Ein Morgen im Schloss

Es gibt eine Behörde, wenn ich von der Post bekomme, weiß ich, der Tag ist gelaufen. Dann komme ich ins Rotieren, bis ich das Gefühl habe, ich bin nur noch in Einzelteilen. Sie schicken ihre Briefe normalerweise so, dass sie freitags ankommen. Weil man dann natürlich niemanden mehr dort erreicht. Also nimmt man den Ärger mit ins Wochenende, meistens regt man sich gezwungenermaßen ab, darauf spekulieren sie bestimmt.

Nun bekam ich mal wieder einen Brief, aber schon gestern, das muss ein Versehen sein. Heute Morgen rief ich dann an und geriet wieder an diesen Menschen, der lieber als Bibliotheksarchivar arbeiten sollte. Oder irgendwas anderes, wo man vielleicht in Keller-
räumen mit schönem Kunstlicht sitzt und nicht so viel mit Menschen zu tun hat, die was von einem wollen. Übelstes Geschnetz nämlich.

Grundsätzlich antwortet er auf alles, was ich ihm ruhig, freundlich und sortiert vortrage, oder ihn frage, mit: „Tja, das ist ihr Problem.“ „Das ist eben so.“ „Da müssen sie den Sachbearbeiter fragen.“ „Darauf kann ich ihnen keine Antwort geben.“ Auch schon mal: „Da heben sie eben Pech gehabt.“ Oder „Was soll ich dazu sagen?“
Die Frage meint er natürlich nicht ernst. Das erkennt man an dem Tonfall, der ist nämlich herablassend und leicht bockig. Ebenso gut könnte er auf alles mit „Nö.“ antworten und die Arme verschränken. So ist er, der Herr J., mit dem ich eben das Vergnügen hatte, mal wieder zu telefonieren. Wir kennen uns nun schon, denn das Problem ist eigentlich jedes Mal dasselbe. Es wird auch jedes Mal wieder zu meinen Gunsten geklärt, aber dafür ist mein Gestrampel nötig. Und wenn es dann läuft, schreibt Herr J. den nächsten Brief.

Er verwies mich aus reiner Unlust an den „zuständigen Sachbearbeiter“ Herrn D., dabei weiß ich genau, dass die Post von ihm war. Er schreibt die Namen anderer Mitarbeiter oben in den Briefkopf, obwohl er fast immer der Verfasser ist. Irgendwann verplapperte sich nämlich ein Vorgesetzter, an den ich mich gewandt hatte, weil ich mit Herrn J. mal wieder nicht weiter kam. Und der Vorgesetzte erzählte mir, dass Herr J. eigentlich gar kein richtiger Sachbearbeiter sei, sondern nur so Hilfsarbeiten ausführt. Aber weil da so viel los ist, darf er auch Sachen entscheiden und wichtige Briefe verfassen, aber er darf sie eigentlich nicht unterschreiben. Und auf so einen bin ich angewiesen!

Ich rief also Herrn D. an, der gleich sauer wurde auf den J., weil der mich in Gegend herumschickt, statt mir zu helfen. Offensichtlich kommt das öfter vor. Herr D. meinte knapp: „Moment mal eben, ja?“ und dann war die Leitung leer. Ich wartete 20 Minuten! Zum Glück haben sie da keine fiese Musik. Dabei stellte ich mir vor, wie Herr J. von Herrn D. anständig in die Mangel genommen wird, von wegen: „So geht’s ja nicht!“ Und: „Sie kümmern sich jetzt um die Frau! Der Fall ist doch ganz einfach!“

Und dann hatte ich plötzlich Herrn J. wieder in der Leitung. Ich fasste noch mal eben zu-
sammen, worum es geht, aber er antwortete nicht gleich. Er macht nämlich gerne auch so aushungernde Pausen. (Diesen Trick kenne ich aber von einer Ex-Liebe, darauf falle ich nicht mehr rein. Dessen zweiter Trick war übrigens, sich erstmal alles anzuhören und dann spöttisch zu fragen: „Meinst Du das etwa ernst?“)
Dann begann er etwas von „Bescheinigung durch den Arbeitgeber“ zu faseln. Ich muss jetzt dazu sagen, dass ich keinen solchen habe, denn ich bin freiberuflich selbständig. Er ließ aber nicht davon ab, ich solle eine Bescheinigung per Einschreiben schicken. Watt? So ging das eine Weile hin und her.

Irgendwann merkte ich, dass etwas komisch war an unserem Gespräch. Noch komischer als sonst… Ich brauchte noch ein Weilchen, bis ich es kapierte: offensichtlich oder –hörig war ich in ein anderes Gespräch geraten, – ich hörte aber nur Herrn J.!
Und antwortete ihm. Diesen Dialog hätte man aufnehmen sollen.

Ich kam mir vor wie bei Kafka.
Das irre ist, ich dachte wirklich, der spricht mit mir! Es war alles fast genauso wie sonst: Das Gefühl, wir sprächen über zwei verschiedene Dinge, sein Gemauer, der Tonfall, – alles. Der ist offenbar immer so, zu allen, die ihn belästigen. Ich dachte bisher, der schaltet das an, wenn er meinen Namen hört, weil ich immer so hartnäckig bin und mich an ihm festbeiße, bis er endlich mit ir-gend-was rausrückt. Wir sind also wahrscheinlich viele… Ich legte einfach auf. (Und frage mich nun, ob mich wirklich die Telefonanlage verulkt hat, oder ob dieser Mensch so gerissen…)

Und nachdem ich bei nun noch mal den netten Herrn D. angerufen habe, der mich gebe-
ten hat, es in einer Stunde noch mal versuchen, weil er die Sachlage sichten und klären will, bin ich nun gespannt, wie’s weitergeht.

