Letzte Woche war ich ja noch verreist. Zum Beispiel in Maastricht.
Dort erlitt ich plötzlich eine mittelschwere Hüngerchenattacke. Weil ich aber im Gegen-
satz zu Herrn Jean Pütz keine Schublade dabei hatte, aus der ächzend ein dreihaariges, anstrengendes, mit ungesunden Flecken übersätes Männchen springt, um mir „Milschreis zum Sällbabasteln“ mit zugehörigem „Tütschen“* anzudienen, und auch mein Begleiter keine Anstalten machte, eine solche Schublade unter’m Mantel herauszuzücken, suchten wir uns einfach eine Kneipe. Beziehungsweise ein „Eetcafé“, oder wie das dort heißt. Der Laden hatte auch einen ganz typischen holländischen Namen, und zwar: „C’est la vie!“
*(„Tütschen auf…, drübber…, – fechtisch!“ weckt bestimmt bei so Manchem alle möglichen Assoziationen, nur keine, die sich aufs Essen bezieht.)
Obwohl auf den Straßen irre viel los war, war es in der Kneipe sogar noch lauter, beson-
ders in der Ecke, in der wir noch Platz fanden. Da wurde nämlich das Geschirr aufbewahrt bzw. durcheinander geworfen, die spotzende Kaffeemaschine bedient und das Personal bebrüllte sich mit Anweisungen. Wir bestellten „Toasti mit Kaas und Ham ohne Ham“ (aber mit Toast und Kaas) und Kaffee. Jetzt erst fiel mir die Musik auf, aber zu spät: wir saßen schon und hatten bestellt. „You’re my heart, you’re my soul…“ Hoppla. Direkt im Anschluss: „Take these broken wings!“ Gefälligst.
Zum Glück kam jetzt unsere Bestellung. Der ersehnte Imbiss wurde begleitet von „Kyrie Eleison“ (/Marillion), das ein Herr am Nachbartisch auch noch ganz gut kannte und das „Ohohoooooo…!“ aus dem Refrain sogar leise (dachte er) mitsang. Da schmeckt einem doch die leckere Salatbeilage gleich noch mal viel knackiger!
Vielleicht hätte unsere Kellnerin auch gern mitgesungen, hatte sie doch eine, sagen wir mal, zutiefst männliche Stimme, die irgendwo hinter ihren unübersehbar weiblichen Attri-
buten hervorkam. (Eigentlich zu tief, um in Fish’s Geknödel einzustimmen. Eventuell, wenn was von Bonnie Tyler gelaufen wäre?) Das begeisterte sie übrigens anscheinend selber so, dass sie meinem Gegenüber gleich mal die leere Espressotasse umriss, sie dann aber schön ordentlich wieder auf der Untertasse zurechtstellte. Denn wer weiß schließlich, wozu wir die leere Tasse noch brauchen…
Das „Kyrie“ ging jetzt über in „One night in Bangkog“, offenbar hatte hier jemand vom Per-
sonal so eine 80er-CD an der Tanke mitgehen lassen, in dem Glauben, Touristen hörten so was gerne. Mir machte das auch tatsächlich immer mehr Spaß und ich fing an, mir Notizen zu machen. Wahrscheinlich erweckte ich dabei bei meinem lieben Begleiter den Eindruck, Maastricht gefiele mir nicht richtig, und ich würde mich sogar darüber lustig machen. Das liegt mir jedoch fern. Diese Kneipe hätte auch in Soltau sein können oder meinetwegen auf Texel (und auch dort hätten sie vielleicht versucht, statt der leeren Tasse Deine noch vollen Blättchen mit Hilfe eines Zaubertricks abzuräumen *g*), und Maastricht gefiel mir sogar so gut, dass ich unbedingt vorhabe, da noch mal hinzufahren, sobald sich die Gelegenheit bietet. Nach Texel übrigens auch. Soltau weiß ich noch nicht.
