Sam und ich und die Schützen

Heute in den frühen Morgenstunden bewegte ich mich quasi schrittweise durch den Halb-
schlaf. Schrittweise deswegen, weil ich immer wieder von diffusem Lärm geweckt wurde. Zwischendrin träumte ich in Etappen von einem unbekannten Anrufer, der mir erzählte, dass Sam Earlyman, inzwischen sehr alt und auch leider erblindet, sich meiner erinnert hätte, und er wolle mir etwas Wichtiges hinterlassen. Mir kam zwar der Name bekannt vor, aber ich kam nicht drauf, woher, was mich ganz verrückt machte. Der Anrufer sagte dann aber auch noch, dass der gute alte Sam schon ziemlich verwirrt sei, weswegen es sich bei der „wichtigen Hinterlassenschaft“ durchaus um eine Apfelsine oder sowas han-
deln könne.

Als ich endlich richtig wach wurde, konnte ich mir diesen Traum so gar nicht erklären, wusste aber immerhin, was mich da immer wieder geweckt hatte: Hier in Hannover findet nämlich seit vorgestern das „größte Schützenfest der Welt“ statt, und die Vereine gehen mit ihren Kapellen und Spielmannszügen los und sammeln noch mitten in der Nacht ihre Mitglieder ein, um dann ab vormittags am großen Schützenausmarsch teilzunehmen, der sich immer am ersten Sonntag stundenlang mit Radau durch die Innenstadt zieht. Offen-
bar wohnen in meinem Viertel einige Schützen, die aus dem Bett getrötet und gequerflötet werden mussten.

Jetzt muss ich zugeben, dass ich auch mal an so einem Ausmarsch teilgenommen habe, aber das ist schon 17 Jahre her und gilt somit auch nicht mehr richtig. Außerdem war das beruflich. Ich arbeitete damals gerade in der Markthalle, wo ich französische Feinkost verkaufte. Die Halle hatte in jenem Jahr 100-Jähriges und unser Chef bestand darauf, am Festzug teilzunehmen. Dazu ernannte er einfach eine Mitarbeiterin zur „Champagner-
königin“ und schnallte sie oben auf dem Firmenwagen fest, von wo sie dann stundenlang herunterwinken musste, die Arme.

Ich gehörte mit einigen Kollegen zum „Fußvolk“, unsere Aufgabe war es, den jubelnden Zuschauern in den Straßen unsere Strohhütchen entgegen zu schwenken und Becher-
chen mit Sekt zu verteilen. Aber denkste! Weder – noch… Soweit ich mich erinnere, schenkten wir uns hauptsächlich gegenseitig aus den dicken Pullen nach und für die Zuschauer blieb irgendwie weniger als gedacht. Zum Hütchenschwenken hatten wir jedenfalls keine Hände frei.

Wie wir dann auf dem Schützenplatz angekommen sind, weiß ich gar nicht mehr, aber existierten Fotos davon, wie wir dort versuchten, „Lüttje Lage“ zu trinken. „Lüttje Lagen“ sind eine regionale Spezialität, die sozusagen in Einzelteilen auf den Tresen kommt. Man bekommt ein kleines Glas mit Dunkelbier und ein noch kleineres mit Hochprozentigem. Dann nimmt man beide in die rechte Hand und kippt ganz vorsichtig so, dass zuerst der Schnappes in das Bier und anschließend das Schnapsbier in den Durstigen fließt. Diesen komplizierten Vorgang nennt man „Kaskadentrinken“, und dabei geht immer mal was da-
neben, deshalb ist auch immer ziemliches Hallo in der Bude. Wer mag, bekommt ein Papierlätzchen umgebunden, was besonders an den Schützen mit ihren reich bebam-
melten und dekorierten Fantasie-Uniformen ziemlich albern aussieht.

Eigentlich hätte ich nicht übel Lust, das mal wieder auszuprobieren! Na, nächste Woche bekomme ich lieben Besuch, den zerre ich dann einfach in so ein Festzelt und nötige ihn, mit mir Lagen zu verschnabulieren. Belibt nur zu hoffen, dass er mich auch rechtzeitig wieder hinaus geleitet, bevor ich da womöglich anfange, die „Internationale“ zu singen oder den DJ frage, ob er nicht mal Led Zeppelin auflegen kann.

Eventuell wäre es hilfreich, vorher ein paar Futterbuden abzuklappern, was für mich ja der eigentliche Grund für den Besuch eines Rummels ist. – Waffelbruch! – Gebackener Blu-
menkohl! – Erdbeeren in Schokolade! – Pommes! Ach so, und freitags Feuerwerk.

Heute jedoch zieht es mich woanders hin: Auf dem Lindener Berg findet gleich ein lustig-
es Seifenkistenrennen statt, bei dem sich ein guter Bekannter von mir in einer alten, aber frisch aufgemotzten Kiste den Berg hinunterstürzen wird. Ich werde versuchen, halbwegs anständige Fotos davon zu machen. Beim letzten Mal waren nur bunte Streifen auf den Bildern und ich musste dann immer erklären, was das sein soll…

– Ach, und übrigens habe ich diesen Text zweimal geschrieben, weil mir vorhin der alte Monitor meines PCs endgültig abgeraucht ist, als ich gerade mit der ersten Fassung fertig war. Aber zum Glück habe ich ja noch meinen Laptop, auf dem ich noch mal alles neu schreiben konnte. Und ich weiß jetzt natürlich auch, wer der „alte, erblindete Sam Early-
man“ ist. Ich wusste nur nicht, dass ich meinem Monitor mal irgendwann einen Namen gegeben hatte.

Nun bin ich eigentlich nur noch neugierig, wo er denn die Apfelsine für mich deponiert hat.

4 thoughts on “Sam und ich und die Schützen

  1. Die Fressalien sind doch auch das Schönste auf so einem Fest.
    Das gibst an anderen Tagen halt nicht und frau kann sich von Bude zu Bude durch(fr)essen.
    Auf die Fotos vom Seifenkistenrennen freu ich mich schon.
    Is sicher lustig.

  2. Die Königsdisziplin ist natürlich, wenn man mehr als ein Schnappesglas über der Lütjen Lage deponiert… bei so einem Versuch hat mich ein befreundeter Raucher mal fast abgefackelt :))

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