Reisen ist toll. Ehrlich.

Dortmund
Kaum Jemandem wird’s verborgen geblieben, dass ich öfter mal mit’m Zug fahre; – gestern hab’ ich’s schon wieder getan. Und zwar habe ich’s nach Düsseldorf getan.

In Hannover auf dem Bahnsteig saß ich erst noch ein Viertelstündchen in so einem Draht-
ding, die sie einem dort als „Sitzgelegenheiten“ unterjubeln wollen und wo einen der kalte Wind so richtig schön von unten und von hinten erwischen kann. Ein Pärchen setzte sich neben mich und dann roch es plötzlich sehr unfein. Ich dachte schon: Puh, da ist aber bestimmt jemand ziemlich krank oder so. Aber als ich vorsichtig rübergucke, stelle ich fest, dass die Beiden nur ihr Frühstück ausgepackt haben. Aus so braunen Papiertüten, die man bei diesem einen Frikadellenbrater bekommt. Sie hatte sich wohl so ein komi-
sches Eidings einpacken lassen, und dem Geruch nach musste das fast älter sein als ich. Was Leute so runterkriegen, morgens um achte!

Als unser Zug dann kam, stiegen da auch ein paar Jungs ein, die schon ein 5l-Bierfäss-
chen ernsthaft in Arbeit hatten. Also wirklich. Was Leute so runterkriegen, morgens… Zum Glück setzten die sich aber eine ganze Ecke weit weg von mir und der Zug war ohne-
hin himmlisch leer. Leider bin ich mit diesem Zug nur eine halbe Stunde gefahren, bis ich in Minden umsteigen musste.

Und in Minden schwante mir Böses. Denn der Mindener Bahnhof, der übrigens eine sehr interessante Anordnung der Gleise hat (Gleis 1 führt irgendwie vor dem Bahnhofsgebäude lang. Da muss man, wenn man drauf angewiesen ist, auch erstmal drauf kommen.), war voll mit Geradeerwachsenen in unterschiedlich stark angetrunkenen Zuständen. Wie ge-
sagt, was die Leute so runter… Ich brachte mich fix auf einem Fensterplatz unter, meinen Koffer vor dem Sitz neben mir, als die Mindener schon unter Getöse den Zug stürmten. Vor mir nahm ein netter junger Mann Platz, und fragte mich gleich: „Na? Fährste auch zur Love-Parade?“ Und da hat’s dann aber ganz ordentlich gedämmert in meinem Oberstüb-
chen! „Äh, nee. Wo ist die denn dieses Jahr?“ – „Na, in Dortmund!“

Bis Dortmund waren’s noch zweieinhalb Stunden, mindestens. Eher drei. Ach, – hab’ ich schon erwähnt, dass der Zug übrigens ein Regionalexpress war? So einer, der alle zehn Meter anhält? Jetzt wurde mir auch klar, wieso ich kein vernünftiges ICE-Ticket mehr be-
kommen hatte. Sondern nur so eins, mit dem ich zweimal umsteigen musste, um an meinen Zielort zu kommen. Love-Parade! Und keine Zusatzzüge für die erwarteten 2 Millionen Besucher. Na klar! Deswegen. Na, das konnte ja lustig werden…

Wurde es leider nicht. Es wurde sehr schnell sehr eng. Neben mich quetschte sich ein Mädchen, dem es zum Glück nichts ausmachte, dass wir unsere Beine um meinen Koffer drapieren mussten (in Regionalzügen sind die Über-Kopf-Gepäckträger-Regale nämlich in so einer wahnwitzigen Schräglage angebracht, dass kein kleinstes Köfferchen reinpasst. Höchstens mal ein Tütchen Erdnüsse oder so). Das Mädchen packte mal gleich ein Grapefruitbier aus (Grapefruit ist ja auch sehr gesund zum Frühstück) und dazu noch so ein kleines Püllchen, bei dem man wohl erstmal anklopfen muss, bevor man’s öffnen darf. Fiel aber gar nicht weiter auf. Eigentlich war ich die Auffällige, weil ich als Einzige keinen Flaschenhals im Gesicht hatte.

Mein „Prost!“ hat sie bestimmt auch gar nicht gehört, dafür war die Musik zu laut. Ich bin mir jedenfalls relativ sicher, dass da Techno lief, irgendwo unter dem Geschrei („Nee, das macht voll blass, da sieht man ja aus wie son Gothik-Vieh!“ „Intim mach’ ich mir nicht, das ist doch voll hässlich!“ „Boah, ich muss voll pissen, Alter, ich glaub’, der Urin zirkuliert bei mir schon bis in die Herzkammern!“) und den Fußballgesängen („Oleeee, wir fahr’n zur Love-Parade!!!“ „Es gibt nur ein’n Rudi Völler!“). Es war aber auch sowieso kein besonders guter Techno, eher so das, was man an der Tanke als Sampler-CD kaufen kann, deswe-
gen war’s auch nicht richtig schade drum.

