Theobrominenvormittag (ganz normal)

Als ich neulich aufwachte, lag ich tatsächlich diagonal, ja fast quer im Bett, das passiert mir sonst nie. Sonst liege ich immer schön parallel zur Bettkante, wie mit’m Lineal gezogen (nee, ehrlich gesagt, stimmt das eigentlich gar nicht). „Na“, dachte ich, „das geht ja schon mal ein bisschen schräg los, heute.“

Ein bisschen später fiel mir auf, dass ich ja noch ganz schnell meine Steuererklärung machen musste! Ich hatte gemeint, noch ein paar Tage Zeit zu haben, bis ich ganz zufällig noch mal auf das Erinnerungsschreiben des Finanzamts guckte. Das Ausdrucken der Steuerformulare dauerte fast ewig, weil man die Winzbuchstaben darauf nur lesen kann, wenn man das Zeug in Superqualität druckt. Beinahe wäre schon wieder die nächste Steuererklärung fällig gewesen… Zum Glück ging das Formulare ausfüllen doch um einiges schneller. Munter kreuzte ich an, trug überall Nullen ein, oder ähnlich niedrige Beträge, und unterschrieb schwungvoll. Und weil ich sowieso zum Einkaufen radeln wollte, tütete ich alles ein, ums unterwegs in den Briefkasten zu schmeißen.

Dann quetschte ich den Rucksack voll mit leeren Petflaschen, klemmte mir noch einige davon unter den Arm, nahm die Mülltüte aus dem Eimer, holte den Brief aus dem Wohnzimmer, klemmte ihn zwischen die Lippen, fand meine Jeansjacke im Wohnzimmer liegen, nahm sie gleich mit in den Flur, wo ich sie im Vorbeigehen aufhängen wollte, dann fiel mir ein, dass ich vielleicht das Handy mitnehmen sollte, also rannte ich noch mal in die Küche ums zu holen und zurück, und dann endlich fiel die Tür hinter mir ins Schloss. Erst unten im ersten Stock merkte ich, dass ich die Jeansjacke blöderweise mitgenom-
men hatte, statt sie an die Garderobe zu hängen. Also ging ich tatsächlich noch mal zurück. Tür auf, Jeansjacke in den Flur gefeuert, Tür wieder zu.

Unten im Hof traf ich auf die Nachbarin, die über mir wohnt. Gute Gelegenheit, sie mal anzusprechen! Sie ist nämlich sehr laut und neulich musste ich doch wirklich und tat-
sächlich mal mit einem Besenstiel an die Decke bumpern, was überhaupt nicht meine Art ist, weil sie abends gegen zwölf noch Regale montiert hat, mit Getöse! Dass ihr Akku-
schrauber etwas schwach auf der Brust war, bekam ich auch gleich mit, denn der schien immer wieder aus dem kleinen Kreuzchenloch der Schraube zu springen und hoppelte dann so, dass ich es unten gut hören konnte. Außerdem ließ sie immer wieder Teile (Schraubenzieher) fallen, bzw. lösten sich welche (Regalbretter), die dann knapp über mir auf dem Boden auf-, ach was, einschlugen. Fast wäre ich hochgegangen, um ihr das Mistteil mal eben selber zusammenzuschrauben. („So! Bidde sehr! Geht doch! Schüss!!!“) Ich konnte mich aber gerade noch so zusammenreißen. Ich war ja auch bettfertig, quasi in Pyjamajacke, wenn ich da schon eine gehabt hätte.

Also redete ich sie nun im Hof von der Seite an und es entwickelte sich ein durchaus nettes Gespräch. Es stellte sich heraus, dass sie gar keine Ahnung hatte, wie laut sie manchmal wird und dass das Haus überhaupt so hellhörig ist. Sie wohnt ja ganz oben, da kriegt sie das nicht so mit. Am besten war, als ich ihr sagte, dass ich weiß, dass ihr Handy mit der Titelmelodie der „Simpsons“ klingelt und dass ich mal fast vor Schreck aus dem Sessel gekippt wäre, als sie es auf Vibrationalarm gestellt und dann auf ihrem Laminatboden abgelegt hatte, wo es natürlich auch prompt loswuchtbrummte.

Da war sie baff und ich schob gleich hinterher, dass sie tagsüber ja nun meinetwegen machen kann, was sie will. Meinetwegen kann sie Reitturniere da oben ausrichten oder Square Dance-Nachmittage, aber gegen zehn hätte ich eben gern meine Ruhe, weil ich da schon mal so durchgedrehte Sachen mache wie lesen und später einschlafen.
So’ne Ausgeflippte bin ich!

