Der Ochse muss an die Theke!

Das ist jetzt mal eine schöne Sonntags-Geschichte, die ich aber ausnahmsweise nicht selber erlebt habe. Aber dafür meine Großeltern mütterlicherseits vor sechzig Jahren oder so. Es bleibt also wenigstens in der Familie.

Also, meine Großeltern lebten in einem ganz kleinen Ort und hatten da wohl sowas wie die Kappe auf. In ihrem eigentlich gar nicht so großen Haus kam alles Wichtige im Dorf zusammen. Mein Opa war nämlich der Dorfschmied und Bürgermeister. Außerdem war er kugelrund und sah immer aus wie ein fröhlicher rotbackiger Apfel mit Zigarrenstumpen. Meine Oma kümmerte sich um die Schenke (Dorfkneipe), die Fremdenzimmer und die Poststelle. Sie war hager und fast immer nörgelig, dafür wusste sie alles über Jeden.

Zu Himmelfahrt war immer schwer was los, denn nach dem Kirchgang kamen die Männer des Ortes zum Trinken in die Schenke. Bei gutem Wetter konnte man im Garten sitzen, aber lieber quetschte sich alles in die winzige Wirtsstube, um näher am Bier zu sein. Die Frauensleute waren brav nach Hause gegangen und verschnabulierten bestimmt auch so einiges beim Tratschen hinter den Küchengardinen.

In diesem Jahr war es nun schon sehr warm im Mai. Ein Bauer aus dem Nebenort war mit seinem Ochsenkarren vorgefahren. Der Ochse war ein prächtiges Tier, hatte wohl ziem-
liche Hörner und stand gelangweilt in seinem Geschirr herum. Wahrscheinlich war dem der Feiertag auch total schnuppe. Die Männer tranken also ihr Bier und ihre Körnchen dazu, die Sonne schien, und alle wurden langsam so richtig schön besoffen. Die Diskus-
sionen wurden immer lauter, dafür aber immer undeutlicher. Gerade als endlich welche anfangen wollten, sich zu prügeln, rief einer: „Der Ochse hat doch sicher Durst!“ Alle schauten jetzt zum Ochsen rüber, der allmählich wohl schon ganz schön dösig guckte, schließlich stand er auch schon lange nicht mehr richtig im Schatten.

„Der muss auch an die Theke!“ „Jou, genau! Der Ochse muss an die Theke, schließlich ist heute Feiertag!“ Denn an der Theke stand ja das Fass. Und unter dem Fass stand ein kleiner Zuber, in den der Bierschaum tropfte. Da sollte das arme durstige Tier nun draus zu trinken kriegen. Meine Oma muss gerade in der Küche gewesen sein, denn sie bekam nicht mit, wie plötzlich alle Gäste nach draußen wankten, mein Opa vorneweg. Der träge Ochse wurde ausgespannt und durch die schmale Tür, durch den schmalen Flur, in die enge Gaststube geführt, was gar nicht so einfach gewesen sein dürfte. Viele Leute pass-
ten da nun auch nicht mehr mit rein, deswegen guckte der Rest von draußen durch die Fenster. Das war dem Ochsen aber egal, denn der hatte wirklich Durst und trank den Zuber schneller leer, als man gucken konnte. Also wurde von oben Bier nachgelassen. Immer wieder, bis der Ochse nicht mehr wollte. Und dann wurde erstmal wieder eine Runde für die Gäste gezapft, denn die wollten ja nun auch nicht zugucken müssen.

Nun betrat meine Oma die Szene. Wahrscheinlich war sie als Einzige im Haus nüchtern. Jedenfalls kriegte sie erstmal einen Riesenschreck und fing dann sofort an zu keppeln, das „Vieh“ solle „gefälligst aus dem Haus geschafft“ werden, und ob die Herren wohl noch alle beisammen hätten und so. Zurück kam erstmal großes Gelächter, aber mit der Oma war bekanntermaßen nicht gut Kirschen essen, und die Kumpels wollten nicht, dass mein Opa zuviel Ärger kriegte, also beruhigten sie sich. Oma machte auf dem Absatz kehrt, rief noch: „Seht zu!!! Aber passt mir ja auf die Tapeten auf. Die sind ganz neu!“ und verzog sich wieder in die Küche.

