Heute bin ich mal ernst.
Seit Jahren beobachte ich das schon: der Umgang der Leutchen miteinander wird irgend-
wie immer egaler. Und man hat immer bessere Ausreden dafür. Eine ganz beliebte Ausrede z.B. ist diese: „Ich sag’ immerhin ehrlich meine Meinung!“ Wahlweise auch: „Ich sag’s dir wenigstens offen ins Gesicht!“
Mit diesen Aussagen werden oft die reinsten seelischen Grausamkeiten abgeschlossen. Und der Angesprochene traut sich nicht mehr zu piepen, denn gegen Ehrlichkeit und Offenheit kann man ja nichts haben! Dass man vielleicht gerade mitgeteilt bekommen hat, dass man doof und hässlich ist und stinkt, scheint nur noch die Nebenbotschaft zu sein. Auch, dass der Liebste sich vielleicht ab sofort lieber einer Anderen zuwenden möchte, lässt sich doch viel besser verdauen, wenn man’s grob um die Ohren gehauen bekommt. Schließlich muss man sich doch die Wahr-
heit sagen! Offen und ehrlich!
Natürlich soll man das. Ich bin ja auch sowas von dafür. Aber man kann ja auch kurz mal vorher überlegen, was diese Wahrheit im Anderen anzurichten vermag. Egal, ob es eine große oder kleine Wahrheit ist. Und dann mal gucken, ob man sie wirklich schonungslos raushauen muss. Ich meine jetzt nicht, dass man etwas beschönigen oder weglassen soll. Aber wer dazu fähig ist, sollte zumindest kurz mal einen Perspektivwechsel simulie-
ren und sich vorstellen, wie er/sie sich selbst als Wahrheitsempfänger wohl fühlen würde.
Komischerweise bemühen sich nicht viele Leute um diese innere Vorarbeit und klotzen mal lieber gleich los. Haben die alle selber so ein dickes Fell? Also, eben keine Ahnung, wie man sich fühlt, wenn man fiese Brocken vor die Füße geschmissen kriegt? Denn meistens sind das doch Nachrichten, die ganz persönliche Dinge betreffen, die aufs Selbstbild zielen. Und da ist es eben nicht „sowieso schon egal“, wie man etwas sagt. Natürlich werden schlechte Nachrichten oder Anwürfe nicht besser davon, dass man sie freundlich vorträgt. Aber es gibt normalerweise auch keinen Grund, ihnen durch rüdes, unsensibles Verhalten noch größeres Gewicht zu geben.
„Ich bin ja wenigstens ehrlich!“ ist eins dieser beliebten Mundtotargumente. Also somit keins. Es soll den Empfänger der Botschaft stumm machen und auch das Gewissen des Senders. Aber das muss man ja auch erstmal wissen. Und nicht etwa den Totschläger auch noch für seine gute Tat loben.
Ein Hilfsmittel, das es meiner Meinung nach ermöglicht, die auch schlimmsten Wahrhei-
ten schonender zu transportieren, ist die Diplomatie. Verbunden mit dem schon beschrie-
benen Einfühlungsvermögen, genannt Empathie. Manche verstehen unter Diplomatie inzwischen vielleicht „jemanden geschickt übers Ohr hauen“. Aber eigentlich ist nichts anderes gemeint, als eben so zu vermitteln, dass möglichst wenig kaputt geht, ja vielleicht sogar beide Seiten einen Gewinn haben. Man kann damit tatsächlich fast alles verträglicher formulieren, ohne die Tatsachen zu verschwiemeln, das weiß ich aus Erfahrung (beider Seiten, übrigens). Und das ist gerade im Umgang mit Anderen wichtig. Die Mühe kann man sich doch ruhig machen, oder? Ich finde, ja. Ehrlich gesagt.