Schade war, dass in mir Panik aufstieg, weil ich mir vorkam wie in einem Viehtransporter. Eng zusammengequetscht, keine Aussicht darauf, eventuell irgendwie zum Klo zu kom-
men oder auch aussteigen zu können, um dann drei Stunden in, sagenwirmal, Beckum rumzustehen und zu warten, bis alle Sauftüten in Richtung Dortmund durchgerauscht sind. Das war nix für die alte Bromine, das kann ich Euch sagen. Das Feiern, Rauchen, Saufen und die aufgeregte Vorfreude hätte ich noch prima ausgehalten, wenn da nicht noch diese drangvolle Enge und der unglaubliche Lärm gewesen wären.

In jedem Bahnhof versuchten sich noch Hunderte dazuzuquetschen, was dazu führte, dass wir jeweils mindestens eine Viertelstunde standen und mehrfach die Durchsage kam, wir sollten doch bitte endlich die Türen freigeben, damit’s weiter gehen kann. Und natürlich fingen auch welche an, sich zu buffen, weswegen dann auch noch Spezialpolizei in voller Montur anrückte, um „zu schlichten“. Da standen wir schon in Hamm und eigent-
lich wär’ es jetzt nicht mehr weit gewesen. Das ging natürlich schon ein bisschen auf die allgemeine gute Laune. Ich konnte eigentlich schon länger nicht mehr, wenn ich ehrlich bin. Irgendwann setzte sich in mir ein Mantra durch: „Halt durch, Baby. Halt durch.“ Komisch, ich hab’ mich noch nie von Ir-gend-wem „Baby“ nennen lassen, nicht mal von mir selber. Half aber. Muss ich mir also mal merken.

In Dortmund kamen wir jedenfalls nach vier Stunden an, kurz bevor die ersten anfingen, in die Ecken zu pinkeln oder sich zu übergeben. Der Zug leerte sich und zurück blieben eine Handvoll „Normalreisende“ wie ich, die wortlos erschöpfte, aber bedeutungsvolle Blicke tauschten. Dazu tonnenweise leere Flaschen (was eine eigentlich interessante Geräusch-
kulisse abgab, wenn wir z.B. in Kurven fuhren oder hielten), Müll und eine gefühlte 1-cm dicke klebrige Bodenschicht aus Asche, Bier, Wodkairgendwas, Kippen und zertretenen Chips. Was eben von der Liebe übrig blieb…

So sehr hab’ ich echt mich noch nie gefreut, Düsseldorf zu sehen.

Da war der Rest der Fahrt (immerhin noch anderthalb Stunden) die reinste Kreuzfahrt. Nächstes Jahr soll die Love-Parade ja in Bochum sein. Aber dann ganz sicher ohne mich. Bochum liegt ja noch hinter Dortmund, also, von Hannover aus gesehen.

Nee, echt. Voll sorry.

(Der Text ist übrigens nur deshalb so lang, weil mir die Fahrt fast wie ein halbes Leben vorkam…)

35 thoughts on “Reisen ist toll. Ehrlich.

  1. Interessant, wie sich dein Bericht von denen im Fernsehen unterscheidet, wo man wenig davon sagt, dass die Loveparade eigentlich ein Massenbesäufnis ist. Komasaufen geht, wenn die mal nur nicht kiffen, denn das ist verboten. Kompliment auch an die Bahn. Man kann eine Reise mit ihr jedermann empfehlen.

    Ein Glück, dass du noch heil entkommen bist.

    Lieben Gruß
    Jules

    • Ja, und ich frage mich auch jedesmal, wie sie sich in diesen Jahr wohl für das aktuelle Motto winden werden. Es muss ja immer „Love“ drin vorkommen, auch wenn davon kaum noch was zu spüren ist. Diesmal war das Motto „Highway to love“. Komisch, dass ich in diesem Zusammenhang jetzt erst Recht an AC/DC denken muss.

      Leider habe ich kaum brauchbare Fotos vom vollgestopften und hinterher völlig verdreckten Zug gemacht, die ich der Bahn hätte schicken können. Zusammen mit der Frage, wieso es eigentlich keine Zusatzzüge gab.