Man hatte seinen Spaß gehabt und wollte also den Ochsen wieder hinausführen. Erst jetzt merkten sie, dass der Raum viel zu klein war, um dem Ochsen zu wenden. Entweder stand der Tresen im Weg oder Ochse. Mal abgesehen davon, war das Tier jetzt bräsig und besoffen und bewegte sich nur ungern, schon gar nicht rückwärts. Da half kein Schieben und kein Ziehen. Alle mühten sich mit vereinten Kräften ab, es nützte nix, das Tier war einfach zu massig und wollte nicht. Auch Futter lockte ihn nicht. Lieber wollte er sich hinlegen. Und das machte er dann auch und hielt erstmal ein Schläfchen.

Das wiederum gab den Männern Zeit, zu überlegen, wie man den Ochsen denn nun wie-
der aus dem Haus kriegen könnte. Ein paar Vorschläge wurden gemacht, so gut es ging durchdacht und wieder verworfen. Es muss wohl ein Weilchen ziemlich still geworden sein. Plötzlich aber durchzuckte einen der Geistesblitz, er tat aber geheimnisvoll. Ohne was zu verraten, ließ er sich aufs Fahrrad helfen und radelte in Richtung seines Hauses davon.

Als die anderen ihn schon abgeschrieben hatten und überlegten, ob man vielleicht doch den Tresen zersägen oder ein schönes Loch in die Außenmauer schlagen sollte, kam er wieder die Straße runtergesegelt. Am Lenker hingen links und rechts zwei Eimer. Schmierseife! Das war die Idee!!! Der Ochse döste immer noch, und um ihn herum wurde alles so gut es ging dick mit der Seife eingeschmiert.

Zur selben Zeit kam die Oma, um zu gucken, ob nun alles wieder in Ordnung wäre. Das Bild, dass sich ihr bot, müsste eigentlich eher zum Lachen gewesen sein: Ein Haufen Betrunkene, die auf dem vollgeseiften Boden um einen verpennten Ochsen herumrutsch-
ten und versuchten, sich gegenseitig Kommandos zu geben. Oma aber kriegte zuviel und fing das Kreischen an. Das allerdings weckte wohl das Tier auf, und es versuchte erstmal, aufzustehen. Ging aber wohl nicht so gut, wegen der Seife. Zum Glück war das Vieh noch
immer betüdelt und träge, und es beschloss, lieber noch abzuwarten. Aber Oma, die sich zur Sicherheit inzwischen oben auf die Treppe zurückgezogen hatte, bekam sofort wieder Angst um ihre Tapeten: „Der wird hier noch wild! Mit den riesigen Hörnern zerschlägt der uns doch die ganzen Wände! Herrjeh! Jetzt tut doch was!“

Und das taten sie dann. Der gutmütige Ochse wurde langsam, Stück für Stück, am Schwanz gezogen und von der anderen Seite geschoben, aus dem Haus geschleift. Zum Glück war er völlig lethargisch, vielleicht sogar heimlich amüsiert über die herumschlittern-
den Männer. Er blieb jedenfalls ruhig, bis er draußen war. Der Fußboden im Haus, der Ochse und die Männer sahen aus wie Sau. Alle waren fix und fertig, aber glücklich. Neu tapeziert werden musste auch nicht. Darauf wurde natürlich erstmal noch ein weiteres verdientes Bier getrunken. Bloß die Oma, die war noch lange sauer…

7 thoughts on “Der Ochse muss an die Theke!

  1. Was für ein Bild! ich sehe vor meinem geistigen Auge die ganze Zeit den Ochsen vor der Theke liegen und eine Horde Männlein nervös um ihn herumspringen. Aber ich sag doch immer: Die besten Geschichten schreibt das Leben. 🙂

  2. ohauhauhauhau… auf die gleiche Weise – also mit Schmierseife – haben sie hier mal ein Elektronenmikroskop aus dem dritten Stock rausgeschoben. Das war aber nicht vorher betrunken gemacht worden…

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