Gespannt wartete ich also auf das nächste Stück… Es war „Pass the Dutchie“. Das hatte ich nun echt über 20 Jahre nicht gehört. „Gimmidiemjusikmäkmijampampamp!“
Na, das sollte hier mal einer versuchen, denn der Laden war bis unter’s Dach vollgestopft mit Zeug und Leuten und Zeug. Direkt über mir hing, wie das be-
rühmte Damenkloschwert, eine riesige, wahrscheinlich 45-Liter-fassende J*ger-
meisterpulle.
Ich hatte ein bisschen Schiss, sie würde sich vielleicht ausgerechnet den heuti-
gen Tag aussuchen, um sich aus ihrer bestimmt fachmännisch verzwirbelten Drahtverankerung zu lösen und mich auf ihrem Weg nach unten zu erschlagen.
Vielleicht ist das Foto deshalb so verzit-
tert. Die anderen sehen sogar noch viel schlimmer aus!
Was nicht mit draufging auf’s Bild: „99 Luftballons“. Die hätte ich, statt im Ohr, wirklich lieber über mir gehabt, und zwar ohne Nenas Seufzgesang, dem man wohl nie mehr ganz entkommen wird.
Zeit also, zu gehen. Offenbar betrübt dies das Personal zutiefst, denn hinaus begleitet werden wir von „Each time you break my heart…“
Frisch gestärkt und (wenigstens anteilig) amüsiert, treten wir auf die Straße zurück und eine meiner Lieblingstätigkeiten an: Die Suche nach noch unbekanntem Geschmeck.
Bei der Ladenkette HEMA werde ich fündig.
Doch dazu morgen mehr…
Schöne Idee, den Besuch anhand der Playlist zu beschreiben!
Leider gab’s nix von Deinem Kollegen Prince zu hören, sonst wäre ich glatt noch ein Viertelstündchen geblieben…
Das ist ja unerhört, dass die das Stehaufmännchen ignorieren!
Ja, zum Stehaufmännchen wäre ich noch sitzen geblieben… Aber bei der CD handelte es sich offenbar ja um „Das Fürchterlichste, das uns die 80er unter die Ohren gerieben haben!“, da hätte der süße Kleine gar nicht drauf gepasst. 😉
Methodisch erinnert mich Deine Geschichte jedenfalls an das Schlusskapitel vom »Zauberberg«, »Hans Castorp legt Schallplatten auf«. Bin lange nicht mehr über dieses Stilmittel gestolpert!
Den „Zauberberg“ hab‘ ich bisher nicht gelesen, das gehört auf die Liste der Bücher, die überschrieben ist mit „Mach‘ ich mal, aber läuft ja nicht weg“ (ebenso wie „Die Erzählungen“, die hier vollstauben, und von denen ich vielleicht mal zweieinhalb geschafft habe, bevor was Anderes wichtig wurde.
Über die Feiertage hatte ich immer mal den neuen Goldt vor der Nase. 😉
Dann bin ich jetzt aber auf Deine Meinung zu »Q« gespannt, wir hatten seinerzeit im Literaturblog darüber gesprochen.
Der »Zauberberg« ist seit Jahrzehnten eines meiner Lieblingsbücher. Die erwähnte Schlussszene wird ganz selten auch auf der Bühne gesprochen, während die entsprechenden Schallplatten dazu aufgelegt werden. Ein echtes Erlebnis!
Zu „QQ“ lass‘ ich bestimmt noch einzwei Sätze bei Dir fallen, das hatte ich mir mir ja auch vorgenommen. Und nach dem „Zauberberg“ guck‘ ich das nächste Mal, wenn ich in die Bücherei schlunze. Jetzt haste mich wieder drauf gebracht. 😉
und anschließend fährst Du nach Davos und schaust die die Originalschauplätze an
Wieso nicht? Ich bin sowieso grad‘ reif für’s Sanatorium.