      Ich werde jetzt in Zukunft bestimmt immer gucken, ob „was ist“.

      Lieben Zurückgruß, Theobromina

    • Danke für die Schoki, sowas ist immer gut für den Serotoninhaushalt. Allerdings lockt man mich mit der lila Tafel nicht sehr weit.

      Mit Coppeneur allerdings… 😉

      Zurückgruß, Theobromina

      • @ blondertiger:
        Ich hatte es auch in der Zeitung gelesen, aber beides nicht zusammengebracht… Das passiert mir garantiert nicht noch mal.

        @ netrat:
        Mist. Wovon bin ich dennu kurzsichtig? :))

        • Kurzsichtig is doch was ganz anderes… das kommt von zu viel Stäbchen essen! Weil man sich beim pommieren immer dermaßen auf das „hoffentlich fällt der Ketchuplaster da oben drauf nicht runter“ konzentrieren muss, dass man den Weg des gefährlichen Kartoffel-Sperrguts am besten noch bis zum Mageneingang optisch kontrolliert, nicht dass da doch noch ein Klecks vom Feuerwehrwagen abspringt und GARANTIERT irgendwo an dem Jackenzipfel landet, der für unbeabsichtigte Wischverteilungen der geeignetste ist (also an einer Stelle an der kein Schmerz-, Ketchup- oder Rottöne-Nerv existiert).

          Von dieser ganzen Kontrollerei wird erst die Hornhaut und anschliessend die ganze optische Achse krumm, und dann sieht man Regenbogen Rot-Weiss weil die anderen Farben wegen der veränderten Lichtbrechung woanders hin streuen. Kannste mal ausprobieren, die Nachbarn schillern dann alle in den anderen Spektrumsfarben grün-blau-gelb-lila.

          Das nennt man dann den Stäbchenblick, und das wurde schon in der Bibel als medizinischer Fall beschrieben (Balken im Auge-Symtom).

          Das was BLIND macht, wenn wir mal nach den bisher genannten Alternativen gehn, öhm, „Liebe“… ich mein ja immer noch „Alkohol“ weil „Liebe“ das is doch diese Wollmilchpflanze… oder gibts da intwischen nähere Herstellerangaben, Rezepte oder Sicherheitsdienst-Datenblätter zu? Vielleicht is da ja Alkohol DRIN. DANN könnte das natürlich auch blind machen.

          die Bulettenredaktion schweigt ganz schön beharrlich – hast du das Atemloch in der Mitte der -lette vergessen?

          • Das mit den Stäbchen beunruhigt mich jetzt aber! Bin ich doch schon allein für Hälfte der Jahresverzehrmenge von 4,9 Millionen Portionen verantwortlich! Hilft es denn, wenn man wenigstens lange Stäbchen isst? Tritt dann eventuell ein Weitsichtseffekt auf? Man könnte das doch als Augentrainig begreifen: immer an den Stäbchen lang bis zum Ende gucken beim Reinmümmeln… Und gegen die Farbblindheit fällt mir spontan nur ein: beim Essen sehr dunkle Sonnenbrille und vorsichtshalber wild gemusterte Kleidung tragen. 😉

            Das mit der Bulette und ihrem Atemloch will sich mir irgendwie nicht erschließen… Wat meinst’n damit? Habch irgendwo’n „o“ vergessen?

          • ich mein die Bulettenredaktion die das MIT Lachs MIT Watweissich und MIT Liebe Rezept in Deinen Blog geschafft hat, der hast du doch eine breite Bulette gebacken…?

            Ja das mit den Langstäbchen könntest Du wirklich ausprobieren. Mach am besten ans Hinterende irgendwas auffälliges dran, was Deinen anzieht. Beispielsweise einen roten Aufkleber „ENDE DIESER POMMES“.

            Obwohl ich befürchte, dass in schlechten Kartoffeljahren wie im Jahr 2003 die Kurzsichtigkeit wiederkommen könnte…

          • Ach so! Du meinst „Mit Hack, mit Lachs, mit Liebe! – Kräuterfrikadellen.“ :))
            Da bin ich jetzt nicht drauf gekommen… Das hatte ich ja an der Kasse vom Superladen gelesen. Hingeschrieben habe ich denen aber leider nix; hätte ich eigentlich echt mal machen sollen. Aber ich hab‘ immer so viel Zeug im Kopp… Schlimm ist das!

            Vielleicht sollte ich dann doch lieber auf sicherere Spaghetti umsteigen, den Augen zuliebe. Und die knote ich dann schön zusammen. Das ist mir mit Pommes sowieso noch nie gelungen.

