Laaaahaaangweiliger Lanzenbruch für Hannover.

(Erstveröffentlichung: 15. Mai 2007)

Hannover ist gar nicht so doof. Ich weiß, dass Viele das glauben, aber die sind vielleicht selber doof oder wahrscheinlich noch nie hier gewesen. Oder nur zur Messe vielleicht. Grundsätzlich finde ich Städtebashing sowieso sinnlos.

Ich wohn‘ echt gerne hier, besonders in meinem Stadtteil: Linden. Genauer: Linden-Süd. Noch genauer: sachichnich. Wird auch schon mal Spanisches Viertel genannt, weil hier ein spanisches oder portugiesisches Lokal neben dem anderen ist. Überhaupt wildes Durcheinander von Sprachen und Mentalitäten. (Kann mir jemand sagen, warum türkische Jungs soviel rotzen müssen? Regen Köfte den Speichelfluss so sehr an?) Man sieht hier auch jeden Tag ältere türkische Herren, die ganz zusammengeknüllt wie gegen einen imaginären Sturm antretend Rad fahren. Wenn sie noch langsamer fahren, fallen sie um. Die finde ich putzig.

Hier gibt’s außerdem noch: Nordafrikaner, Iraner, Japaner, Deutsche, Russen, Koreaner (bei Bedarf bitte ?Innen anhängen; – außer bei „Deutsche“). Idylle isses deswegen nicht, aber hier gibt’s weniger Stress als in dem „Gehobene-Mittelklasse-Stattteil“, in dem ich früher wohnte.

Und durch Linden fliesst außerdem die Ihme (eine kleine Schwester der Leine), an deren Gestaden es sich vortrefflich Bier und/oder Wein trinken lässt. Vorvorletzte Woche erlang- te diese Region kurz mal Berühmtheit durch eine hochschwangere Kuh namens Uschi, die ihrem Bauern ausgebüxt war und auf ihrer Flucht 2 Streifenwagen, 1 Bulli, mehrere Fahrräder und anderen Kleinkram demolierte. War in allen Nachrichtensendungen. Und jetzt kommt’s: Ich saß mit Freundin T. grade im Biergarten, als Uschi vorbei rannte!

Ich (T. unterbrechend): „Da ist grade ’ne dicke Kuh vorbei gerannt.“

T: „?????…!?!?“

Und dann kam schon die Meute: Pullezei, Feuerwehr, TV & Presse und Abenteuersucher. Hinterher: Der Bauer auf’m Fahrrad, total aus der Puste.

Also, da soll mal keiner sagen, hier wär nix los!

Nee, Hannover ist wirklich schön, total grün und mit viel Wasser und so. Und was die Kul- tur angeht, fühle ich mich gut versorgt: Gute phantasie- und liebevoll gemachte Clubs, Poetry Slams, dufte Kunstmuseen, nette Bühnen. Und so tolle Veranstaltungen wie: Feu-
erwerkswettbewerb, Chaostage (naja, früher), Seifenkistenrennen, Gemüseschlacht (bei der sich zwei Stadtteile mit doll angeranztem Obst + Gemüse beschmeißen), Open-Air-
Klassik-Picknick (wo Punks und Etepetetes nebeneinander auf der Wiese liegen, mit Dosenbier und Schampus), Fährmannsfest usw.

Man darf halt nicht in die Altstadt gehen; die ist wie alle Altstädte: Dumpf und schnurrbär-
tig. Auch die Innenstadt ist nicht besonders. Aber sehr ordentlich. (Mir egal, Hauptsache, wir haben jetzt eine Leysieffer-Filiale!)

O.K., das mit der EXPO damals hier hätte wirklich auch nicht sein müssen. Alle, die ich kenne, waren auch mächtig dagegen, hat aber nix genutzt. Ich bin dann doch mal gucken gegangen, und war auch nur mäßig begeistert. Jetzt mickert das Gelände so vor sich hin. Alle halbe Jahre steht dann wieder in der Zeitung, mit welcher Maßnahme man als nächs- tes vorhat, diesem Windspielplatz Leben einzubläuen. Der Herr „Horny“ Mousse T. hat da wohl schon länger sein Studio und, ehrlich gesagt, ist mir das total wurst.

Hier sind ja sowieso die falschen Leute prominent.
Ich mein‘: Scorpions! Fury in the Slaughterhouse! H.R. Kunze! *hust*

Von Herrn Schröder fange ich jetzt mal gar nicht großartig an. Nur, dass ich dem in mei-
ner Aushilfs-Kellnerinnenzeit mal Spaghetti serviert habe. Und was soll ich sagen: Der war ganz normal nett. Im Gegensatz übrigens zu Herrn Trittin, dem ich mehrfach Champagner ausschenkte, dessen Order ich jedes Mal als herablassend-arrogant empfand. Das war Anfang der 90er, als beide noch Minister hier waren.

Auf dem EXPO-Gelände ist seit einem guten halben Jahr aber nun auch eine dicke große IK*A-Filiale! Und das ist für mich dann schon eher ein Grund, da mal hin zu fahren. So wie neulich, als ich mit Bus und Bahn hinfuhr („Ich brauch‘ ja nur die zwei Sachen.“) und auf dem Rückweg natürlich das Problem hatte, mit einem Rucksack, einer Riesenpapiertüte, einem kleinen Tischchen und einem recht großen Spiegel auch wieder auf demselben Weg zurück zu müssen (2x umsteigen!).