11 thoughts on “Ein Morgen im Schloss

    • Habbich. Das gab‘ noch mal hin und her! Die spielen da „Reise nach Jerusalem“ oder wattweißich, andauernd tauschen die ihre Telefonnummern oder Plätze untereinander. Vielleicht rennen sie auch kichernd durch die Flure, spielen „Haschmich!“ und rufen „Kuckuck!“…

      Mündlich ist alles geklärt (mit Herrn D.), wird von mir jetzt noch mal schriftlich eingereicht (hoffentlich landet’s dann auch bei ihm, und nicht bei J.), und dann muss ich nuuuur 2-3 Wochen warten, bis ich briefliche Antwort habe. Wo kommen denn jetzt die Zahnabdrücke in der Tischkante her…? Die waren doch vorhin nonnich… tsss…

      • Ich hatte auch mal einen Arbeitskollegen, der nach dem „Herr J.“ Muster funktionierte. Das sind die Unkündbaren, die aufgrund von Teamunfähigkeit und Misanthropie in Positionen verschoben wurden, in denen sie ihren Kollegen nicht dauernd mit ihrer Opfermiene (boshaft-leidend) vor den Füßen stehen – und von denen hat der Gewöhnliche Beantragende natürlich nichts Konstruktives zu erwarten.

        Solche Leute muss man aber nicht schonen, die haben sich den Opferstatus, in dem sie sich zu befinden gedenken, selbsttätig erarbeitet und zementiert. Bei solchen Leuten bleibt nur noch die Frage nach der Länge des Hebels und dem Ansatzpunkt.

        Keine Tische essen!

        • Der Hebel ist bisher „Der Längere“ und seiner. Ich habe ihn schon dezent angesäuselt, streng gerügt, mit Verständnis beworfen, gelobt, gefragt, ob „wir tatsächlich in diesem Ton weitersprechen wollen“, seinen Vorgesetzten hinzugezogen, ihn reden lassen und geschickte Fragen gestellt, auf die er mit Inhalt antworten musste. Es hilft alles nix, sowas Unzugängliches hab‘ ich noch nicht erlebt.

          Und der Tisch: Naja, da fehlt jetzt schon ein Stück… Aber ich hab‘ noch Schoki, da mach‘ ich mir einfach so kleine Beinchen drunter! 😉

  1. Mal abgesehen von dem Ärger, meine Liebe, ist es doch tröstlich zu wissen, dass Herr J. sich nicht nur bei dir so unfreundlich und borniert gebärdet. Dann kannst du in Zukunft leichter abtropfen lassen, wenn er dir blöd kommt. Der Vergleich mit der übermächtigen Bürokratie in Kafkas Schloss ist freilich gut gewählt.

    • Ja, das ist schon ein kleiner Trost. Nur leider geht es dabei immer um für mich sehr Wichtiges, und wenn da einer mauert und seine Machtposition ausnutzt, fällt das Abtropfen unheimlich schwer. Mir jedenfalls. Denn ich kann es ja nicht einfach auf sich beruhen lassen, dann geht hier nix mehr. Er agiert ja nicht nur unfreundlich, sondern tatsächlich kontraproduktiv. Und es kostet viel Kraft, nicht mit ihm in Streit zu geraten, sondern das Gespräch neutral zu beenden. Schon mehrfach habe ich überlegt, eine Beschwerde einzureichen, doch es widerstrebt mir zutiefst, andere anzuschwärzen. Manchmal funktioniert es, wenn ich denke: „So eine arme Wurst! Abends geht er bestimmt nach Hause und denkt: Denen habe ich’s heute mal wieder richtig gezeigt!“

      Puh, mein Lieber, jetzt trinke ich erstmal einen schönen Tee!

    • Davor scheint er ziemliche Angst zu haben. 😉
      Ich hatte diese Idee auch schon, als es mal um eine schnelle Entscheidung gehen sollte. Da fragte ich ihn, ob ich vorbei kommen könne (wollte ihn unauffällig ein bisschen anzuklimpern…). Er behauptete aber sofort, in den nächsten Wochen ginge da rein gar nichts! Eines Tages mache ich das vielleicht. Ich möcht‘ auch gern mal wissen, was das für’n Kerlchen ist.

      • Na ?
        Wo issn das Problemchen ?

        Anrufen (vom Handy aus).

        Schon fast vor der Tür stehen.
        Fragen ob er einen Moment Zeit hat.

        UND REIN.

        ich würde gern das gesicht sehen !

  2. wenn es sich bein herrn j tatsächlich um einen mitarbeiter des kafka’schen schlossen handelt, dann dürfte das mit dem vorbeikommen wohl eher schwierig werden – aber vielleicht hast du doch glück – sofern du keine landvermesserin bist

    andererseits tröstet es mich, dass auch andere menschen außer mir unter der dummdreistigkeit anderer leiden – nur wer bereitet den dummdreisten eigetlich so viel leid, welches ihr verhalten rechtfertigen könnte?

    • Ich denke, das sind sie wohl selbst. Ein schönes Leben hat man so bestimmt nicht… Ich kann mich aber gerade noch zusammenreißen, da Mitleid zu empfinden.

      Und Du hast recht: es tröstet zu wissen, dass man da nicht allein steht.

      Und nein, eine Landvermesserin bin ich nicht. Ich will mich auch zu keinem Dienstantritt dort melden, nur mal gucken. Ich war sogar schon mal im Gebäude drin und hab‘ was in den Briefkasten geworfen! 😉

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