          • LACHSHACK LIEBT DELLEN – wenns zu viel wird im Kopf, einfach mal komprimieren… is meine Masche

            ich hab jetzt extra das www nachgeguckt aber es gibt niemanden der einem erklärt wie man ne Pommes verknoten kann… vielleicht ist der Umstieg wirklich angebracht…

          • Hehehe… :))

            Weißte wat? Das werde ich demnächst mal versuchen! Eigentlich mag ich diese Dünnen ja nicht so gern, aber mit Dicken geht’s vermutlich nicht… Also bald in dieser Versuchsküche!

            „Kräuterdellen im Hirn?“
            „Vom Lachs! Mit Liebe!“
            „Hm. Joh, hack was…“

          • Apropos Kräuterdellen,

            pommeszopf 0 Treffer
            pommesfrisur und wild zuckende Lippen: „Billy Idol“
            Pommesfigur = Slang für Mac-D-Verkäufer

          • und Wellenfritten


            ((( ))) (((
            ))) ((( )))
            ((( ))) (((
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            ((( ))) (((
            ))) ((( )))

            und 1-2-3-Fritten

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            | 1 2 3 | | 1 2 3 | | 1 2 3 | | 1 2 3 |
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            ich hab aber nur Majo…

          • Hmnjam, lecker! Die Wellenfritten könnten auch kleine Gewürzgürkchen sein, die artig in Ballettreihen liegen. Oder (natürlich wieder mal) Würstchen… 😉

          • Gewürzgurkenballett? hummjumm. Ich kenn das als Grillwurstballett. Auch hummjumm. Wenn das mit dem GIFt-Animateur nicht so anstrengend wäre…

  2. Hört sich suuuper an. Lernst Menschen „hautnah“ kennen, merkst sofort ob du jemanden riechen kannst, lernst Volkslieder aus erster Hand und bekommst wieder Kontakt zur Jugend.
    Tja, und Ddorf sehe ich gerade aus meinem Fenster – ätsch!

    😉

    • Ja, davon habe ich neulich schon bei Dir gelesen: mein Herzliches Beileid! Das ist bestimmt anstrengend, aber Du weißt ja zum Glück, dass es endlich ist… Ich leih‘ Dir mein Mantra sehr gern aus, das ist noch wie neu und hat bis Samstag noch prima funtioniert! 😉

      „Halt durch, Baby. Halt durch!“

  3. hilfe, wie furchtbar!!! ich hätte bestimmt 2 wochen am stück schlechte laune gehabt danach!

    ich fahr ja auch viel zug (nicht nur u-bahn) und finde es soooo ätzend, wenn leute in feierlaune meinen, diese müsse ein von obrigkeiten eben angeordneter, allgemeingültiger dauerzustand sein. *kotz* ich sitz dann da, und zieh ne fresse.

    und dann auch noch techno…

    • Naja, ich war ein ziemliches Nervenbündel, als ich endlich ankam. Das Getöse hätte ich noch ausgehalten (sogar trotz schlechtem Techno), die Enge war schlimmer. Und zu wissen, dass man sich stundenlang nicht rühren kann. Natürlich wurde auch wie wild geraucht und der Bierdunst war zum Schneiden. Büäh! Die Sprüche, die ich da gehört habe, waren auch anstrengend. Also, diese Jugend von heute!
      Wir waren damals viel phantasievoller, finde ich… 😉

      • oh mann, ich weiß noch (es ist ja auch erst ein paar wochen her), wie ich in irgendnem kaff austeigen musste, weil die bahn ein „fahrgastproblem“ hatte und nicht weiterfahren konnte. (mich trennten übrigens 2 (!) bahnstationen von meinem ankunftsort.)
        das fahrgastproblem der bahn vergrößerte sich augenblicklich um das 600fache: wir standen da wie blöde, keine auskunft, kein bahnpersonal, das bescheid wusste, dafür ne menge NIX.
        irgendwann hieß es, es sollten busse kommen.
        irgendwann kamen die dann auch, und da ich scheinbar unter lauter hooligan-nachkommen reiste, die schubsten, drängelten und übellaunig klar machten, wer hier den vortritt hatte, ergatterte ich dann irgendwann einen platz im vierten bus…
        diese unliebsame situation, die mich 2 stunden meines lebens kostete, nutzte ich dann auch noch, weil mega schlecht gelaunt, für nen riesenkrach mit dem lieblingsfreund, der die busse nicht schnell genug herbeizauberte. – wenn schon, denn schon. :>>

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