Dazu muss man wissen, dass es für die Strecke zum Messegelände besondere, neue Bahnen gibt, auf die die Stadt sehr stolz ist. So genannte „Silberpfeile“. Die sehen auch richtig schnittig aus und haben einen duften Bonus: Ihr Bremssystem ist so knackig, dass bei jedem Bremsvorgang sämtliche Mitfahrende in immer neue Kombinationen zusammen geschüttelt werden. Das ist auf dem Hinweg noch komisch, auf dem Rückweg ist es film- reif. Ich möchte nicht wissen, wie viele Mitfahrer mich jetzt auf ihrem Fotohandy haben. Wahrscheinlich läuft der Clip im Netz in heavy rotation.

Eine Zeitlang war es auch unter Hannoveranern schick, Hannover langweilig und doof zu finden. Man schämte sich aus so einer Loser-Stadt zu kommen und entschuldigte sich woanders ständig dafür. Ich finde Hannover ist eigentlich ganz adrett, und in Linden ist es sogar richtig fein. Ich möchte fast nie mehr woanders wohnen.

Vor meinem Haus ist z.B. ein Spielplatz. Die kleinen Halunken dort lassen echt keine Gelegenheit aus, sich gegenseitig zu triezen. Nachdem sich zwei Jungs minutenlang wechselseitig wütend angebölkt hatten, wobei der Kleinere den Kürzeren zog, weil er nicht so viele schlimme Wörter kannte, entstand eine kleine Pause. Der Lütte dachte wohl fie- berhaft nach, wie er den Brüllstreit doch noch gewinnen könnte und was wohl das Aller- allerschlimmste sei, was man jemandem entgegenschleudern könnte. Bestimmt überlegte er, was denn bei den Eltern absolute No-go-Themen waren, holte noch mal ordentlich Luft und schrie:

„Du, du… Du sexueller Nazi!!!

Gewonnen.

50 thoughts on “Laaaahaaangweiliger Lanzenbruch für Hannover.

  1. Grundsätzlich finde ich Städtebashing sowieso sinnlos.

    Also, derartige Forderungen bleiben in Köln & Düsseldorf, Mainz & Wiesbaden oder auch Worms, Trier & Mainz wohl eher ungehört 🙂

  2. Hab ich jetzt was verpasst? Wo sind die Deutschinnen,, oder hab ich was überlesen? Und ich sag dir ehrlich, Städte wo man die Schwester an der Leine führt find ich gut! :>>

    (ich glaub ich hab zuviel MediNait erwischt…
    Sexueller Nazi, hihi… der kleine hatte bestimmt den BILD-Blog Schlagzeil-O-Mat entdeckt!)

    • Mensch CC, komm‘ Du mal aus Hannover… Dann musste Dir Dein Leben lang Leinenwitze anhören. 😉

      Deutschinnen wohnen hier nicht. Dafür haben wir hier extra so’ne Umweltzone. Da dürfen nur Hannoveranerinnen rein!

  3. Komisch, an das Meiste des Textes konnte ich mich wieder erinnern, nur ausgerechnet Deine Uschi-Sichtung habe ich als Kuhfan verdrängt. Da war vermutlich der Neid am Werk. :))

  4. Pah, ich komm‘ aus Darmstadt. Was soll ich dazu sagen…wir hamm‘ noch nich mal ’nen Fluss geschweige denn ’ne Messe. Und Kühe laufen hier auch keine frei rum. Lustige Beleidigungen können wir aber auch. Ich wohn‘ ja in dem Stadtteil kurz vor dem schlimmen Stadtteil und da erlebt man in der Straßenbahn auch so einiges. Wenn sich eine junge Dame lautstark am Handy über ihren designierten Ex und dessen Sexualgewohnheiten auslässt, kann Cindy aus Marzahn einpacken. Dass die anderen Fahrgäste nicht spontan Geld gesammelt haben um den Auftritt zu honorieren war alles.

      • Lieber nicht, das war auch so ’ne Fremdschäm-Situation.
        Aber vielleicht mach ich dir mal ne Skizze 😉

        Aber es ist schon sehr lustig auf dieser Straßenbahnstrecke. Ich nenn‘ sie gerne auch den „Klingeltonexpress“: „Hey Aldä, hassu schon mein‘ korrekte neue Klingelton gehört, kommt voll fett. Hörstdu:“

        Düdeldüdüdelbrummmmmmrommpommpomm…

        Bildungsfreie Zone.

          • Hmmmmmm… echt? Stehst du auf Skizzen?

            Na ja, nach dem mein Kollege heute vorgeschlagen hat, wir sollten Fetisch-Teddys entwerfen…
            😉

          • Naja, was heißt „stehen“. Ich weiß ja, wie Du zeichnen kannst.

            Fetisch-Teddys? Gibt’s die nicht schon längst? Ich meine, sowas schon gesehen zu haben. Die sind nicht jugendfrei. 😉

  5. Wer nach diesem Loblied auf Hannover noch etwas gegen dieses offenbar alle Sympathiegrenzen sprengende Städtchen sagt, ist ein sexueller Nazi bzw eine sexuelle Nazisse! Ich überlege jedenfals ernsthaft den sofortigen Umzug.

    • Achottachottachott! Was wird die prinzliche Gemahlin nur dazu sagen! ;D

      Weißte, ich hab‘ ja früher manchmal nach Berlin geschielt, weil’s Väterchen und viele Freunde dort weilen, aber irgendwann hab‘ ich gemerkt, dass Hannover genau richtig für mich ist. Ich war echt überrascht, sowas wie heimatliche Gefühle zu haben, fand’s dann aber schön.

    • Ja, unser Staub ist eben der feinste! :>>
      Na, zum Glück ist das ein paar Straßen von mir weg und ich hoffe, dass davon auf meiner Seite nicht mehr so viel ankommt. Bei mir kommen eher die Fußballfans an, die zum Stadion wollen, und da kann von „fein“ eher nicht mehr gesprochen werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Optionally add an image (JPEG only)