Ostern in südwestlicher Richtung

Ehrlich gesagt, ist mir gerade gar nicht so nach Schreiben, weil mein Kopf ganz voll ist mit noch ungedachtem, aber eigentlich dringend mal gründlich zu denkendem Zeug. Das rümpelt mir das Oberstübchen ein bisschen voll und ich hab‘ dieser Tage zu wenig Zeit, da mal ordnend zu Stapeln. Und Ostern ist ja nun auch schon wieder eine Woche her, aber ich wollte trotzdem eben noch ein bisschen von meiner Reise erzählen. Das kann ich ei-
gentlich auch ruhig noch machen, weil ja gar nicht so viel mit Ostern drin vorkommt. Und die Vorgeschichte mit dem missglückten Fahrkartenkauf hatten wir ja sogar schon… 

Ich fahre ganz gern mit der Bahn, auch vor dem Umsteigen habe ich inzwischen keinen Bammel mehr. Wenn die Züge so halbwegs pünktlich sind, ist das ja auch gar nicht so schwer und verwirrend, wie man sich das vorher immer ausmalt. Als ich diesmal in Han-
nover am Bahnsteig stand und auf meinen Zug wartete, stand eine Frau in meiner Nähe, die mit weit aufgerissenen Augen und Hilfe suchend um sich blickte. Als sie merkte, dass ich in ihre Richtung schaute, sprach sie mich an: Ob sie denn hier richtig sei, sie wolle da und da hin… Der Zug würde doch unterwegs geteilt, und sie habe Angst, aus Versehen in das falsche Ende einzusteigen. Die Lautsprecherdurchsagen dazu würden sie eher verwir-
ren. Genauso ging es mir auch vor nicht allzu vielen Monaten, aber weil ich inzwischen schon gelassener bin, konnte ich sie beruhigen, sie stehe hier ganz prima und goldrichtig und ihr Waggon 11 würde auch hier ungefähr zum Stehen kommen und so weiter. Danach sah ich sie nicht mehr, denn ich musste zwei Wagen davor einsteigen, aber bestimmt ist sie gut angekommen und vielleicht beim nächsten Mal auch schon etwas weniger nervös.

Zug

Mir wird ja immer wieder nahe gelegt, während der Fahrt doch aus dem Fenster zu schau-
en, aber das tue ich eher selten, höchstens vor und nach Bahnhöfen. Ich mag diese olle, schruddelige Atmosphäre um Bahnhöfe herum, das ganze rostige Zeug, das da oft so vergessen im Gestrüpp herumliegt. Natürlich schau ich mir manchmal auch die Land-
schaft an, aber dabei denke ich an ganz andere Sachen, deshalb vergesse ich das, was ich sehe, gleich wieder. Meistens lese ich oder begucke meine Umgebung im Waggon, die Mitreisenden, höre heimlich ihren Gesprächen zu, ab und an mache ich mir Notizen.

RaucherfleckenDiesmal habe ich mich zum Beispiel gefragt, wie ungeschickt man sich als Raucher eigent-
lich anstellen muss, damit der Sitz hinterher so aussieht. Und wie ich wohl reagieren wür-
de, wenn vielleicht plötzlich jemand neben mir (womöglich an mehreren Stellen gleichzeitig) anfangen würde, zu brennen. Nur weil er zu doof zum Schmeuken ist. Wahrscheinlich würde ich ihn spontan mit knallheißem Tee aus meiner kleinen Thermoskanne löschen. Und das würde uns beiden wohl nicht gefallen, denn ich hätte danach schon mal nix mehr zum Trinken. Allein deshalb bin ich auch ganz froh, dass das Rauchen in den Zügen jetzt nicht mehr erlaubt ist.

Meine Güte, das hier ist ja jetzt schon ein halber Roman, dabei ist meine Erzählung doch noch nicht mal am Zielort der Reise angekommen! So geht das aber nicht. Deshalb behal-
te ich jetzt frech das freudige Ankommen und sogar auch den Rest des verschnäbelten Ankommenssamstags für mich.

Am Sonntag also, nach dem Osterfrühstück, bekam ich ordentlich viel eiförmige, leckere Schokolade geschenkt. Angeblich von einem Hasen, in Wirklichkeit aber wohl von einer Zimmerpflanze. Ich kann mich natürlich täuschen, aber die Fakten sprechen alle dafür. Und weil nun Ostern war, und man zu Ostern traditionell spazieren geht, ging es dann an eine Bushaltestelle, dann in einen Bus, und mit dem Bus ein Stückchen raus aus der Stadt, und dann sogar raus aus dem Bus.

