Führerschein (Teil 2)

Im Oktober suchte ich mir eine Fahrschule aus. Ich werde lieber nicht andeuten, welche.
Zuerst musste ich den 1. Hilfe-Kurs machen, in dem uns eine angehende Rettungsärztin eigentlich ständig versuchte, weiszumachen, dass wir das, was sie uns zeigt, bestimmt sowieso nie brauchen werden. Inwieweit das pädagogisch wertvoll war, möchte ich jetzt hier nicht bestimmen. Ich hörte trotzdem aufmerksam zu und empfehle Jedem, sich im Notfall lieber von mir retten zu lassen als von den anderen Kursteilnehmern.

Am 23. Oktober ging es dann mit der Theorie los. Mit mir waren da jede Menge junge Menschen türkischer Abstammung, die sich redlich mühten, sämtliche Klischees darzustellen, die einem zu türkischen Jugendlichen so einfallen wollen. Ein Jungitaliener war aber auch noch dabei, der war sogar noch wilder. Alle konnten prima sehr laut sprechen und Klingeltöne tauschen. Die Mädchen waren nur etwas dezenter als die Jungs, die angeblich schon lange mit Papas oder Bruders Auto herum fuhren. Natürlich hatten sie sich schon eigene BM*s bestellt und brauchten den Lappen nur noch der Form halber.

Das kann ja lustig werden, hoffte ich, und setzte mich trotzdem strebermäßig nach vorne. Schließlich wollte ich die Sache so schnell wie möglich durchziehen und noch vor Weihnachten in trockenen Tüchern haben.

Der Fahrlehrer, der uns die erste Theorie-Stunde erteilte, war so Anfang 30, trug schlimm ausgelatschte Schuhe und schien mir ein richtiger Weiberkönig zu sein. Er kam erstmal eine Viertelstunde zu spät und legte dafür aber gleich richtig los. Volle 10 Minuten lang sprach er über Sinn und Zweck des Fahrenlernens, die Eignung dazu und das nötige Verantwortungsbewusstsein. Dann schweifte er ab, ließ sich mit den Jungs auf lustiges Geplänkel ein und erzählte anschließend eine Stunde lang wildes Zeug aus der Zeit seines eigenen Führerscheinerwerbs und andere Heldengeschichten. Wie man Frauen klar macht, z.B. Vielleicht kann ich das ja noch mal brauchen… Zum Schluss gings noch mal kurz um Verantwortungsbewusstsein. Schien ihm ein wichtiges Thema.

Der andere Fahrlehrer (H.), der sich mit ihm für den Unterricht abwechselte, war dagegen ein bäriger Papatyp mit Bart und Strickpullover, der keine Mätzchen duldete. Ich wusste sofort: bei dem fährste! Außerdem hatte sein Handy „Take five“ als Klingelton, das kriegte ich zufällig mal mit, und das untermauerte die Entscheidung noch.

Nach zwei Wochen traute ich mich und hatte meine erst Fahrstunde.

Das Tolle, wenn man den Führerschein macht, ist ja, dass man plötzlich von allen Seiten die dollsten Geschichten dazu erzählt bekommt, inklusive denen über erste Unfälle. In diesem Fall waren diese Geschichten überwiegend mindestens 20 Jahre im Verklärungstank gewesen, da meine Freunde ja alle so in meinem Alter sind und ihre Führerscheine in den 80ern gemacht haben.

In der ersten Stunde wurde ich erstmal gefahren. Und zwar in ungefährliches Gelände, wo man als Anfänger nicht viel kaputt machen kann. Da musste ich dann hinter’s Steuer und kriegte erst mal die ganzen Klamotten da erklärt. Das gefiel mir gut. Dann sollte ich anlassen. Das gefiel mir nicht mehr so gut. Und schon rollte die Kiste und ich fuhr tatsächlich die Straße runter. „Isch fasset nit!“ und „Was mache ich hier eigentlich? Bin ich total durchgeknallt oder was!“, kriegte der arme H. zu hören. Wahrscheinlich auch seit 20 Jahren wieder und wieder. Daran musste ich immer denken: Wie oft der Mann dieses Kommen und Gehen und diesen Angstschweiß seiner Schüler schon erlebt hat.

Nach einer guten Stunde, in der eigentlich nicht viel passierte, als um-dem-Block-Fahren, ersehnte ich das Ende der Fahrstunde (Dauer: 90 Min.), weil ich meine Konzentration kaum noch aufrechterhalten konnte. Spaß hatte es mir irgendwie auch nicht gemacht.

Das hatte ich mir anders vorgestellt. Ich war immer der Meinung gewesen, dass ich bestimmt eine gute, lässige Fahrerin wäre, so theoretisch. Nun merkte ich, wie anstrengend ich das fand und ahnte, dass das kein Spaziergang würde. Hätte ich das Mistding doch schon mit 20 gemacht! Da hatte ich einfach noch nicht die Lebenserfahrung gehabt, die mir jetzt die Lockerheit verbaute. Auch in der zweiten Stunde wurde ich nicht lockerer, weil mir plötzlich auffiel, dass es eigentlich das reinste Wunder ist, dass nicht ständig alle Verkehrsteilnehmer in einem großen Klumpen zusammengeknüllt werden.

Auch H. merkte, dass ich womöglich ein schwieriger Fall werden könnte, weil ich nicht aufhörte, beim Fahren zu denken.

5 thoughts on “Führerschein (Teil 2)

  1. Ich hatte mir das „damals“ auch nicht so anstrengend vorgestellt. Ich hatte mich ja auch noch zu so einem Schnellkurs angemeldet und dachte, ich würde das locker packen. Das war so ziemlich die anstrengendste Zeit meines Lebens.

  2. Ja, im Notfall würde ich mich von dir retten lassen wollen, liebe Theobromina, schon allein, weil du so wundervoll selbstironisch von deiner Fahrschule und der Führerscheinprüfung erzählt hast. Ich habe beim Lesen oft schmunzeln müssen, obwohl ich doch eigentlich zum Schmunzeln in den Keller gehe. Doch eigentlich vertraue ich mich unbesehen deinen Rettungsfähigkeiten an, weil du die durchaus schwierige Situation zwischen dir und dem Fahrlehrer so pädagogisch geschickt gelöst hast. Dein Schokoladen-Belohnungs-System hat wunderbar geholfen.

    • Oh, lieber Trithemius, Du hast einen Schmunzelkeller? Das ist ja exklusiv! Wie der wohl aussieht…? Mir wäre so was ja zu weit weg, wo ich doch im 3. Stock residiere.

      Sag‘ mir doch dann Bescheid, wenn Du Rettungsbedarf hast, ja? Dann komme ich mit der Schokotalerkiste und lege Dir eine Kakao-Transfusion. Das hat noch immer geholfen. 😉

  3. ich hatte auch den aufreißertyp und den bärchentyp! hab‘ mich aber sensationsgeil für den aufreißer entschieden. fortan fuhr ich mit einer hand auf meinem rechten knie durch die stadt.
    ich hielt mich vor der ersten stunde für die straße geboren… weit gefehlt… ich habe auch geflucht, dass ich den zettel nicht mit 18 wie alle, sondern erst mit 40 gemacht habe.

    • Also, hätte mir einer die Hand auf’s Knie gelegt, hätte ich den mit der Handtasche verhauen („Flegel!“) und wäre keinen Schritt mehr gefahren. :))

      Ja, spät den Schein machen ist eigentlich nicht gut. Das Verantwortungsbewusstsein für sich und andere sitzt einem immerzu wie ein Kloß im Hals. 😉

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