Die Nachbarin war aber ganz lieb und einsichtig und grinste, weil ich sie so freundlich angesprochen hatte, und da war ich richtig froh, dass wir uns begegnet waren. (Übrigens ist das auch die Nachbarin, die nächtens Bettkastenkonzerte veranstaltet, aber dazu sagte ich nichts und hoffte, dass sie diese Querverbindung auch ohne meine Hilfe zöge.) Als sie weg war, schloss ich den Fahrradschuppen auf und fing an, meinen Krempel ins Fahrradkörbchen zu packen. Dabei fiel mir auf, dass ich immer noch den ollen Müllbeutel dabei hatte! Deswegen hatte die Nachbarin vielleicht so ein bisschen vergnügt geguckt.
Dicken Rucksack, angeknüdelte Flaschen unterm Arm, Briefumschlag im Gesicht und Mülltüte dabei, und dann was von Hausordnung erzählen! Das hätte ich auch komisch gefunden. Also schnell in den Müllcontainer mit der Tüte.

Beim Einkaufen war alles wie sonst auch. Das heißt, ich vergaß, Joghurt zu kaufen und es fiel mir erst ein, als ich schon wieder in meine Straße einbog. Dafür hatte ich immerhin den Brief eingschmissen, wenn auch erst auf dem Rückweg, so dass er wohl etwas ange-
knüllt bei den Herren Finanzbeamten auf dem Tisch landen wird.

Und als ich im Hof ankam, tummelten sich da vier Jungs im Alter von vielleicht 8-12 Jahren und spielten Verstecken. Als der eine anfing, zu zählen (und zwar: „10, 20, 30, 40, 50, 60, 70, 80, 90, 20, 21, 22, 23, 24…“), hob einer der anderen Jungs den Deckel der Mülltonne, in der nicht nur meine Tüte lag. Zum Glück rief er: „Boh! Stinkt schlimm!“ und klappte sie wieder zu. Ich sammelte meine Einkäufe aus dem Fahrradkorb (6er-Pack Wasserflaschen, vollen Rucksack, Laminierzauberkasten) und guckte kurz nicht hin. Als ich den Fahrradschuppen wieder abschloss, sah ich noch, wie der Deckel der Wertstofftonne zuklappte… „Hoffentlich wird die jetzt nicht gleich geleert“, dachte ich noch. Und:„Wie lange der jetzt wohl da drin hocken muss? Aber ist ein gutes Versteck, muss ich mir merken…“ Schließlich weiß man ja nie. Vielleicht muss ich mich eines Tages mal  wegen einer horrenden Steuerforderung vorm Gerichtsvollzieher verstecken.

Und als ich meine Einkäufe die Treppe hoch gewuppt hatte und in meine Wohnung kam, schaffte ich es sogar, beinahe nicht über die im Flur liegende Jeansjacke zu stolpern.
So hatte ich schon mittags das gute Gefühl, eigentlich für heute alles prima hingekriegt zu haben und legte mich für den Rest des Tages mit einem Buch aufs Sofa. Vorsichtshalber.

9 thoughts on “Theobrominenvormittag (ganz normal)

  1. Reitturnier und Square-Dance-Nachmittage sind gut! *ggg* Ich hatte mal nächtliche Punk-Konzerte in einer Wohnung über mir, das war weniger schön. Bis auf das Schlagzeug, das vom Band gespielt wurde, war alles live, so richtig mit Verstärker und so Gedöns. Und dabei war noch das Schlimmste, dass es eine wirklich schlechte Punkband war!

    • Punkbands sind doch immer schlecht…

      ich hab mal meinen Nachbarn porös gemacht weil ich dauernd meine Percussion-Soli auf der Schreibtischplatte getrommelt hab. Mit den Zeigefingern. Der dachte, ich hätt‘ ne Schiessbude mit Double-Bassdrum in Betrieb.

      Keine Ahnung was die denken, wenn ich abends noch Text für den nächsten Morgen ins Mikrophon brüll. Ich kann mir nur vorstellen, dass sie einzelne Worte verstehen.

      Und jetzt hat der Mieter in der Wohnung unter mir eine neue Stereoanlage, die er sehr liebt. Man kann sich nicht wirklich am Computer auf die Arbeit konzentrieren, wenn die Rosette beim Rumsitzen im Rhythmus eines langsamen Gangsta-Raps ~bebt~. Da möchte man immer gleich in die Apotheke laufen und ne Tube Helmex gegen die Basswürmer kaufen. – Das Problem hat sich allerdings erledigt, als ich meine ALTE Stereoanlage (die ICH sehr liebe) mal parallel mit Tambours du Bronx beschickte und die Lautstärke auf 1/4 stellte.