Und da standen wir. In einem ruhigen Wohnviertel vor einem kleinen Berg. Aber das war ganz richtig so, denn auf diesen Berg wollten wir ja rauf, weil dort ein spezieller Punkt liegt. Es war kalt, aber die Sonne schien schön, und durch einen besonderen Umstand ging ich nicht nur bergan, also so wie mein gastgebender Begleiter und alle anderen hier, sondern auch gleichzeitig (oder vielleicht zusätzlich?) seitlich an einem kleinen, unsicht-
baren, quasi selbstverschuldeten, Berghang entlang.

Ich hatte nämlich am Samstag in der Losreiseeile nur eine meiner Schuh-Einlagen in die Stiefel getan, und zwar die linke. Immerhin aber schon mal passend in den linken Stiefel… Dabei hatte ich hier doch neulich gerade noch über meine Schuheinlagen geschrieben, darüber, dass ich die manchmal ganz schön kompliziert finde. Jedenfalls war ich noch ein bisschen schräger als sonst unterwegs, konnte mich aber zum Glück bequem bei mei-
nem lieben Gefährten einhaken, und brauchte so wenigstens keine Angst zu haben, vielleicht in einer scharfen Kurve plötzlich umzufallen oder sowas.

topografische_KarteIm Spazieren kamen wir an einer Landkarte vorbei, die ich zunächst für topografisch hielt, bei näherem Hinsehen stellte sich aber her-
aus, dass wohl bloß der olle Kartenherbergs-
kasten nicht ganz dicht war. Eventuell war es auch ein Vorschlag, wie man die Landschaft in Kürze gestalten könnte. Hier was weg und da was hin…

Vielleicht handelte es sich aber auch um eine neue Art von Seersucker-Karte. Könnte ja sein. Kochwäsche und bügelfrei.

Oben auf dem Berg angekommen, setzten wir uns in die Sonne und beguckten uns die ganzen Touristen, die da hin- und herliefen, uns zurückbeguckten und sich aufgeregt ge-
genseitig fotografierten. Niederländer, Belgier, Deutsche. Wir waren nämlich am Dreilän-
derpunkt, wo sich eben diese drei Länder treffen. Und auch alle Hundehalter der Gegend. Den Hunden war diese ganze Länderei bestimmt schnuppe, die markierten sich sicherlich sowieso alle paar Meter gegenseitig über.

gut_sitzende_klamotten_im_sIm Souvenirshop der Niederländer gab es den Postkarten- und  Schlüsselan-
hängertinnef, den es immer überall gibt. Man müsste vielleicht mal eine Sammlung aufmachen mit Schlüssel-
anhängern, die alle gleich aussehen, aber dann eben regionale Aufdrucke haben.

Wozu braucht mein Schlüsselbund denn so ein Gebimsel, auf dem mei-
netwegen sagenwirmal „Nederlands“ draufsteht? Ich wohn‘ da doch gar nicht! Und wenn ich den Schlüssel dann mal verliere, kann ich noch nicht mal darauf hoffen, dass im richtigen Land nach der Besitzerin gesucht wird.

Das bleibt also unklar.

Gelernt habe ich aber doch was in dem Laden: Dass es unheimlich wichtig ist, dass die Klamotten gut sitzen, – auch im Stehen.

Bei den Belgiern drüben (ca. 100m weiter) wollte ich dann was Süßes und bestellte im Cafè eine Appeltart mit Sahne und eine Schokomilch. Mein Begleiter bestellte ebenfalls Appeltart. Als unsere Tarts kamen, war aber keine Sahne drauf. Wahrscheinlich, weil die auch nicht mehr auf die kleinen Untertassen gepasst hätte. Dafür war die Gabel so fest in den Kuchen gerammt, dass ich sie mit beiden Händen herausziehen musste. Die Tart wäre also was für ollen Artus gewesen, s
chmeckte mir aber gut.

appeltart

Dem Begleiter hingegen fiel plötzlich ein, dass er eigentlich und sowieso vielviel lieber Pommes gehabt hätte und er guckte immer zum Nebentisch rüber, wo ein stilles Pärchen vor zwei riesigen Tellern mit Pommes saß. Das Mädchen nagte ein bisschen lustlos an ihrer Portion herum und ließ dann fast alles stehen. Ich musste an Freundin T. denken, die jetzt vielleicht eventuell gefragt hätte: „Isst Du das gar nicht mehr?!?“, aber so  was würde mein überaus wohlerzogener Begleiter natürlich niemals tun.

