzt wirklich weitermachen!“
    Das ist die Sorte Rentner für die ich definitiv keine Nerven habe. Völlig distanzfrei!

    Aber natürlich gibt es auch nette ältere Menschen mit denen es Spass macht sich zu unterhalten.

    Einen sonnigen Gruß B)

    • Eventuell hat es ja was damit zu tun, dass im Alter sowieso langsam egal wird, wie man sich benimmt. Man wird entweder übersehen oder eher überhöflich behandelt, je nach Erziehung des „Opfers“. Am häufigsten begegnen mir zum Glück nette, entspannte Rentner. Am zweithäufigsten dann schon das Gespann „Experte für Alles“ und „Listigguckende Absahnerin“.

      Je nach Tagesform amüsiere ich mich mit den einen oder über die anderen. 😉

      Schönwettergruß zurück!

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