      Ein anderer Nachbar hat mir mal ein Kabel ins Gehirn geschoben; zumindest kamen mir seine Versuche, ein Telefonkabel hinter die Fußleisten zu versenken, akustisch vor wie ein Brontosaurier der am Katzentürchen um Einlass scharrt.

      • Gut, aber die Punkband war selbst für eine Punkband noch richtig schlecht.
        Den Gangsta-Rap-Typen muss ich mal über mir wohnen gehabt haben, der kommt mir bekannt vor. Kam der zufällig aus Wilhelmshaven? *g*

        • den hab ich noch gar nich gefragt wo der wech kommt. Ich kann ihn ja mal hoch locken, mit n bisschen Hörnhard&Marianne Heckenschützen-Stadel-Lala, und wenn er dann sagt „Hören Sie bitte auf, meine Haare beben“ dann frag ich „Willömshafn?“

          Aber vielleicht werden wir dann ein Liebespaar und das will ich auch nicht, dass wir uns gegenseitig unsere furzigste Musik vorspielen…

          • Ehrlich gesagt, bin ich ganz froh, dass die Nachbarsdame weder Schlagzeugerin noch Punkrockerin ist. Laute Musik hörtse auch so gut wie nie und beschränkt sich fast aufs Möbelgeräusch machen. Sie hätte ja übrigens auch Gelegenheit gehabt, sich zu beschweren, dass ICH immer schön laut zu meinen Lieblingsplatten mitsinge, wenn ich wieder mal eine Flasche Rotwein adpotiert habe…

  2. Nachbarn können einen manchmal wirklich in den Wahnsinn – oder wahlweise in den Amoklauf – treiben.

    In meiner letzten Wohnung war ich zwischen drei Parteien (oben, nebenan, unten) eingekeilt, die alles so ihre Eigenarten hatten.
    Oben wohnte die Krachmacher-Familie, deren unzählige Kinder mit ihren vielen Freunden selbst beim schönsten Sommerwetter lieber in der Wohnung spielten. Sagte ich „spielten“? Nein. Sie trampelten entweder stundenlang durch die gesamte Wohnung oder sprangen etwa eine Stunde am Stück wieder und wieder vom Sofa.
    An den Wochenenden begann der Herr Papa am liebsten ab 8.00 in der Früh, sämtliches hölzernes Inventar der Wohnung abzuschleifen. Oh, ich vergaß noch das nächtliche Üben der Mondscheinsonate auf dem Klavier. Es wurde leider nie besser.

    Nachbar Nebenan legte sich recht bald eine scheinbar unersättliche Freundin zu, die beinahe jede Samstag Nacht so laut durchquiekte, dass ich ihm fast eine Schweinezucht unterstellt hätte.

    Aber mein Liebling war die abgehalfterte Rockerbraut von unten. Mit ihrem schwerhörigen Sohn. Da war noch das Harmloseste, wenn man nachts gegen 4.00 senkrecht im Bett sitzt, weil von unten so laut Rammstein und Co. gespielt werden, dass man selbst glatt noch hätte mitfeiern können.

    Ja, das war ein wunderbares nachbarschaftliches Gefüge.

    • Ojeh, da hätte ich wahrscheinlich sogar einen „wahnsinnigen Amoklauf“ hingelegt!
      Es gibt ja Leute, die glauben, man dürfe die Mondscheinsonate auch wirklich nur bei Mondschein… Da ist es vielleicht schwer, die richtigen Tasten zu treffen.

      Quiekende Nachbarinnen und dazu wie Ochsen muhende Nachbarinnenbeglücker hatte ich auch schon. Oooch nicht schön auf Dauer. Man will das ja eigentlich alles nicht so genau…

      Und Rammstein auch noch! Da warste aber echt geplagt. Du Arme!
      Ist es in der jetzigen Wohnung denn besser?

      • Nää, es gibt Dinge, die man über seine Nachbarn einfach nicht wissen möchte…

        Ja, diese Wohnung ist super. Aber jetzt muss ich beten: Meine Nachbarn ziehen bald aus. Da bekomme ich doch ein bisschen Angst, ob die Zukünftigen eventuell laut und doof werden könnten.
        Na ja, vielleicht fällt mir jemand ein, den ich vorschlagen könnte.

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