Also saßen wir da, schauten aus dem Fenster und lauschten der Musik. Schon komisch, da sitzt man genau zwischen Belgien, Niederlanden und Deutschland, und was läuft für Musik? Zucchero! Italienischer Schlimmpop. Den mag ich schon nicht, wenn ich nur in einem Land bin. Ich versuchte aber, mich zu freuen, dass es wenigstens nicht der andere war, dieser Polypenmann. Der, der angeblich so sexy sein soll. Vielleicht ist er das immer nur, wenn ich grade nicht hingucke. Die Stimme von dem mag ich jedenfalls noch viel we-
niger. So gesehen, hatten wir natürlich richtig Glück.

Laternenmutter

 

 

 

 

 

 

In diesem Wissen, zudem angenehm müde, doch weiterhin gut gelaunt, wanderten wir irgendwann zurück zur Bushaltestelle, wo es dann doch noch ein kleines bisschen religiös wurde, denn wir trafen dort noch Maria, die ganz versonnen in Richtung einer dreifaltigen Laterne blickte, die sie und das Jesukind wahrscheinlich an jedem Abend auf’s Neue erleuchtet…

17 thoughts on “Ostern in südwestlicher Richtung

  1. Schöner Eitrag, Text und Bild!
    Im Zug kann man lesen oder schlafen.
    Ich habe wieder gelernt, aus dem Fenster zu schauen, wie die Kinder. Ich erzähle mir Geschichten, suche Tiere, gebe den Häusern Noten, usw.

    poc

    • Das mit dem Schlafen wird mir auch immer mal geraten. Ich habe aber Angst, dann meinen Bahnhof zu verpassen und vielleicht erst in Berlin wach zu werden. Oder, dass mein Kopf womöglich auf die Schulter des Nachbarn sackt… 😉

  2. ich war grad im dreiländereck, und war eigentlich noch nie da. 🙂
    vielen dank, liebe theobahnina, dass wir die reise auf der lauschschulter sitzend, mitmachen durften.

    denn nun weiss ich auch von deinem königlichen geblüht, denn es war dir offensichtlich vergönnt, die gabel „excalikuch“ aus süssem stück zu ziehen…

    … oh, es ist so lang her, dass mich ein monotones rumpeln (den ungenauschwellenlegern sei es gedankt) in weite, in ferne trug. ich werde den tankdeckel meines gefährts daheim verschweissen, ich denke, dies wird ein guter anfang sein, auf meiner langen reise bis zur nächsten bahnfahrt….

    viele grüsse und einen schönen abend, im sicher nun neu und strahlend scheinenden refugium.

    die fahrkarten bitte, jenne 😉

    • Ja, lieber Jenne, ich hab‘ eben Zucker im kuchiglichen Blut, das gibt Kraft inne Arme! :))

      Kraft, die ich zurzeit zum Renovieren nutze (gleich geht’s wieder los). Übrigens nicht im eigenen Palast, sondern bei Freunden, die demnächst umziehen werden in diese bald wie neu blinkenden Hallen.

      Danke Dir für’s Mitfahren und hellgrüngestrichene Grüße, Theobromina

      • so bist du auch noch eine freundesheldin, liebe theohelfina!

        und sicher wissen sie es auch zu schätzen und wenn dir der sinn nach eigenen häuslichen farbtupfern ist und werden tatkräftig unterstützend deine träume in die realität rücken. ich mag diese funktionierenden, helferkreise, stecke selbst in einigen, das besonderes schöne und wichtige daran, man setzt nie gegenleistung voraus, denn irgendwann im leben kann man auch sie gebrauchen und sie sind dann da….

        ich mochte dies gern in den alten sagen und märchen lesen… jemand erschien in deiner grössten not, als es vermeintlich keinen ausweg gab und sagte, so hier bin ich, du hast mir doch auch schon geholfen, nur, du hast es vergessen…. das schöne dran, es ist nie ein muss, und gerade deshalb fühlt sich so eine freiwilligkeit des handeln zur rechten zeit dann sehr schön an.

        viele hellgrün getünchte grüsse und respektvolles fleiss-schulterklopfen, jenne 🙂

        • Na, – Heldin? :)) Ich weiß nicht… Wenn ich mich abends nach hause schleppe, fühl‘ ich mich nicht sehr heldisch, bloß feddisch.

          Aber Du hast völlig Recht, so funktioniert die Welt auch für mich. Ich helf‘ Dir, Dir hilfst mir. Oder eben irgendwann irgendeinem anderen, der Hilfe braucht, der dann wieder einem anderen, usw. Und irgendwann kommt’s doch wieder hier an oder eben nicht. Irgendwo kommt’s schon an. Energie muss eben fließen…

          Guck‘ mal: Dein Schulterklopfen erzeugt Staubwolken 🙂
          Und los geht’s wieder, den Spachtel geschultert…

          LG; Theobrotapetenlöserin

          • hust, hust…wo bist´n hin, ach da bist du ja! ein feiner, des staubes nebel ist dies! ich werde ihn flink mal aufsammeln, eintüten – eh er sich wieder setzt….

            …. und wenn genug da ist, mit etwas wasser rühr ich davon einen feinen brei, zu formen die theobrominenhelfersculptur, kein denkmal für sockelhelden, nein, dies ist dann die theo aus dem stoff, aus dem sie gemacht: aus ihrem staub des fleisses, unscheinbar und dennoch gross 🙂

            gutes voranschreiten wünsche ich dir, ein paar meiner „lieblinge“ habe ich gerade verabschiedet, getragen durch hagel und schnee. denn morgen reisen die bilder zur partnerstadt in frankreich, mal sehen, wo diese reise wieder hinführt, ich wäre gern heimlich mitgefahren, ungerahmt und mit sooooolch grossen ohren…

            doch nun beleben der sonne strahlen diamantene fenstertropfen mit ihrem spiel…

            viele grüsse und einen wundervoll spürbaren tag wünsch ich dir.

            jenne

          • Na, lieber Jenne, wenn ich das doch nur früher gewusst hätte! Dann hätte ich doch ein paar Kilo des guten Staubes aufbewahrt und zu Dir geschickt… 😉 Eine feine, mobile Theobrominenkunst würde sich hier ausnehmend gut machen.

            Und Deine Bilder verreisen einfach so ohne Dich „á la France“? Hoffentlich schicken sie Dir wenigstens eine hübsche Karte!

            Ich schick‘ Dir schon mal einen lieben Gruß.
            – die Theo

          • oh, mercy, liebe theoheutmalohnezusatzálajenne 😉

            da sende ich natürlich gern einen lieben gruss meinerseits zu dir!

            … ich hoffe, den bíldern geht es gut und sie sind fein umsorgt, es sind ja auch immer irgendwie meine kinder, hmmm…
            …und an frankreich dachte ich grad tatsächlich, grüss daher auch die zufallfee recht lieb von mir, so du ihr über die lebenslinie streifest!

            dasjenne

  3. “ … weil mein Kopf ganz voll ist mit noch ungedachtem, aber eigentlich dringend mal gründlich zu denkendem Zeug. „

    Denn das Denken der Gedanken ist gedankenloses Denken.

    Nachfrage: wie bemerkst du ungedachtes Zeuch in deinem Kopp ?

    • Das merke ich daran, dass ich um bestimmte Gedanken noch herumschleiche. Das ist, wie wenn man Zahnweh kriegt, dann tastet man ja auch immer mit der Zunge danach. So ungefähr jedenfalls…

  4. Schräg unterwegs sein

    Ja das trifft es.
    Gibs zu! Das war dein ganz persönlicher Bußakt für Ostern.
    Richtig gut getarnt. Respekt.
    Und da ja geteiltes Leid besser ist hast du dich nebenbei ganz lieb blickend bei deinem wohlerzogenen Begleiter eingehakt und ihn die Hälfe der Buße schleppen lassen.

    Und Abends hast du dir dann bei der dreifaltigen Laterne die Absolution von Maria und dem Jesuskind geholt.

    Ja Schokoladinchen, das ist wirklich schräg

    • Buße?!?

      Liebe Julischka, ich bin doch protestantisch (wenn überhaupt irgendwas), da wird nicht gebüßt… Da ist nix mit Beichten und Vergeben und so. Wir müssen unsere Verfehlungen ausbaden, bis wir selber meinen, dass es gut ist. Und als ich wieder zuhause war, fand ich es gut, als ich meine zweite Einlage wieder hatte. :)) Und mein Begleiter war ja gar nicht mal unfroh über das Einhaken (das hab‘ ich ganz deutlich gesehen, als ich mal genau hingeguckt habe).

      Ganz lieben Gruß vonner Kakaopflanze! 😉

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